ADDIS PABLO: In My Father’s House

Wenn die Kinder bekannter Musiker eine eigene Karriere starten, heißt das nicht zwangsläufig, dass erst einmal ein Vater- oder Muttermord begangen werden muss, und in irgendwessen Fußstapfen zu treten muss keineswegs auf epigonalen Abklatsch hinauslaufen. Der Jamaikaner Addis Pablo ist eines der besten Beispiele für T.S. Elios These, dass Kreativität nicht immer konfliktreich vererbt wird, und dass durch freundliche Übernahme ebenfalls interessante Werke entstehen können. Addis Pablo ist der Sohn einer der größten Dub-Ikonen der Welt, nämlich Augustus Pablo, dessen einfache, aber feinsinnige Tunes stets an der Grenze zwischen erdigem Rootsreggae und spaciger Studioarbeit angesiedelt waren. Ganz nebenbei machte er auch noch die Melodica, eine wie eine Flöte spielbare Kinderharmonica, poptauglich, der Legende nach deshalb, weil sie irgendwo herumlag.

Ins Blaue gedacht könnte man den Titel, der auf die Offenbarung des Johannes anspielt und zugleich auf das Familienerbe bezug nimmt, als eine Art Flucht nach vorn betrachten, damit die musikalische Nähe zum Vater noch deutlicher als intendiert begriffen wird, doch hat man sich mit dem Debüt des Sohnes erst etwas vertrauter gemacht, entsteht mehr und mehr der Eindruck, dass das Haus ein ideeller, mythischer Schauplatz ist, der für Addis’ Werdegang wichtiger ist, als es biografische Daten sein könnten. Es könnte der Ort sein, in dem die Idee für Addis’ Name geboren und somit ein Bezug zum mythischen Abessinien gestiftet wurde, dem gelobten Land in der Eschatologie des Rastafari-Glaubens mit der Hauptstadt Addis Abeba. Über die Jahre wurden dort viele Wunder und Abenteuer erlebt und erträumt, die sich nun auf dem ikonenartigen Coverartwork wiederfinden.

Ein richtiger Kenner könnte nun alle wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Vater benennen, doch vielleicht genügt dem Interessierten ja bereits, dass Addis und seine Crew durchaus eigene Akzente einbringen, die über die Beiträge einer handvoll Gastsänger hinausgehen. Insgesamt hält sich Addis Pablo weniger im Hintergrund auf, spielt dezidierter, drängender, lässt sich in einigen Stücken zu echten Ornamenten auf der Melodica hinreißen. Solche melodischen Pirouetten verlangen volle Aufmerksamkeit, während man die Musik des Vaters auch genießen konnte, wenn man sie beim Hören regelrecht vergaß. Stets lassen die Melodien etwas Mystisches anklingen, das sich wohl in wenigen Kulturen über derart entspannte Rhythmen artikuliert, dass der geneigte Nordländer oft kaum anders kann, als die Musik zum Strandidyll bar jeder Spiritualität zu verklären.

Fünf Sänger steuern recht unterschiedliche Vocals bei, kleine Exkurse, die das rootslastige Kontinuum unterbrechen und bereichern. Pablo revanchiert sich postwendend mit je einem Remix des Beitrages, der dann jeweils die Brücke zu den restlichen, instrumentalen Stücken schlägt. Manche Lyrics politisieren und sind um die eine oder andere Phrase nicht verlegen, doch bei einer Musik, die so wenig selbstverliebt anmutet, ist das fast schon wieder egal. Pablo hat definitiv ein Händchen für das Zusammenspiel von Raum, Stimme und Melodie – wenn Jah Exile als heißerer M.C. über golden days toasted und die Melodica dazu in die unter elektrifizierten Halleffekten vibrierenden Klangräume dringt, erscheint sie tatsächlich wie das Echo aus einer Zeit, als in dem besungenen Haus neue mysthische Welten erkundet worden sind.

Zeitgleich zum Album erschien eine Doku, bei der der junge Pablo und befreudete Musiker ausgiebig über die Hintergründe seiner Musik berichten. (U.S.)

Label: Heartbeat Europe/JahSolidRock