IN GOWAN RING: The Serpent and the Dove

Wenn immer ein neues oder aufgewärmtes Musikphänomen auf der Bildfläche erscheint, gibt es Vorreiter, denen der Ruhm der Popularität verwehrt bleibt, dafür aber die Liebe und Anerkennung dezidierter Anhänger auch über einen Hype hinaus sicher ist. Im Folk und seinen dunklen, psychedelischen Spielarten, der im letzten Jahrzehnt in aller Munde war, ist B’ee eine solche Figur. Mitte der 90er gründete er sein Projekt In Gowan Ring, das einem kleinen, aber graduell wachsenden Kreis an Enthusiasten ein Garant für feinsinnigen entrückten Folk mit mittelalterlichen Einflüssen werden sollte. Mit Birch Book entstand im nächsten Jahrzehnt ein weiteres Projekt, das persönlicheren Texten und weniger abstrakten Klängen Raum gab. Mit der Zeit schien sich beides immer mehr anzunähern. Rund zehn Jahre nach Weide Folk und dreizehn Jahre nach dem letzten In Gowan Ring-Album erscheint nun das erste musikalische Lebenszeichen unter diesem Namen. Unter anderem verdeutlicht „The Serpent and the Dove“, dass es trotz aller Annäherung immer noch Unterschiede zwischen den beiden Bands gibt: Ist Birch Book ein erdiger Roadmovie im Medium der Musik, so ist In Gowan Ring nach wie vor sein magischer Zwilling.

Was (zumindest mir) schon auf den ersten Eindruck auffällt, ist die selbst für In Gowan Rings Verhältnisse starke Introvertiertheit, mit der sich das Album an seine Hörer heranpirscht. „The Serpent and the Dove“ enthält keine Songs, die sich einem wie „White Angel“, „Hazel Steps“ oder „The Seer and the Seen“ unmittelbar als Ohrwurm im Kopf einnisten, denn es ist von einer viel leiseren Magie, die unscheinbar im Verborgenen wirkt und ihre Kraft erst nach und nach entfaltet. Das heißt nicht, dass es keine ausnehmend schönen Momente gäbe. Die gibt es z.B. gleich nach der streicherlastigen Einstimmung im Song „Thousands of Bees“, das wohl einen Traum protokolliert und dessen eher verträumt-verbummeltes Gitarenspiel durch sehr stark nach vorn gemischte Vocals konterariert wird, so dass man Bees sanfte Stimme scheinbar direkt am Ohr erlebt. Es gibt solche Momente auch beim weniger intimen, dafür noch entrückteren „Sial at Play“, das mit Flöten und Perkussion einen weisen Alten und einen Teil seiner Welt zu neuem Leben erweckt. Ebenfalls gibt es sie bei dem einzigen Pianostück des Albums, „A Song, A Story and a Stone“, dass vom Verlorengehen in Sehnsucht, aber auch vom Erwachen nach tausend Träumen kündet, und nach Art eines romantischen Kunstliedes all das beschwört, das nach „powerful feelings“ und „recollection in tranquility“ (W. Wordsworth) bleibt – ein Lied für die Seele, ein Buch für den Geist und ein Stein für den Leib. Es geht um viel in „The Serpent and the Dove“, sehr allgemein gesprochen um nahezu alles, was sich zwischen dem Göttlichen und dem Teuflischen befindet, das die beiden Tiere im Titel symbolisieren.

Das beeindruckendste Stück ist das rund neunminütige „Field of Dreams“, das unter Beckenrauschen und allerlei mittelalterlich anmutenden Klangideen vom Sterben und Werden erzählt und in der Mitte zu einem ausgelassenen Tanz aufspielt, bei dem unter Trommeln, Maultrommeln und etwas, das wie Froschquaken klingt, für Minuten der Vorhang zu einer anderen Welt zur Seite gezogen wird. Dies erinnert etwas an das Interlundium „Dance, Dance“ in der Mitte von B’ees „Song of Pan“-Interpretation, mehr vielleicht noch an die immer zwischen Song und Soundscape changierenden Stücke auf „The Glinting Spade“ – man denke nur an den floralen Liebeszauber in „Two Wax Dolls“, der zunächst singend beschworen wird, während man in der zweiten Hälfte in den verschlungenen Bläser- und Droneklängen scheinbar wirklich etwas wachsen hört.

Das Label vergleicht In Gowan Ring mit Dead Can Dance und den Kompositionen Michael Cashmores, was legitim ist, doch steht B’ee letztlich so sehr für sich, dass seine Musik derartige Vergleiche nicht einmal nötig hat. Schön, dass es In Gowan Ring immer noch (oder wieder) gibt, mögen beide Projekte noch viele Jahre bestehen! (U.S.)

Label: Les Disques du 7ème Ciel