FLYING HORSEMAN: Wild Eyes

Der Reiz jenes anderen amerikanischen Traums, der als Projektionsfläche für allerhand Sehnsüchte nach stilvoll verwegener Freiheit dient, scheint ungebrochen. Vom Marlboromann bis Mark Lanegan, von The Wild One bis hin zu Gothic Americana bildet diese Ausprägung von Folklore in all ihrer rebellisch-melancholischen Maskulinität eine fruchtbare Alternative zum Späthippietum der eher studentischen New Weird Americans, um die es zuletzt etwas ruhiger wurde, lässt gar Mischformen zu, wie etwa in Musik und Person eines Will Oldham, der beides zugleich verkörpert.

In seiner Reinform gerät solche Machismo-Folklore selten klischeefrei, aber das ist auch ok, weil man es ja nicht dauernd konsumieren und sich vollends in eine solche Welt verlieren muss, in der man sich bei ausreichender Erdung zwangsläufig irgendwann fragen wird, wie es denn nun in der Realität um den konservativen Outlaw der Prärien und Highways steht. Wenn es ihn gibt und er mehr ist als ein gescheiterter Redneck, dann stellt er vermutlich meist gerade das Abziehbild derartiger role models aus Film und Musik dar, ist, wie klügere Zeitgenossen beipflichten würden, das Produkt eines medialen Diskurses. Doch nur eine dünnbrüstige Spaßbremse würde das als Schande begreifen, denn es spricht ja in erster Linie für die Schöpferkraft der Kunst, die, wie alle Freunde Oscar Wildes wissen, nur zu gerne von der Wirklichkeit imitiert wird.

Die derzeit mustergültigsten Vertreter dieser Americana-Variante kommen weder aus Texas noch aus Colorado, sondern aus unserem Nachbarland Belgien – eine Antwerpener Band namens FLYING HORSEMAN, deren größtes Charakteristikum das durch Fusel und Tobak präparierte Timbre eines gewissen Bert Dockx ist. Wie zu erwarten bei einer Gruppe, die auf eine respektable Tradition zurück blickt, waren die Namedropper beim Abstecken stilistischer Wegmarken schnell bei der Hand. Die Band und vor allem der Sänger habe das ehrliche Pathos eines Leonard Cohen, die fragile Zerrissenheit eines Townes van Zandt, die Getriebenheit und Schwere eines David Eugene Edwards und den urtümlichen Blues eines Blind Lemon Jefferson. Nichts davon ist abwegig oder unwesentlich, und doch vermisse ich den Hinweis auf einen markanten Unterschied: Flying Horseman stimmen eine leidenschaftliche Hommage auf einen Esprit an, der ihren musikalischen Werdegang prägte und dessen Initiatoren sie letztlich an Markanz überbieten. Die genannten Idole dagegen sind eher zufällig genau da gelandet wo sie waren und haben ihr musikalisches Terrain ohne es zu wollen zu dem gemacht, was es ist.

Nichts wäre falscher, als Flying Horseman wegen all dem so etwas wie Authentizitätsschwund und Epigonentum anzukreiden, sie wirken ehrlich und eigenständig in vielen einzelnen Details. Bei „Bitter Storm“ denkt man zunächst, man hätte versehentlich den Lautstärkeregler heruntergedreht, so leise kommen einem die Saitenanschläge des Gitarristen aus den Boxen entgegen. Wenn Dockx sich dann anschickt, in beschwörendem Deltablues-Gesang ein bisschen coolen Pessimismus und Bodeständigkeit zu predigen, dann hat das schon eine gewisse Klasse. Zumal die Predigt diffus bleibt, und man nicht recht weiß, wer sie hier eigentlich hält. Zeilen wie „Stop crying over Africa, my home is where I live“ – politische Unkorrektheiten nach Art eines Rod McKuen oder doch eher eine Hommage an die Situation farbiger Bluessängeridole in den Jahrzehnten nach dem Ende der Sklaverei? „Heap“, ein weiterer Song dieser Gangart, hat etwas soundscapeartiges und somit fast filmische Qualitäten, würde zu einem Roadmovie passen, dessen Macher neben der Schwermut auch die Kitschromantik nicht scheuen dürfte, die hier so gut zum Albumtitel passen würde.

Aber Flying Horseman rocken natürlich auch. Ganz ordentlich sogar im von merkwürdig spacigen Störgeräuschen eingeleiteten „Meditation Blues“ – „the past is gone and ain’t never coming back“ heißt es hier in Dockx’ gewohnt abgeklärten Tonfall, rau nach vorn geprescht mit einem Schuss Psychobilly und Garage Trash und konterkariert von merkwürdigen Tempuswechseln, die an anderen Stellen der Platte leider ein bisschen wie eine allzu kalkulierte Postrock-Reminiszenz wirken. An den Stellen, an denen das Temperament mit der Musik am meisten durchgeht, meint man glatt einen zugedröhnten Chris Isaak vor sich zu haben, öfters noch den testosterongesteuerten Nick Cave nach Grinderman-Manier, aber dieser Vergleich fällt natürlich wieder in den Bereich des Obligatorischen. Dann gibt es wieder sehr entspannte Augenblicke wie in „Arrow“, wo man die Musik einfach nur genießen will wie das karge Panorama links und rechts einer pfeilgeraden Landstraße.

Dass die Musik auch in solchen Momenten nie gefällig und glatt wirkt, bewahrt sie davor, zur Eurodisney-Variante der Tradition zu werden, in der sie steht. Schon die schwarzgalligen Texte scheinen eher von einer Phobie gegenüber dem allzu Schönen und Netten zu künden. Ein gelungener Einstand also, und wer Gefallen an dem Debüt gefunden hat, der sollte sich schleunigst nach dem ebenso interessanten Schwesterprojekt BLACKIE AND THE OOHOOS umschauen, das sich im Linup stark mit Flying Horseman überschneidet und bei dem die Schwestern Loesje und Martha Maieu die Macht über die Mikros haben. (U.S.)