LAURENT PERRIER: Plateforme #1

In den nie endenden Debatten über Formen der Kreativität ist die Frage nach dem künstlerischen Dialog und die damit verbundene Frage nach Eigenständigkeit ein verlässlicher Dauerbrenner. Die großen Theorien dazu, deren Echos ungebrochen kollidieren, wurden freilich vor langer Zeit verfasst. An einem der Pole begegnet einem das lange totgesagte, in Wahrheit aber vital-untote Gespenst des Genies, das seine Alleinstellung auf Talent begründet und wohl auch noch im luftleeren Raum schöpferisch wäre. Dem entgegen steht der Künstler als Aneigner, der sich nicht nur im steten Austausch mit anderen befindet, sondern selbst das Fundament seiner Arbeiten im Rückgriff auf fremde Schöpfungen sieht – sei dies in Form freundlicher Übernahme oder durch dreiste parasitäre Freibeuterei. Vielleicht war Burroughs sein entschiedenster Propagandist, unter den Kopflastigen war es Harold Bloom, der die diebische Anverwandlung zu den Grundlagen jedes künstlerischen Werdegangs zählte und dem kreativen Einzelkämpfer schlicht Einflussangst bescheinigte.

Laurent Perrier, der nur zufällig wie eine berühmte Champagnermarke heißt, ist seit seinen Anfangstagen ein begeisterter Kollaborateur, hat solo, unter Pseudonymen und im Bandkontext immer wieder das Einverleiben von Fremdmaterial praktiziert. In seiner gerade begonnenen „Plateforme“-Reihe macht er dies zum Programm. Das Konzept ist so konsequent wie simpel: Perrier fragt jeweils drei Musiker, ihm eigenes Rohmaterial zu schicken, das er durch eine Vielzahl an Umformungen zu drei fertigen Stücken Elektroakustik vollendet. Der Unterschied zum Remix ist dabei weniger technischer Natur als eine Frage des Status der jeweiligen Bearbeitungsstufen, denn hier ist das sekundäre Medium das eigentliche Werk, während das nie veröffentlichte „Original“ wie die unterste Schicht eines Palimpsestes nur noch vage erkennbar ist und Anlass zum Spekulieren gibt. Wie um diese liebevoll anmaßende Haltung gegegenüber den Urhebern zu unterstreichen, werden die Kollaborateure auf den Status von Tracktiteln reduziert. Liebevoll ist das Ganze schon deshalb, weil es fraglos auch Züge einer Hommage hat.

Ergebnisoffenen war das Anliegen beim ersten Teil schon insofern, dass die drei Mitwirkenden – Felix Kubin, Lawrence English und Gianluca Becuzzi – sich nicht nur untereinander stark unterscheiden, sondern auch selbst auf ein jeweils sehr heterogenes Werk zurückblicken. Für Felix Kubin und Gianluca Becuzzi gilt, dass beide über die Jahre sowohl im Soundart- und Multimedia-Bereich als auch im Wave und seinen sperrigeren Spielarten aktiv waren. An manchen Stellen des ersten Stücks meint man, die leicht dadaistischen SciFi-Züge zu erahnen, die man v.a. mit Kubins Frühwerk(en) assoziiert. Was sich in jedem Fall den Weg ins Resultat bahnen konnte, ist seine Vorliebe für Analoges und seinen weiten, für allerlei Unberechenbarkeiten offenen Horizont. In den mal montierten, mal durchmischten Geräuschfragmenten steckt eine Bandbreite, die für einige Ambient- und Noisestücke gereicht hätte. In den unruhigen Mikrokosmos des von Perrier bearbeiteten Materials gibt es kaum Wegweiser, und doch stellt sich nie das Gefühl ein, einem reinen Klangpanorama zuzuhören.

Gianluca Becuzzi, bekannt durch seine Post Punk-Arbeiten mit Limbo und Noise Trade Company, steuert das atmosphärisch düsterste Material bei – ambiente Klangsequenzen, durchsetzt mit (Perriers?) Spiel mit Feedback. Aus den Hochfrequenzen kristallisiert sich mit der Zeit ein Klingeln und Bimmeln heraus, das sich immer mehr verdichtet und der Brachialität des ersten Stückes eine ebenso kraftvolle Konzentriertheit entgegensetzt. Das nach Lawrence English benannte Stück hält die introvertiertesten Momente bereit. Mehrere Drone-Schichten liegen nie ganz passgenau übereinander, generieren an den Schnittstellen knisternde Soundpartikel und Zufallsperkussionen.

Wer am Ende das Perrier’sche Minimum sucht, findet es am ehesten in seiner Kunst, etwas Wesentliches aus dem Material herauszuholen, ohne sich selbst zu sehr in den Vordergrund zu drängen, und so gilt selbst in diesen Dekonstruktionen noch das Blake’sche Teufelsdiktum: „Die erhabenste Tat ist es, einen anderen vor sich zu setzen“. Man darf gespannt sein, wie er das beim nächsten Teil mit Francisco Lopez und anderen machen wird. (U.S.)

Label: Bascaru