MUSHROOM’S PATIENCE: Jellyfish

Mushroom’s Patience ist eine Band, die v.a. von einer Konstante lebt: Raffaele Cerroni alias Dither Craf. Es gibt Platten, bei denen er komplett im Alleingang arbeitet, bei anderen schart er Mitstreiter in unterschiedlicher Zahl um sich, von denen einige vorübergehend einen harten Kern bilden, während andere schnell wieder in andere Sphären entschwinden. „Jellyfish“ ist sein bislang leutseligstes Werk, denn für jeden der dreizehn Songs hat er sich jeweils andere Musiker ins Boot geholt, die dem Album – gerade verglichen mit dem konzeptuell sehr stringenten Vorgänger – ein heterogenes Gepräge verliehen haben, wie es sonst nur Compilations und Remixalben anhaftet. Eindimensional wird es also schon mal nicht.

Platten von Mushroom’s Patience erinnern an eine Welt, die durch ein merwürdig unebenes Vergrößerungsglas gesehen wird. Größenverhältnisse und überhaupt alles Räumliche fällt durch einen reizvollen Zug ins Unlogische auf, von den verdrehten Formen ganz zu schweigen, und nie weiß man genau, wo man das Terrain betritt, in dem einen die Wirklichkeit schalkhafte Streiche spielt. So weit, so avantgardistisch, doch Cerronis schwermütig-lässige Handschrift, mit der er jede seiner Folk-, Rock- oder Elektronica-Kompositionen entwirft, sorgt stets dafür, dass dabei nicht einfach irgendein Surrealismus entsteht, sondern der besondere Surrealismus von Mushroom’s Patience. Auch „Jellyfish“, das im Wesentlichen elektronisch ausgefallen ist, aber auch den zuletzt so zentralen Americana-Elementen ihren Raum lässt, wird von dieser Grundstimmung zusammengehalten. Dass die Stücke oberflächlich betrachtet so unterschiedlich ausfallen, liegt auch daran, dass der Chef sich vornehm im Hintergrund hält und auch nur einmal, beim dröhnenden Titeltrack, selbst zum Mikro greift.

Viele Stücke sprechen eine Popsprache der frühen 80er und fröhnen einem Synthie-Minimalismus, bei dem „poppig“ und „derangiert“ keine Gegensätze sind. Exemplarisch hervor sticht „Cynical“ mit Roma Amors Euski am Gesang, zu dessen Auftakt eine Schellack-Sopranistin von einem Akkubohrer bearbeitet wird wie einst Marissa Mell in einem Umberto Lenzi-Film. Der Song weißt auch in die Richtung von Euskis eigenen aktuellen Aufnahmen. Andere Wegmarken sind das bedrohlich anmutende „Tearing the Place Down“ in Zusammenarbeit mit keinem geringeren wie Stephen Mallinder von Cabaret Voltaire, oder der kühl-kaputte Chanson „Subconsciousness Thrill“, der ganz auf Sängerin Genevieve Pasquier (u.a. Thorofon) zugeschnitten scheint. Man könnte im Grunde jeden der Songs hervorheben, die mit Unterstützung von Gästen wie Frank Lebel (The Box), Leo Maury (Niedowierzanie), Glenn Wallis (Konstruktivists), Andrea EV,  Peter Hope, Mathias Kom, Echo Eerie (Collapsing New People), Walter Robotka oder Kinderschreck Wolfgang Weiss (Cadaverous Condition) eingespielt wurden, und freilich findet jeder seine eigenen Höhepunkte, die er anderen Beiträgen vorzieht. Hervorheben möchte ich nur noch „Patricia“, ein jazziger Downer mit Chris Conelly (u.a. Finitribe, Revolting Cocks), dessen Stimme eine der besten Bowie-Pastiches zustande bringt, die ich je hören durfte, und einen erschütternden Text intoniert.

„Jellyfish“ ist ein Paradies für alle Namedropper, viel mehr noch eine reichhaltige Fundgrube für jeden Fan. Was den „tag“-Faktor angeht, so wünsche ich Raffaele die verdiente Aufmerksamkeit, v.a. der englischsprachige Raum sollte sich dieses rätselhafte Projekt nicht länger entgehen lassen. Wer nicht durch einen der vielen Namen auf das Album aufmerksam macht, den lockt vielleicht das seltsam erotische Covermotiv – man darf sich bloß von dem Wort “Qualle” nicht irritieren lassen. (U.S.)

Label: Klanggalerie