V.A.: Twenty Centuries Of Stony Sleep

Vor rund zwölf Jahren hatte der Norweger Rune Kristoffersen, einst Kopf einer Band namens FRA LIPPO LIPPI, die Idee, seine kreativen Ambitionen erneut zu verwirklichen. Dazu schrieb er allerdings weder ein Buch, noch formierte er eine weitere Band oder vollführte Kunstaktionen. Er gründete das nach seinem Vornamen benannte Label Rune Grammofon. Bescheiden war man anfangs natürlich, sah das ganze eher als Steckenpferd statt als professionelles Unternehmen, und niemand dachte damals daran, dass das kleine Einmannprojekt sich einmal zu einem richtigen Verlagshaus mausern sollte, welches zum Markenzeichen für mal jazzigen, mal geräuschorientierten Avantgardepop werden würde. Geschweige denn, dass hundert Tonträger auf dem Portal das Licht der Welt erblicken sollten. Vor kurzem jedoch ist genau das geschehen, und womit könnte man dieses Ereignis angemessener feiern, als mit einer Compilation, die Aufnahmen von repräsentativen Label-Künstlern aus Vergangenheit und Gegenwart enthält.

Zunächst das Bedauerliche: Susanna Wallumrød, eine der interessantesten und produktivsten Künstlerinnen des Labels ist aus welchen Gründen auch immer weder mit ihrem Soloprojekt, noch mit ihrer Combo SUSANNA AND THE MAGICAL ORCHESTRA vertreten. Die Sängerin, die bereits Will Oldham-Konzerte eröffnete, bietet mit ihren lounge-kompatiblen Neuinterpretationen bekannter Popsongs, mit Leonard Cohen und Joy Division auf Benzodiazepin, seit Jahren eine unprätentiöse Alternative für all jene, denen die gängigen Jazz- und Singersongwritersternchen aus dem hohen Norden zu gefällig, konzeptuell ähnlich gelagerte Kollegen wie NOUVELLE VAGUE jedoch zu plakativ und abgenudelt sind. Schade, aber das macht aus „Twenty Centuries of Stony Sleep“ keine schlechte Sache. Führt man sich die Sammlung zu Gemüte, so stellt man fest, wie hoch im Kurs doch ruhigere, getragene Klänge stehen – zumindest was die in dieser Hinsicht nicht vollends repräsentative Auswahl auf der vorliegenden CD betrifft. Dies kann in Extremform passieren, wie im Fall von ULTRALYDS Klangkollage „Salinity and Brine“, deren Glöckchen und verhallte Klavierminiaturen den Hörer ausbremsen, bis infernalisches Kratzen und Dröhnen eine Spannung erzeugt, aus der man kaum entrinnen kann – eines der gelungensten Stücke der Sammlung! Natürlich gelingt das auch in „schöneren“ Songs wie denen von HILDE MARIE KJERSEM oder JENNY HVAL (bekannt von der Band ROCKETTOTHESKY), die besinnlichem Singer Songwriterpop für den Winterabend am Kamin recht nah kommen, und selbst dies gerät nicht zu banal, und letztere stellt sich am Ende gar als ganz schön exzentrische Folkerin heraus. Nah an der Grenze des Verstummens halten sich die dem Dark Ambient nicht fernen Loops von DEATHPROD (Ex-MOTORPSYCHO) auf, die Harmoniumdröhner PUMA und das ESPEN ERIKSON TRIO, das mit einer kurzen beeindruckenden Livedarbietung demonstriert, wie nah Jazz an den Klavierkompositionen von Arvo Pärt heranreichen kann, bis es im Verlauf dann doch etwas üppiger wird und etablierte Pianisten wie Bill Evans und Keith Jarret anklingen. In eine ähnliche Kerbe schlagen IN THE COUNTRY, die eine Jazzballade mit Gesang beisteuern, oder die rockigeren BUSHMAN’S REVENGE, die der nordischen Unterkühltheit ihrer Musik ein seltsam kontrastierendes Surf-Feelig durch gelegentliche Twangs und Hammondorgelspuren verpassen.

Am Höhepunkt dieses Songs, der in Postrock-Manier nie wirklich exzessiv gerät, findet sich auch der Anknüpfungspunkt zu einer anderen Seite des Label-Spektrums, die sich ebenso rau wie spielerisch zu geben weiß. Ersteres wird bestens repräsentiert durch den noisigen Shoegazersound von ALOG, der mit rumpelig verrauschten Snaredrums und gebellten Vocals Unheilvolles erwarten lässt, durch den verspielten Frickelnoiserock von STIAN WESTERHUS, der bei Leuten wie Thursden Moore oder Jim O’Rourke in die Schule gegangen sein könnte, und durch die schrägen Stimmexperimente von MAJA RATKJE, die hier ein recht gemäßigtes Stück beisteuert – ist sie mit ihrem ritualistischen Schreien und Krächzen doch sonst ein rotes Tuch für alle, die hübsche Sängerinnen gerne fein artig mögen. Letzteres dagegen findet sich in den Saxophonspielereien von SUPERSILENT und im Sound von THE LOW FREQUENCY IN STEREO, die mit basslastigem Groove, sleazigen Gitarren und gekonnt eingestreuten space sounds die Atmosphäre skurriler Eurotrashfilme ad absurdum führen und gleichsam erhöhen – irgendwo zwischen Joy Division, Morricone und surrealer Fahrstuhlmusik.

Ich gestehe es, ich mag Labels. Eine stimmige Vielfalt wie bei Important oder Drag City, ein alles umrahmendes und natürlich exzellentes Corporate Desingn wie bei Type Records oder Southern Lord nötigen mir meist mehr Respekt ab, als wenn jede Veröffentlichung gelungen ist und dennoch kein Faden vorhanden, der sich erkennbar durch qualitativ hochwertigen Ramsch zieht. Rune Grammofon haben Profil und stehen seit über einem Jahrzehnt für etwas, und ich wünsche den Norwegern auch in den nächsten Jahren viel Erfolg dabei, schnieke Bistros mit Jazzattitüde durch seltsam de-arrangierte Klänge subversiv zu unterwandern. (U.S.)

Label: Rune Grammofon