CARTA: An Index Of Birds

Kyle Monday scheint es nicht sehr eilig zu haben, mit seiner in der Besetzung häufig wechselnden Band CARTA eine umfangreiche Diskografie vorweisen zu können. Schon kurz nach der Jahrtausendwende in der kalifornischen Bay Area gegründet, dauerte es ein halbes Jahrzehnt, bis der erste Longplayer „The Glass Bottom Boat“ das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Es war die Zeit, als Begriffe wie Postrock (noch immer) und Shoegaze (erneut) in aller Munde waren, weshalb sie jenseits des großen Wassers auch mit Handkuss von Kritikern und Publikum empfangen wurden. Vielleicht ist die Tatsache, dass im deutschsprachigen Popdiskurs seit Jahren ein Abgrund zwischen Subkultur und progressivem „Indie“-Mainstream konstruiert wird, ein Grund, dass CARTA in unseren Breiten bislang der Empfang mit Pauken und Trompeten verwehrt blieb.

Pauken und Trompeten kommen auf ihrem zweiten Wurf „An Index Of Birds“ nun auch nicht vor, dessen Songs ursprünglich für zwei Alben konzipiert waren – ein songorientiertes und eines von eher hintergründiger, ambienter Gestalt. Stattdessen stehen auf dem Vogelindex eine Menge eigentlich unscheinbarer Momente, in denen die Stärken unterschiedlicher Klangquellen und Spielweisen eines klassischen bzw. rockigen Instrumentariums zusammenfließen, sich ergänzen, bereichern und gleichsam in ihren jeweiligen Wirkungen soweit aufheben, dass beileibe keine einseitige Musikerfahrung aufkommt. Dies passiert beispielsweise beim eröffnenden „Alfred M“, bei dem filigrane, vielleicht einen Tick zu sentimentale Pianotupfereien in einer impressionistischen Verblendung mit hellen Streicherpassagen verschmelzen, bevor die Sinne des Rezipienten allzu sehr auf verträumt und romantisch gestimmt werden. Nicht nur an dieser Stelle wirken die Violinen, die sich wie helle Streifen über so manches Gitarrenmuster ziehen, eher als Wachmacher. Auch die Drumarbeit von Schlagzeuger Raj Ojha wirkt häufig als Gegenpart zum oftmals mollig verrauschten Gitarrensound. Die Rhythmussektion hat viel vom Krautrock und wirkt an einigen Stellen überraschend derb, was den Charakter der Musik passagenweise in Machismo-Nähe bringt – allerdings nie so stark, dass die Umfriedung des Postrock genannten, eher „sensiblen“ Terrains vollends überschritten wird. So können sich rockige Stücke langsam auf einen Höhepunkt hin aufbauen, und sind dabei treibend und flächig zugleich, bis eher reduzierte Gangarten schöne Songs hervorbringen. „Building Bridges“ mit Kyle selbst am Mikro ist fast ein schöner, verspielter Popsong, hervorzuheben ist auch „Descension“, bei dem Gastsängerin Lorealle Bishops Gesang am besten zur Geltung gelangt. Es sind nicht nur die rockigen Töne, die das träumerische Fundament durchbrechen, sondern ebenso sehr strukturzersetzende Momente. Als es mir am Ende von „Hourglass“ fast schon zu schön wurde, kontert die Musik mit einer Soundkollage aus rückwärts gespielten Instrumentenspuren und einem dissonanten Glockenspiel. „Santander“ wiederum beginnt mit einem kleinen Noiseinferno und verwandelt sich schnell in eines der melodisch schönsten Instrumentalstücke des Albums.

Carta sind in ihrer Vielfältigkeit keineswegs richtungslos, und so sollte man auch nicht einmal so sehr die Disparatheit der Stilelemente hervorheben, sondern eher ihre gekonnte Verschmelzung. „An Index Of Birds“ kommt trotz kleiner Eruptionen auf eher leisen Sohlen als mit Wucht daher und sei allen empfohlen, die Musik noch mit Ruhe zu entdecken wissen. (U.S.)