SIEBEN: Star Wood Brick Firmament

Es gibt diese Platten, die man kaum greifen kann – greifen in dem Sinne, dass man sich ihnen begrifflich annähern und eventuell das, was man für das Wesentliche daran hält, klar umreißen und definieren könnte. Nicht selten handelt es sich gerade dabei um Musik, die einen besonders gefangen nimmt, die verführerisch, einschmeichelnd und dennoch auf Langzeit herausfordernd ist. Der Name des Violinisten Matt Howden steht für eine Art von Musik, die immer wieder eine solche Wirkung erzielen kann. Dies gilt besonders für sein recht eigenwilliges Hauptprojekt SIEBEN.

Auf dem letzten Longplayer “As They Should Sound” zog Howden ein Resümee seines bisherigen Schaffens und präsentierte elf Klassiker der Band in neu eingespielter und zum Teil stark veränderter Form. Im Sieben-Kosmos scheint nichts endgültig zu sein. Mag der Titel auch so etwas wie ein nachträgliches Gefühl der Vollendung implizieren – wer Howdens Beitrag auf der “With Friends Like These”-Compilation oder seine Performances kennt, der ahnt, dass auch diese Songs sich weiter häuten und mit neuem Glanz überziehen werden. Die gerade erschienene CD “Star Wood Brick Firmament” ist der eigentliche Nachfolger zum Konzeptalbum “Desire Rites” und markiert einen neuen Start, der allerdings nicht als Bruch zu verstehen ist, sondern Howdens Weg seit seinen Tagen mit SOL INVICTUS konsequent weiterverfolgt. Nach wie vor also eine Violine, ein Loop-Pedal, eine Stimme und Perkussion. Howden zählt zusammen mit JULIA KENT, ALEXANDER TUCKER und zuletzt LILI REFRAIN zu denjenigen Künstlern, die mit Hilfe von Looptechnik aus einem einzigen Instrument die Fülle und Variationsbreite einer ganzen Band herausholen. Im Unterschied zu jenen anderen Instrumentalisten tendiert Sieben allerdings kaum zu dronigen Effekten, und schon gar nicht zu abstrakteren Kompositionen, sondern allem voran zu organisch-wohlklingendem Pop. Sieben ist eingängig, melodisch und meist songorientiert, wobei man auf dem aktuellen Album „meist“ auch durch „immer“ ersetzen kann. Dies kann auf die gewohnt und beliebt tagträumersiche Weise umgesetzt werden, so beispielsweise beim Opener „Minack Theatre“, der zunächst einen sachten Anlauf nimmt, und im verklärt-abgeklärten Gestus der unbeantwortbaren Frage nach Dauer und Vergänglichkeit nachgeht. „Minack Theatre“ ist das Monument eines Monuments, es erzählt von einem Freilicht-Theater an der steilklippigen Küste in Cornwall, das eine reiche Exzentrikerin in den 30erjahren plante und bauen ließ. Noch heute wird dort Shakespeare inszeniert. Die Frage wer nun wem trotzt – die Natur dem Menschenwerk, oder doch die Kunst den Gezeiten – Howdens Text lässt sie offen. Wie viele Sieben-Lyrics sind auch diese ein gutes Beispiel des von Umberto Eco geforderten „opera aperta“, des offenen, mehrdeutigen, sich im Andeuten genügenden Werks. Lang lebe das Imperium. Oder ist es Geschichte? Wie auch immer die Antwort lauten mag, Matt baut um solche Worte eine rückblickende Hommage an das idealistische Festival- und Labelprojekt „Post Romantic Empire“ seines Freundes Giulio di Mauro.

Nahezu perfekt gelingt die Mischung aus Uneindeutigkeit und melancholischem Pop bei „We Wait For Them“, bei dem Howden seinem Instrumentarium eine verspielte Melodie entlockt, die man so schnell nicht aus dem Ohr bekommt, und die zusammen mit dem ausdrucksstarken Gesang und der typsich tribalen Perkussion beinahe euphorisch stimmt. Der Kontrast zu dem dystopischen, kryptischen Text über eine gleichgeschaltete, passive Spezies könnte wirkungsvoller nicht sein. Wie um den tänzerischen Charakter, den der Song mit einigen anderen teilt, noch einmal besonders zu unterstreichen, hat Howden zwei technoide Versionen anfertigen lassen, die auf dem Song basieren und streckenweise ironisch anmuten – sie reichen meines Erachtens nicht an das Original heran und fallen als Bonusstücke am Ende der CD auch aus dem Zusammenhang. Um diese eher kurzweiligen Stücke gruppieren sich Songs, bei denen entweder die neblig dämmerige Sieben-Stimmung im Vordergrund steht, oder jedoch ein latent aggressiver Ton. Erstere findet sich in Reinform bei „Donald“. Dieser Song lässt den englischen Bonzen und Sportler Donald Crawhurst zu Wort kommen, dessen tragischer Tod bei einer Segelyacht in England längst ein moderner Mythos ist und bereits Howdens Landsleute ILIKETRAINS zu einem Song inspirierte. Crawhurst, seiner Narrheit bewusst, wollte durch den Gewinn des Wettkampfes einen Bankrott verhindern, und über der Geschichte schwebt eine Atmosphäre der Passivität, die sich auf die Hörer zu übertragen weiß. In „Crawhurst“ findet der Song auch seine Fortsetzung und zugleich sein forsches Gegenstück, bei dem eine süße Geigenmelodie mit evokativen, leicht gereizten Vocals kontrastiert. Zusammen gehalten wird das alles durch den angenehm „holzigen“ Klang, der den Aspekt des „Folkigen“ mit hinein bringt, mit dem Howdens Musik gerne etwas voreilig kurzgeschlossen wird.

Matt Howden hat mit Sieben eine ganz eigene, nur von ihm selbst beackerte Musikrichtung entwickelt, die sich irgendwo im Grenzland zwischen folkiger Klangmalerei, dunklem Pop und repetitiven Minimalkompositionen ansiedelt. Herausgekommen sind diesmal gute zwei Handvoll Songs, die im Grunde sogar denjenigen gefallen könnten, die verstanden haben, dass die besten Lieder einer gewissen Stadionrockband, die in der Blütezeit des New Wave im englischen Basildon gegründet wurde, eigentlich nichts mit Synthiepop zu tun haben. Aber das ist nur eine beiläufige Anspielung, Matts Musik ist über derartige Vergleiche erhaben, und das wird hoffentlich noch lange so bleiben. Mehr dazu recht bald im Interview (U.S.)