LOU REBECCA: s/t

Was wäre das neue Jahr, wenn nicht bereits eine neue junge Sängerin mit stylischem Synthiepop nach Retroart debütiert hätte? Lou Rebecca, die aus Paris stammt, aber heute im texanischen Austin lebt, singt, haucht und tremoliert auf englisch und französisch, ihre Musik versteht die Sprache gewollt ernster Wave-Romantik und leichten Disco-Flairs, und doch haben die vier Songs auf ihrer selbstbetitelten EP eine Färbung, die sie, zumindest für Momente, deutlich aus der Flut solcher Musik heraushebt.

Mehr noch als die permanente Überschreitung des gewohnten Synthie-Narrativs durch Kunstlied- und dezente Postpunk-Elemente mittels Piano, Klarinette und Saxophon ist dies eine vielleicht nicht einmal gewollte Schlagseite in Richtung der französischen Popgeschichte, die sich nicht nur über die Sprache, sondern v.a. über typische Stimmungen durch das Minialbum zieht.

“Tonight” beginnt mit soft säuselnden Hochtönereien, dezente Gitarren prägen das Bild fast unbemerkt, und wenn sich die Drum Machine und die betont cheesy Synthies dazugesellen, wenn die ganzen unsterblichen Popsujets erst ihren Weg durch sanfte Gesangsmelodien gefunden haben, hat sich der Charakter dieser Musik längst offenbart, und der erinnert mehr an Goldfrapp, mehr an Shirley Bassey und gestyltes 60s-Feeling als an die vielen desolaten Retrowaver, die solcher Musik ansonsten ihren Stempel aufdrücken. “So ist es halt”, scheint diese Musik zu sagen, im Unterschied der gängigen, pseudokühl übertünchten Lamoryanz, und das funktioniert sogar in den ganz melancholischen Augenblicken wie dem Auftakt zu “If you can” mit Streichern und Klarinette. Der Songs wird sich schnell als der große Ohrwurm unter den vier Stücken offenbaren, und die mittelalterliche anmutenden Bläsersoli in der Mitte zählen zu Lou Rebeccas besten Soundideen.

Sehr charmant ist ihr elegantes Switchen zwischen English und Französisch in der Single-Auskopplung “Fantôme”, bei der sie sich tagträumerisch an einem Panorama aus stylischen Orgeln und verzaubertem Glockenspiel entlanghaucht. In “Neverending” ofenbart sich einmal mehr ihr für ein Debüt respektables Repertoire an Techniken und Stilelementen, bei dem ein fast kammermusikalisches, auf Klavier bauendes Intro und ein euphorischer Refrain (“Dance dance dance, it never has to end”) zu einem diskofox-artigen Takt und ein skelletierter, luftiger Sound, in den immer wieder musicalartige Synthie-Streicher einbrechen, keine Gegensätze darstellen.

Natürlich hat die Welt schon genügend gelungene Popplatten mit interessanten Soundideen gehört und abgefeiert, aber für ein fast ein bisschen verhuscht daherkommendes Debüt einer Sängerin und Musikerin, die fast alle Instrumente selbst eingespielt hat, ist diese EP, die auf Tape und als 12″ zu haben ist, ein durchaus lobenswertes Resultat. Vor zehn Jahren wäre aus solchen Voraussetzungen vielleicht ein introvertiertes Folkalbum entstanden – nach zwei oder drei Jahren wäre die Künstlerin dann zu einem luktativen Mainstream-Indie gewechselt, und nach Einsetzen des Ruhms wäre das Debüt schnell in Vergessenheit geraten. Ich bin gespannt, wie es hier weitergeht. (J.G.)

Label: Holodeck