TREMBLING BELLS: Abandoned Love

Alex Neilson ist ein Drummer vom Kaliber eines Emil Amos, und Lesern des Black ist er wahrscheinlich noch am ehesten vom jüngeren CURRENT 93-Lineup her bekannt. Neben seinen zahlreichen Beiträgen zu anderen renommierten Künstlern (zu nennen wären außerdem BABY DEE, JANDEK, THE RED KRAYOLA und das menschliche Theremin JOSEPHINE FOSTER) hat Neilson eigene Gruppen ins Leben gerufen. Nach dem Glasgower Folkkollektiv SCATTER ist dies vor allem das weniger experimentelle Songprojekt TREMBLING BELLS, welches im vorigen Jahr mit dem Album “Carbeth” debütierte. Laut Label will Neilson mit seiner Fusion aus klassischem Rock, traditionellem Folk und mittelalterlichen Einflüssen die versteckten mythischen Landschaften Yorkshires und der Gegend um Glasgow erkunden.

Beim ersten Hören des Nachfolgers “Abandoned Love” mag einem auffallen, dass die Musik weitaus weniger fragil und filigran daherkommt, als es der schon auf Akustisches anspielende Bandname nahelegt. Vielmehr spielen die TREMBLING BELLS eine pralle, sehr lebendige Variante englischen Folks, die sich auch sehr gut in der Zeit gemacht hätte, als Innovatoren wie PENTANGLE traditionelles angelsächsiches Liedgut mit modernen, elektronisch verstärkten Mitteln kombinierten, die den Grundstein späterer Rockmusik legen sollten. Ein Stilmittel, dass die vier Musiker gerne einsetzen, ist mehrstimmiger Chorgesang, der bei “September Is The Month Of Death” fast hymnische Züge trägt und auch beim Opener “Adieu, England” zu fesseln weiß. Zum Gesang, der am markanstesten vom Sopran Lavinia Blackwalls geprägt ist, gesellt sich zunächst eine verspielt vor sich hindröhnende Orgel, gegen Ende dann natürlich auch Neilsons Schlagzeug und das restliche Rockinstrumentarium, so dass man recht schnell in die Klangwelt der Schotten eingeführt ist. Wer die Künste Neilsons am Schlagzeug kennt und schon live erleben durfte und auch um dessen Liebe zu ekstatischem Freejazz weiß, mag sich wundern, wie sehr er sich hier zurückhält und sein solides Spiel in ausgewogener Relation zu den übrigen Instrumenten einbringt. Das ist ja nicht immer der Fall bei Bandprojekten, deren Kopf und Gründer ein Drummer ist. Die schönsten Passagen des Albums sind meines Erachtens dort zu finden, wo die Stimmarbeit dezent Züge eines Klagegesangs trägt, wie beispielsweise bei “Man Is As A Garden Born”, das im Unterschied zu einigen anderen Songs nie ins Freundlich-Betuliche tendiert, oder bei dem stimmungsvollen Lovesong “Darling”, der es schafft, trotz bekannter Strukturen immer noch berührend zu sein. Die Melodramatik einiger Songs umschifft gekonnt allzu liebliche Gefilde, wie man sie beispielsweise bei den Kollegen von THE OWL SERVICE findet, deren Musik immer wieder das Idyll sucht. Auch die dynamische Seite vom “Abandoned Love” weiß zu gefallen: So gibt es einige Ausflüge in simplen lebensfroh-angefolkten 60s-Beat, bei dem nach vorn preschende, poppige Drumarbeit und Kurzweil verbreitende Maultrommeln mit einem naiv-verträumten Glockenspiel eine nur schwer greifbare und gerade deshalb spannungsreiche Stimmung heraufbeschwören – da haben wir sie übrigens, die zitternden Glocken. Sicher haben gerade diese Songs das Zeug, recht unterschiedlichen Hörern zu gefallen, auch solchen, die wenig Bezug zu den ganzen musikgeschichtlichen Hintergründen einer solchen Band haben und sich einfach freuen, wenn mal wieder die BEATLES im Radio laufen. Dass die TREMBLING BELLS eine Musik spielen, die vor mehr als vierzig Jahren zum Innovativsten gehörte und heute als ein reiner Rückgriff betrachtet werden kann, ist eine Beobachtung, mit der die Band leben muss, und mancher Folkspezialist wird es ihnen vielleicht kritisch ankreiden. Dennoch ist nicht allein die banale Tatsache, dass derartige Musik immer wieder aus dem Bewusstsein einer größeren Hörerschicht zu verschwinden droht, aber prinzipiell auch noch heute funktionieren kann, Grund genug, ein Album wie “Abandoned Love” relevant erscheinen zu lassen.

Denn während vergleichbare Bands wie die Südengländer MARY JANE trotz des pittoresken Wohlklangs ihrer Folkrocksongs oftmals ins Museale abgleiten, erscheint mir Neilsons Band eher von Forscherdrang auf der Suche nach so etwas wie dem wahren Kern solcher Musik getrieben zu sein. Was sie auf ihren Expeditionen erkunden ist ein vom Dunst des frühen Morgens noch halb verhangenes Land voller tragisch-romantischer Geschichten und farbenfroher Turbulenzen, und bei längerem Aufenthalt entdeckt man sicher noch manch einen unerforschten Fleck.