ELIJAH’S MANTLE: Observations of an Atheist

1993 erschien auf dem eigenen kleinen Label De Nova Da Capo und von World Serpent vertrieben das Debüt „Angels of Perversity“ des Projekts von Mark St. John Ellis, auf das damals einige vielleicht primär wegen der Beteiligung Brendan Perrys (Dead Can Dance) aufmerksam wurden. Der ursprünglich aus der Theaterszene stammende Ellis, der vorher schon ein Projekt namens Masque hatte, kombinierte auf dem Debüt wie auch auf den beiden folgenden Alben elektronische Klänge, die sicher von Minimal Music inspiriert waren, mit repetetivem, rituell anmutenden (Bariton-)Gesang voll(er) Pathos (zu dem sich auf späteren Veröffentlichungen auch noch Falsett- und Countertenor-Stimmen gesellen sollten) – es ist sicher kein Zufall, dass ein frühes Tape von Masque den Titel „Religeous Industrial“ trug, der fast schon als Genrebezeichnung für die frühen Alben dienen kann.  Mark St. John Ellis zitierte kanonische christliche Texte ebenso wie häretische, gnostische Quellen, Dekadenzliteratur, C.G. Jung um einem als misogyn empfundenen Christentum und einem zu stark in binären Strukturen stehenden Denken eine Alternative entgegenzusetzen (sozusagen „Remedies in Heresies“, um den Titel des zweiten Albums zu zitieren). Ein Höhepunkt dieser Phase war das dritte Album „Sorrows of Sophia“.  Auf der vierten Veröffentlichung „Betrayals and Ecstasies“ vertonte Ellis Texte von Ernest Dowson, Rimbaud, de Gourmont und Corbeau. Diese stärkere Fokussierung auf das Wort wurde noch einmal auf „Poets and Visionaries“ gesteigert, da dort die Gedichte, die diesmal von Baudelaire, Malarmé, Verlaine und Rimbaud stammten, nicht mehr gesungen sondern (nur) rezitiert wurden. Das dann folgende „Psalms from Invocations“ versammelte Neubearbeitungen früher Stücke, während sich das mit dem sich komplett für die Musik verantwortlich zeigenden schweizer Pianisten Ozymandias eingespielte (und dadurch musikalisch aus dem Rahmen fallende) „The Soul of Romanticism“ (Vertonung von Texten englischer Romantiker: Coleridge, Byron, Shelley, Keats, Wordsworth) ebenso wie „Legacy of Corruption (Lyrik von Baudelaire) wieder auf das gesprochene Wort konzentrierten. Auf dem letzten, 2002 veröffentlichten (und adäquat betitelten) Album „Breath of Lazarus“  wurde Material der ersten Alben zu vier langen unbetitelten Tracks collagiert. Dabei mag die Tatsache, dass dem Digipack kein Booklet mehr beigefügt war, sowohl den finanziellen Schwierigkeiten World Serpents als auch der geringeren konzeptionellen Dichte geschuldet gewesen sein. Danach hörte man nichts mehr, googelte man Ellis, stellte man fest, dass er inzwischen als Kurator in Dublin arbeitete.

Warum diese Rezension eines neuen Albums erst einmal die bisherige Geschichte des Projekts abhandelt, erklärt sich damit, dass es sich bei „Observations of an Atheist“ leider nicht um ein neues Album, sondern lediglich um eine anlässlich der Neuaufführung eines alten Films Ellis’ veröffentlichte Zusammenstellung alter (teils minimal bearbeiteter) Tracks handelt, wobei der Schwerpunkt ganz klar auf dem rituell-repetetiven Aspekt liegt, von den rezitativen  Stücken findet sich lediglich „The Litanies of Satan“. Das heißt, dass diejenigen, die die alten Alben besitzen, (leider) nicht viel Neues erwartet, dass aber all die, die Elijah’s Mantle damals verpasst haben, eine Möglichkeit bekommen, ein Projekt kennen zu lernen, in dem Pathos nicht zu Kitsch gerinnt und Beschäftigung mit verfemten Autoren, unorthodoxen Gedanken und Mystik nicht zwangsläufig reaktionär sein muss, sondern natürlich emanzipatorischen Charakter haben kann– insofern ist der die Sammlung zierende Titel „Obervations of an Atheist“ durchaus konsequent und in einer Zeit, in der Religion sich durch verschiedene Tore wieder in unsere Gesellschaft schleicht, keinesfalls anachronistisch.

M.G.