AUDREY CHEN: Runt Vigor

Der Mund-, Nasen- und Rachenbereich ist eine Körperregion, die zahlreiche Geräusche produziert, und viele davon sind für das durchschnittliche Ohr weit weniger attraktiv als die vielleicht beliebtesten Äußerungen dieser Organe, das Singen und das Sprechen. Das leicht klebrige Geräusch von Lippen, die sich voneinander lösen, das noch nassere der Zunge, wenn sie den Gaumen kurz berührt, der Klang des Atems, wenn er in Keuchen, Hecheln oder Röcheln übergeht, oder wenn er durch die nicht ganz trockene Nase zieht, ein zwar stimmloses, aber dennoch geräuschvolles Gähnen, das Schmatzen beim Essen oder die Küsse anderer Leute – dies und einiges mehr wird immer wieder auch als störend empfunden, wenn es unverhofft kommt und einen annehmbaren Pegel überschreitet. Manche assoziieren schon bei diesen Geräuschen Körpergerüche.

Keine Frage also, dass man mit Klängen dieser Art ausgesprochen gut experimentieren kann, und eine, die das auf besonders interessante Art macht, ist die chinesisch-amerikanische Cellistin und Improvisationsmusikerin Audrey Chen, die die Stimme als Klangerzeuger in und außerhalb des Gesangs zuletzt immer mehr ins Zentrum ihrer eigenen und kollaborativen Arbeiten stellte. Ihr gerade erschienenes Album “Runt Vigor” besteht aus vier Abschnitten, die schon von der Titelgebung her auf eigenwillige Art miteinander verwoben sind, zusammen sind sie ein Narrativ, das den Körper vom Mund bis zur Hand “zuwort” kommen lässt. Das erste, “Heavy”, bewegt sich noch ganz in der Sphäre des nassen, oralen Gluckerns und des hastigen Atmens und Quiekens und verlangt einem einiges ab, v.a. gegen Ende, wenn das ganze Klangszenario in der Intensität auf einen Höhepunkt zuläuft. Beim folgenden “In the” kommen weitere Elemente dazu, Samples oder verfremdete Instrumente, die sich wie ein tropisches Vogelkonzert anhören und dem Hauch des Atems den vorderen Bühnenrand nicht allein überlassen – bis dieser sich immer mehr dem Monströsen annähert und wie ein Orkan durch den Klangraum fegt.

“Mouth” wirkt im Vergleich wie die Ruhe vor dem Sturm, das Stück ist smoother, ambienter, doch auch hier sind die Stimmorgane durchweg zu hören, produzieren schamanistisch anmutende Echolalien, die man zeitweise für eine echte Sprache halten könnte, und gleichsam ist das tiefe, warme Cello auch erstmals etwas deutlicher zu hören, wie es mit seiner unebenen Oberfläche ein dunkel dröhnendes Fundament bildet. Doch alles steuert auf das finale “Heavy in the Hand” zu und kommt hier zusammen: Luftröhre, Zunge, Lippen, verkabelt und außer Atem, der hölzerne Resonnanzkörper des Cello, Urwaldtiere, ein lautes Froschkonzert – alles steigert sich langsam und gerade deshalb so intensiv, kulminiert in einem von schrillen Schreien gekrönten rhythmischen Klappern.

Ein furioses wie kurioses Narrativ an der Schnittstelle von Ka Baird und MSMiroslaw, das gekonnt die unterschiedlichsten Motive streift und dabei das Abjekt – schon im an Hannah Höch und Yasutoshi Yoshida erinnernden Artwork, bei dem diverse Schleimhäute nicht allzu plakativ und somit noch aussagekräftiger exponiert sind – auf ganz eigene Art zum Thema macht. (U.S.)

Label: Karlrecords