BALLO DELLE CASTAGNE: Kalachakra

Ballo Delle Castagne traten erstmals vor drei Jahren als Supergroup in Erscheinung, in der Mitglieder diverser italienischer Folkbands zeigten, dass sie auch laute und rauschhafte Musik machen können. Psychedelic hat in den letzten Jahren so mancher Folkkapelle aus der kreativen Sackgasse geholfen, aber das besondere an den vier Italienern unter dem Zeichen der Kastanienkugel ist der punkige Drive, den sie der Musik dabei verpassten.

Die Kombination solcher oft als gegensätzlich verstandenen Stilelemente hätte kräftig daneben gehen können, aber bei Ballo Delle Castagne hat es funktioniert. Hätte man es nun wie geplant bei dem einmaligen Projekt belassen, würde Freunden kräftiger Punk Psychedelia in Zukunft einiges entgehen. Doch auch von der wahrscheinlich dummsten Rezension, für die sich das FoxyDigitalis-Magazin nicht zu schade war, ließ sich das Quartett nicht verunsichern, und flugs wurde mit weiteren Aufnahmen nachgelegt. Zuerst mit einer 10” namens „108“, vor einiger Zeit dann mit einem zweiten CD-Longplayer, der das Stil- und Soundrepertoire der Band merklich, aber auch nicht zu stark erweitert.

„Kalachakra“ knüpft stilistisch und konzeptuell an „108“ an, zusammen bilden die beiden Tonträger den Auftakt einer Trilogie, die alsbald mit einem weiteren Album ihren Abschluss nehmen soll. Mein Italienisch ist katastrophal, aber einigen Wortfetzen und etwas zuverlässigeren Informationen zufolge soll es in den Texten vor allem um eine Reise von Europa nach Asien gehen – eine Reise, die für eine spirituelle Expedition steht, aber auch einfach symbolisch für das Entdecken neuer Glaubenssysteme. Der Titel des Albums bedeutet im Sanskrit „Rad der Zeit“ und verweist neben dem zyklischen Aspekt sowohl auf eine Gottheit als auch auf Meditationspraktiken des tibetanischen Buddhismus.

Musikalisch preschen die vier Italiener gleich zu Beginn in die Mitte des Geschehens vor, schwere Orgeln, kräftiges Schlagwerk und feierlicher Gesang geben die Richtung des ersten (noch europäisch geprägten) Stückes „Passioni Diaboliche“ vor. Mit der Zeit werden die Gitarrenriffs kantiger, und Sänger Vinz wird von der beeindruckenden Stimme der Gastsängerin Carolina Ceccinato begleitet, und bei den Textfetzen, bei denen es um Seelen und Wiederkehr geht, scheint Aufbruch ein zentrales Thema zu sein. Vinz’ Stimmarbeit bekommt gelegentlich etwas sakrales, was neben seinem Vortragsstil auch am Italienischen liegen könnte – an einigen Stellen erinnert er fast an Spectre, der auch dann so feierlich klingt, wenn er einfach nur einen guten Rocksong intoniert.

Mit Wave, wie anderenorts behauptet, hat die Musik auf „Kalachakra“ wenig bis nichts zu tun, und auch Folkelemente finden sich nur minimal – wenn, dann höchstens in Zitaten indischer Folklore, die entweder als Sitharspiel oder in Form typischer Melodiefolgen in die psychedelische Mischung aus repetitiver Gitarrenarbeit und verspielter Elektronik eingebaut wird. Unweigerlich denkt man an Gruppen wie Can und Popul Vuh, stellenweise kommen einem auch frühe Black Sabbath in den Sinn. Die starken Postpunk-Elemente des vorigen Albums fügen sich noch besser ins Gesamtbild ein, sind stellenweise nah am Hardrock. Ein Gegenpol sind die unheimlichen Traumwelten von “La foresta dei suicidi”, das die Stimmung eines verwunschenen Waldes am Fuße des Mount Fuji einfängt.

Das Album scheint voller Referenzen zu sein, auf einen Song der deutschen Band Eloy wird ebenso Bezug genommen wie auf eine themennahe Dokumentation von Werner Herzog, dessen einstige Muse Kinski an einer Stelle auch zu hören ist. Vielleicht steht „Kalachakra“ in noch reichhaltigeren Querverbindungen, die man erst erkennt, wenn man die entsprechenden sprachlichen und thematischen Voraussetzungen mitbringt. Doch es spricht für das Album, dass es auch so zu überzeugen weiß. (U.S.)

Label: HR S.P.Q.R. / Black Widow Records