AARON DILLOWAY / LUCRECIA DALT: Lucy & Aaron

Es gibt sicher eine ganze Reihe an Künstlern, deren kreative Ansätze wie geschaffen sind für gemeinsame Unternehmungen, vorausgesetzt der Zufall sorgt dafür, dass sich ihre Wege irgendwann kreuzen. Ich weiß nicht, ob die in Berlin lebende Klangbastlerin Lucretia Dalt und Wolf Eyes-Gründer Aaron Dilloway schon voneinander gehört hatten, als sie vor zehn Jahren zum ersten Mal beim gleichen Festival auf Madeira auftraten  – jedenfalls wirken ihre zerklüfteten elektronischen Soundgebilde, bei denen jeder Ton sitzt, und seine anarchischen Lärmkollagen, die vor keiner noch so weit hergeholt wirkenden Kombinatorik halt machen, wie geschaffen dafür, sich zu verstehen und zu ergänzen.

Das war den beiden wohl auch schnell klar, oder vielleicht war es auch nur Sympathie, jedenfalls blieben sie über die Distanz in Kontakt, und als Dalt vor der Pandemie durch die USA tourte, nahm sie Dilloway als Einheizer mit, und als Krönung wurde das vorliegende Album “Lucy & Aaron” aufgenommen – ein für “experimentelle” Standards ausgesprochen kurzweiliges Werk mit zwei Handvoll Noise-Miniaturen von 2-4 Minuten Länge, deren Überschuss an spontanen Ideen locker für zwei Alben gereicht hätte.

Wenn zu Beginn ein unverständliches Radiosample erklingt, fühlt man sich als Hörer gleich in die Mitte eines merkwürdigen Geschehens gebeamt, in dem dank primitivistischer Loops nicht nur ein tanzbarer Groove entsteht, sondern auch ein ganz spezielles, nur schwer fassbares Zeitgefühl herrscht. Auch Lucrecias gehauchte Flüsterstimme, die merkwürdig ins Stocken gerät, hilft da nicht weiter. Rhythmische Strukturen, in ihrer Klangmaterialität ungewöhnlich, bilden oft das Rückgrat der einzelnen Stücke, um das sich weitere Komponenten schlängeln. In “Demand of Ordinary Devotion” entsteht ein peitschender Takt im Midtempo, der ohne wirkliche Beats auskommt und wie ein eisernes Gitter die Kulisse für Lucrecias aggressive Shouts abgibt. Im fast poppig-synthielastigen “Yodeling Slits” drücken ähnliche Rhythmen einen verwehten Gesang noch mehr in den Hintergrund. Das alles ist rasant und gleichzeitig von beeindruckender Subtilität, die so gekonnt mit Andeutungen arbeitet, dass man beispielsweise die Rhythmnoise-Eruption im hochfrequenten “Trueno” gar nicht vermisst, gleichwohl man gar nicht anders kann, als sie zu erwarten.

Unaufgeräumtes Rattern und Rumpeln von postapokalyptischem Kolorit bildet das zweite große Leitmotiv. In “Bordeandola” rollt kleinteiliges Geröll durch einen dubbigen Hallraum und tanzt von einer Ecke zur anderen, erst flächige Synthies halten alles halbwegs in Schach. In “Voyria” bildet metallenes und anderes Rattern und Knirschen eine Schutthalde, aus der eine orientalisch klingende Melodie (auf der Klarinette?) wie eine verbotene Pflanze empor wächst. Das von einer abgehackten Rezitation vorangetragene “Both Blue Moons” ist eine wahre Wundertüte an kleinteiligem Klappern, Knistern und Rauschen.

Vielleicht sind es die verkappten Hits, die sich am längsten im Ohr einnisten, und die auch Hörer jenseits der nerdigen Avantgarden anfixen könnten. “The Blob” mit seinem Mix aus Ratterloop und Dalts hallunterlegtem Wave-Gesang wäre ein ordentlicher Clubhit für Nachtschwärmer, die nicht immer das gleiche hören wollen, und “Niles Baroque” betört mit einem Gesangs-Duett, dessen einprägsame Melodie haften bleibt  – zumindest bis Dilloway ins Grummeln verfällt. Wenn das Album mit paranoidem Geflüster ausklingt, das sich so nah am Ohr anfühlt, dass man es für Sekunden im eigenen Kopf verorten mag, mit dem Hubschrauber eine seltsame Gegend überquert zu haben, in denen es vor immer noch unentdeckten Kuriositäten wimmelt. Und garantiert sieht dort bei der zweiten erkundung alles ganz anders aus. (A. Kaudaht)

Label: Hansen Records