GONZO: Ruído(s)

Wer die raffinierten und teilweise sogar poppigen Soundcollagen, die Gonçalo F. Cardoso in den letzten sieben Jahren unter dem Namen Gonzo produziert hat, kennen und lieben gelernt hat, der wird den folgenden Satz als schlechte Nachricht auffassen: “Ruído(s)” ist das – zumindest vorläufige – Abschiedsalbum des an verschiedenen Instrumenten und im Umgang mit Alltagssounds versierten Portugiesen. “Ruído(s)” ist aber auch eine gelungene und z.T. ausgesprochen humorvolle Feier musikalischer Kreativität und zeigt der Nachwelt, wie Pop heute sein könnte, würde man ein kleines bisschen Schrägheit etwas weniger fürchten.

Bei der frühlingshaften Szenerie aus Meeresrauschen und lamentierenden Seevögeln, aus der im eröffnenden Titelstück irgendwann bläserartige Synthies auftauchen, um eine nostalgische Wave-Melodie anzustimmen, könnte man glatt an Nový Světs “Todos las Ultimas Cosas” denken, das seinerzeit auch ein vorläufiges Abschiedsalbum war. Doch die Musik auf “Ruído(s)”, die immer wieder eine soundtrrackartige Seite offenbart, versprüht keineswegs nur Wehmut. “Vinha D’alho” zeigt eine Szene aus der Totalen, in der ein Unsichtbarer mit feurigen Antriebsrufen die Stimmung aufheizt, “En(Fado)” beginnt mit leidenschaftlichem, glöckchenunterlegtem Gesang und einer schmetternden Gitarre und endet beinahe unter einer Noiselawine, und überhaupt scheint jeder Track eine kleine Ezyklopädie an Details zu sein.

Gerade die zweite Seite liefert einiges an Kurzweil vom einernden Wohlklang in “Delgado(s)” über Tempospiele in “Cantiga Parva” und launige Takte voll zweckentfremdeter Sounds in “Tarzan Taborda” bis zur coolen Erschöpfung in “Sancho e Pingo”. Meist sind es jedoch die längeren Kompositionen, bei denen die Fertigkeit des heute auf den kanarischen inseln lebenden Künstlers im Umgang mit ganz unterschiedlichem Material, dessen Kollagiertheit er nie zu verstecken versucht, am deutlichsten ins Auge fällt. Sollte ich einen Favoriten benennen, dann wäre es vielleicht “Brilhante Cortejo”, bei dem sich ein wunderschöner Folksong mit Trompete aus sirupartigen Drones windet. Oder “São João”, das mit seinen Rhythmen im Regen ekstatisch und melancholisch zugleich daherkommt und für Momente eine Gesangsspur wie einen dicken Schriftzug auf die Szene geklebt bekommt, die wie ein Gebetsruf anmutet.

Zum Abschied eine volle Schatztruhe – da kann man sich nur bedanken und mit einiger Zuversicht (und natürlich nicht ganz ohne Wehmut) hoffen, dass Cardosos künftige Aktivitäten ebenso reichhaltige Ergebnisse hervorbringen. Wer sich etwas auskennt weiß ohnehin, dass er die Welt nicht nur mit seiner eigenen Musik bereichert. (U.S.)

Label: Discrepant