FUNERAL SOUVENIR: La Noche del Anhídrido

Beim Anblick des melancholisch dreinblickenden Akkordeonspielers auf dem Cover erwartet man wohl etwas anderes als die dystopischen Lärmwellen, die “La Noche del Anhídrido” mit einem Donnerschlag eröffnen und das Fundament für sperrige, unregelmäßige Rhythmen bilden. Vielleicht wird der eine oder andere beim Albumtitel, der eine gewisse Bizarrheit zumindest andeutet, stutzig, aber was weiß man hierzulande schon über die vielfältige spanische Industrial-Tradition, aus der den meisten nur Esplendor Geometrico ein Begriff ist.

In genau dieser ist der Madrider Miguel A. Ruiz seit Beginn in den frühen 80ern eine zentrale Größe und rief neben den Veröffentlichungen unter seinem eigenen Namen, teils solo, teils in Kollaboration, Projekte wie Exhaustor, Orfeon Gagarin, Ventral Metaphor, Ambulatorio Segreto, Codachrom, Dekatron II  und eben Funeral Souvenir ins Leben. Mit “La Noche del Anhídrido” brachte er 1987 ein Tape heraus, das weit über den lokalen Rahmen hinaus Wellen schlug und heute als einer der Klassiker rhythmischer Geräuschmusik gilt.

Raue, ambiente Loops und bruitistische Rhythmen bilden das Grundgerüst des aufwühlenden Klangfabrikats, das seine apokalyptische Dramatik mit martialischen Samples aus Radio und Fernsehen sowie entsprechenden Tracktiteln untermalt und ansonsten mit trockener Beiläufigkeit inszeniert. Hypnotisch vibrierende Dröhnung und dezent eingesetzten Orchestralpathos erfüllen ihre Aufgaben bestens, doch das wichtigste Mittel der Dramaturgie sind die Rhythmen: Von dumpfem Wummern über halsbrecherische Proto-Breakbeats bis zu ratterndem Metallgedresche, das an endzeitliche Stammesrituale erinnert, wird manches Register gezogen.

Nach einer CD-Wiederveröffentlichung vor zehn Jahren hat das Label Verlag System das erneut vergriffene Album diesmal auf Vinyl herausgebracht, neben zwei Compilation-Tracks von besonderer Experimentierfreudigkeit sind auf der digitalen Version zwei weitere Tracks enthalten, die das Werk nicht nur für Neueinsteiger interessant machen sollten. Das neue Artwork basiert übrigens auf einen Foto von Ed Clark mit dem Titel “W eeping Graham W. Jackson Sr. playing his accordion as the body of the recently deceased President Franklin D. Roosevelt was being transported to Washington, DC.”. (J.G.)

Label: Verlag System