ANIMAL COLLECTIVE: Oddsac

Pantomimisches Musikvideo? Schamanistischer Backwood Thriller? Organischer Horror? Surreales Spektakel? Nichts könnte belangloser sein, als beim neuen Album des ANIMAL COLLECTIVE, das diesmal ein audiovisuelles ist, nach einer Verortbarkeit in vorgefertigten Schemata zu suchen. Zusammen mit dem Videokünstler DANNY PEREZ, dem die Band bereits einige Clips und jüngst eine audiovisuelle Installation im New Yorker Guggenheim Museum verdankt, haben Avery Tare, Geologist und Deakin, die dank einzelner Songs gelegentlich dem Folk zugerechnet werden, fünf Jahre lang an ihrem visuellen Album „Oddsac“ gearbeitet. Das Resultat ist beachtlich und straft all jene Lügen, die am Hipster-Image der Gruppe festhalten.

Natürlich sind die eingangs genannten Wegmarken nicht beliebig gewählt, und wenn man sich darunter nichts allzu Vertrautes vorstellt, könnten sie einen vagen Rahmen abstecken, in dem man nach Bezügen für den aktuellen Musikfilm des amerikanischen Tierquartettes suchen könnte – Quartett insofern, dass Perez fest ins Bandgefüge integriert ist, während der eigentlich vierte im Bunde, Panda Bear, eine Auszeit nimmt. Von Beginn an wirken Bilder und Musik wie perfekt aufeinander zugeschnitten, wobei ich mich auf die Stimmigkeit des intermedialen Zusammenspiels beziehe, denn Perfektionismus in seiner zwanghaften Form ist in dem knapp einstündigen Hör- und Seh-Erlebnis kaum zu spüren: Man merkt dem Werk den langen Entstehungsprozess kaum an, und der Improvisationscharakter, der trotz in verspielte Details investierter Mühen durchweg gewahrt bleibt, ist als besondere Leistung zu würdigen. Die Stimmigkeit besticht bereits zu Anfang, wenn sich ein vielschichtig wabernder Dronesound aus der Stille herauskristallisiert, der eine von Korn und Ernte geprägte Kulturlandschaft ebenso stark auszufüllen vermag wie einen plötzlich gegengeschnittenen Innenraum, der an eine Grabkapelle erinnert. Allenthalben stecken Motive wie Feuer und maskierte Tänzer den visuellen Rahmen ab, der dem Film einen ritualistischen Grundcharakter verpasst. Feuerkreise tauchen auf, lösen sich aus dem Dunkel, wachsen zu verspielten Mustern zusammen und wirken zum Teil beängstigend – das Faible der Bandmitglieder für klassisches Horrorkino und natürlich dessen Scores zeichnet sich an einigen Stellen deutlich ab. Hervorragend amalgamierte Sounds prägen das Klangbild, und meist nehmen sie ihren Anlauf in kraftvoll basslastigen Drones, auch gerade nach den wenigen Brüchen, in denen das Bild weiß wird und sich vorübergehend im Abstrakten verliert.

Doch würde das Ganze schnell langweilen, bliebe es dabei. Immer wieder steigert und entwickelt sich die wellenförmige Musik zu einzelnen Höhepunkten hin, rituelle Rhythmik begleitet einen infernalischen Farbenrausch, steigert sich in Tempo und Dramatik und gipfelt an einigen Stellen des Albums in Kakophonien MERZBOWschen Ausmaßes. Da dennoch bei all dem ein organischer Grundcharakter gewahrt bleibt (sowohl im Klanglichen als auch in der oft von vitalen Rottönen geprägten Farbgebung), wirken einige wie zitathaft eingespielte Folkpassagen auch nicht wie plakative Kontrastierungen. Diese zeigen das Tierkollektiv dennoch von einer ausgesprochen freundlichen Seite. Der durch dezente Field Recordings ergänzte Lagerfeuer-Folk ist durchaus hörerfreundlich, erinnert teilweise gar an Gruppen wie THE MAMAS AND THE PAPAS und fände in der zeitgenössischen Musik die größte Entsprechung wohl bei Bands wie den beliebten FLEET FOXES. Doch immer wieder kommen unverhoffte Detonationen ins Klangbild und demonstrieren, dass man es dem Hörer und Betrachter keineswegs immer leicht machen will. Angesichts der Tatsache, dass Animal Collective ursprünglich vom Rock kommen könnte man Post-Rock erneut als Referenzpunkt anführen. Ich wäre skeptisch und würde bei der wenig anheimelnden Ekstatik eher eine durchgestylte psychedelische Krautrock-Variante assoziieren.

Auch Humor hat seinen Platz, entweder im Kleinen (so beispielsweise, wenn sich tausende von angedeuteten Fledermäusen aus einen testbildartigen Abstraktum lösen), oder in grotesk-beängstigender Form – etwa wenn eine Gruppe Menschen zu essen versucht und die Nahrungsmittel schnell die Gesichter der Leute okkupieren und unter sich begraben. Zusammen mit der körperbetonten Motivwahl unterstreicht auch dies wieder den organischen Charakter der Bildinhalte. Die Dramatik zu mildern vermag die Komik nicht, weshalb ich auch nicht von comic relief sprechen, sondern eher den Worten des Regisseurs beipflichten würde, der als wesentliches Merkmal seiner Ästhetik den Begriff „ecstatic relief“ verwendet. In der nur angedeuteten plotfreien Narration scheint die Lust am Taktilen und an seltsamen Formen ebenso Leitmotiv zu sein, wie die rührend-tragischen Versuche der schemenhaften Figuren, gegen Formlosigkeit anzukämpfen – eine Formlosigkeit allerdings, die im Sinne Georges Batailles bejaht wird, seien es nun rebellierende Marshmellows oder Vampire, die als heimliche Triebfedern der stets verschwimmenden Geschichte fungieren. In der Ausgelassenheit und Entgrenzung liegt der Weg, die scheinbare Destruktivität anzunehmen und zu überwinden, und so bleibt am Ende des Ganzen trotz all dieser Motive nicht der Eindruck, Horror zu sehen, sondern schlicht Zeuge eines rauschhaften Traumes zu sein, der einen derart gefangen nehmen kann, dass man als Rezensent fast noch den obligatorischen David Lynch-Vergleich vergisst.

Ich hatte mich gefragt, ob mir „Oddsac“ als „klassischer“ Experimentalfilm in nicht digitaler Aufnahme vielleicht noch besser gefallen hätte. Aber Perez ist nun mal primär Videokünstler, und als solcher hat er zusammen mit der Band ein mehr als gelungenes Werk auf die Beine gestellt. Auch rein musikalisch ist „Oddsac“ sehr wirkungsvoll, wenngleich die Musik nur exklusiv auf dieser DVD bzw. auf iTunes erhältlich ist. (U.S.)