ST. MICHAEL FRONT: End of Ahriman

In der zoroastrischen Religion des Iran verkörpert Ahriman als Gegenpol zum „guten Gott“ Ahura Mazda die Kräfte des Chaos und der Zerstörung. In einem Kosmos, in dem solche Kräfte auf ewig um die Vorherrschaft ringen, muss der Mensch in erster Linie die Balance suchen und im besten Fall auch die ahrimanischen Kräfte für sich nutzen. Als eine solche Entität taucht Ahriman zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in den Lehren Rudolf Steiners auf, der ihn zusammen mit Luzifer und anderen Wesenheiten als großen Herausforderer der Menschheit verstand. Sein Widersacher ist in diesem Kontext der Erzengel Michael, der als lanzentrangender Drachentöter die Menschen befreit und ihnen Trost und Sicherheit bringt.

Vor zirka zwei Jahren machte erstmals das Hamburger Duo St. Michael Front von sich reden, und wer sich etwas eingehender mit dem verqueren Gebräu aus Wave, Folk und Garage Pop auf ihrer EP „In the Wake of a New Dream“ befasste, stellte schnell fest, dass ihr Name Programm war und dass sie sich mit starken Symbolen bepackt tatsächlich diesem mythischen Kampf guter und böser Kräfte widmeten. Gerade in heutiger Zeit sei die Menschheit mehr denn je zum Spielball dieser Kräfte geworden, weswegen die beiden Hanseaten sich mit ihrem ersten Longplayer „End of Ahriman“ nun endgültig anschicken, die destruktiven Mächte des Universums mit Schmalz und Getöse in ihre Schranken zu verweisen.

Zu den Dingen, die der Musik des Duos ihren besonderen Reiz verleihen, gehört neben ihrem eingängigen Popappeal ihre notorische Ungreifbarkeit. Da wäre zum einen der musikalische Ort der beiden und das Echo eventueller Einflüsse – man meint Midge Ure, Echo and the Bunnymen, Wovenhand, Death in June der „Nada!“-Phase und jede Menge englischen Mod-Kram zugleich herauszuhören, was an sich schon eine beachtliche Bandbreite ist, aber obendrein ist die Musik doch mehr als die bloße Summe all dessen. Zum anderen weiß man nie so recht, wie ernst oder unernst Sascha Schäfke und Matthias Tedjasukmana, die neben zahlreichen geteilten Interessen wohl auch eine Walldorf-Jugend gemeinsam haben, es mit ihrem Anliegen meinen, wie viel Ironie in dem überbordenden Pathos ihrer Musik und ihrer Texte liegt. Ich schätze, dass es am Ende auf eine paradoxe Mischung aus alldem hinausläuft, bei dem das Ironische aber überwiegt.

Vergriffen ist die EP bislang noch nicht. Da sie es aber irgendwann sicher sein wird, wird es die Fans der zweiten Stunde freuen, dass ihre vier Tracks auch auf dem Album vertreten sind: das bombastische „Rifles & New Gods“, das mit seinen Kirchenglocken und einer furiosen Schrammelgitarre alle Register zieht und ein bisschen wie eine nicht ganz akzentfreie deutsche Antwort auf Theatre of Hate klingt; „Doom of the Living Room“, das mit martialischer Snaredrum und Westerntrompete zum Showdown ruft und den großen Aufbruch beschwört, während ihm der Schalk aus allen Poren trieft; die beiden Schmachtfetzen „Once“ und „I’m Fine“.

Die Stücke fügen sich nahtlos in das Album ein, das mit weiteren Hits aufwartet, bei denen wie gewohnt die unterschiedlichsten Stilversatzstücke weniger kollidieren als vielmehr wie von Zauberhand zu einer weiteren, wiedererkennbaren Soundfacette der beiden verschmelzen. Da mischen sich der langgezogene Eighties-Gesang und die demonstrativ nach vorn gemischte Drummachine, die perfekt für Zeilen wie „like a symphony in heaven“ gemacht sind, schon mal mit einer komödiantischen Slideguitar-Imitation, als wäre es das Passendste der Welt, da folgt ein lupenreiner Wavesong wie das dumpfe „Higher Source“ auf ein nostaligisches Banjo und eine gepfiffene Melodie, und auch dies passt, denn in dieser Welt der positiven Mächte hat auch die respektlose Nonchalance gegenüber musikgeschichtlichen Gegensätzen etwas Belebendes und Befreiendes. Die Lagerfeuerhymne „They Burn“, das einen ähnlichen Hit wie “Once” abgeben könnte, ist mein persönlicher Favourit und der deutlichste Abgesang auf alle Forces of Evil.

Ich habe keine Ahnung, wie lange es St. Michael Front geben wird, denn für ein dahintreibendes Phänomen wie eine klassische Band ist das ganze zu sehr Rollenspiel, Kunstprodukt und Einladung zum Namedropping. Doch in dem gesteckten Rahmen irgendwo zwischen „Christian Kracht als Popband“ und „beste Neofolk-Karikatur seit ‘Swastikas for Noddy’“ scheint mir noch einiges möglich, und ich hoffe, dass sie das in gleichbleibender Frische nutzen werden. (U.S.)

Label: Staatsakt / Caroline International