JEAN C. ROCHE: Birds of Venezuela

Unter Ornithologen, also Vogelkundlern, ist Jean C. Roché seit langem ein bekannter Name, gehen doch Aufnahmen zahlreicher Vogelstimmen aus mehreren Kontinenten auf die Arbeit des Franzosen zurück. Und die war ausgespochen arbeitsintensiv, denn es ist eine Sache, auf Forschungsreisen den Stimmen exotischer Vögel vor dem Hintergrund ihrer klanglichen Umgebung nachzuspüren, eine andere jedoch, die “Urheber” auszumachen und zu katalogisieren. Inwieweit solche Aufnahmen zu Forschungszwecken auch als Musik gelten können, ist eine oft diskutierte und vielleicht nie vollends zu klärende Frage – unstrittig ist, dass auch bei unbearbeiteten Aufnahmen von Tierstimmen immer Gemeinsamkeiten zu musikalischen Ausdrucksweisen bestehen, dass sie ausgesprochen schön sein können und dass zahlreiche Musiker und Klangkünstler wie Dave Phillips diese in ihre Werke einbauen. Nicht nur deshalb sollten Aufnahmen wie Rochés “Birds of Venezuela” auch hier ihren Platz haben.

Das Werk entstand in den frühen 70ern, als Roché nach einem längeren Aufenthalt in der Karibik das Land bereiste und mit seinen Aufnahmegeräten ausgedehnte Urwaldtrips unternahm. Was er dabei fand, wurde, wie über hundert andere seiner Tondokumente, auf Platte herausgebracht und ist jetzt erstmals – mit neuen Liner Notes von David Toop – wieder erhältlich.

Bei den fünf Abschnitten, die nach geografischen Orten eingeteilt sind, stehen die Vögel im Vordergrund, aber die restliche Natur des Landes spielt immer wieder eine Rolle und fungiert nicht selten als Hintergrundkulisse, vor deren Quaken, Summer, Zirpen, Plätschern, Rumpeln und Rauschen sich die beeindruckenden Vogelstimmen oft kontrastiv abzeichnen. Vieles klingt zunächst einmal vertraut: das Insektenzirpen zu Beginn von “Ocumare”, das liebliche Zwitschern und Trillern der Singvögel, die lauten Schreie ihrer vermutlich etwas größeren Nachbarn und das an Haushühner erinnernde Gackern in vielen der einzelnen Aufnahmen. Doch stets brechen fremdartige, bizarre Geräusche ins vertraut wirkende Bild – schrille Hochtöner, die nicht nur aufgrund ihrer rhythmischen Wiederholung an Synthies erinnern, und die man kaum für Tierstimmen halten würde, wenn man es nicht wüsste, wechseln sich ab mit der Illusion eines Flötentones und kratzigen Details, die klingen, als justiere jemand am Regler seines Radios bei schlechtem Empfang. Manchmal meint man, menschliche Stimmen zu hören.

Kurz darauf wähnt man sich wieder in einer geradezu mitteleuroäischen Vogelwelt, und immer wieder spannt der Zufall (oder die innere Logik der sonoren Fauna) geradezu symphonische Bögen vom Vertrauten zur Exotik und zurück. Exotisch muten auch die ultrahohen Pfiffe an einem Ort namens Gran Sabana an, die mit der Zeit auf eine Art zu eiern und tremolieren beginnen, die komisch wirkt und etwas an einen Kuckuk erinnert.

So sehr die Klangfolgen, Harmonien und Melodieansätze auch ihrem ganz natürlichen Vorhandensein und im Detail auch immer dem Zufall zu verdanken sind, steckt in der vorliegenden Aufnahme dennoch auch eine individuell menschliche Handschrift insofern, dass Roché in der Wahl seiner Aufnahmen und erst recht in der Auswahl dessen, was auf die Platte kam, keine willkürlichen Entscheidungen getroffen hat, auch wenn diese ursprünglich nicht als Kunst gedacht sein müssen. Und so bleibt nichts anderes, als beides, die Fülle der Klänge des tropischen Landes und seiner Vögel und das gute Ohr des Ornithologen gleichsam zu bewundern. (U.S.)

Label: Sub Rosa