GONÇALO F. CARDOSO: Impressões de Outra Ilha

Dass das auf den Kanaren beheimatete Label Discrepant schon lange als Qualitätsgarant an der Schnittstelle von Soundexperimenten und wagemutiger Weltmusik gilt, hat sicher auch damit zu tun, dass sein Gründer Gonçalo F. Cardoso ein leidenschaftlicher Globetrotter ist, der auf eigene Faust wenig bekannte Regionen bereist. Bei einem Musiker und DJ mit Vorliebe für außereuropäische Musik und originelle Geräusche überrascht es nicht, dass er bei seinen Reisen immer wieder den ortsttypischen, aber auch den ungewöhnlichen Sounds auf der Spur ist und meist mit einer üppigen Sammlung zurückkehrt.

Zu den bevorzugten Reisezielen des Inselbewohners gehören andere Inseln, eventuell, weil ihn die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu seiner Wahlheimat Teneriffa faszinieren und herausfordern. So entstand irgendwann die Idee einer “Impressões”-Reihe mit Releases, die sich jeweils einer einzelnen Insel widmen, und deren erster und bis vor kurzem einziger Teil 2018 die Klänge und das Leben auf Unguja, der Hauptinsel von Sansibar dokumentierte. Schon 2016 reiste Cardoso mit einem tragbaren Aufnahmegerät, kleineren elektronischen Instrumenten und anderem Equipment durch Natur und Zivilisation der Insel Borneo, deren Nordteil nicht zu Indonesien, sondern zu Malaysia gehört. Aus dem dort aufgezeichnetem Fundus an akustischen Erinnerungen entstand der neue Teil der Reihe: “Impressões de Outra Ilha”.

Wenn zu Beginn der Aufnahme (leicht verfremdete?) Vögel und andere Tierstimmen zu hören sind, und sich ein unregelmäßiges Rauschen, das von der Sendersuche eines Radios stammen könnte, mehr und mehr hinter die Szene schiebt, zeichnet sich bereits das Ineinandergreifen von Wildnis und Menschenwerk ab, das weite Teile der LP durchzieht  – vielleicht noch deutlicher wird hier eine aufgeweckte, abenteuerlustige Grundstimmung, die die Impressionen nicht nur eindrucksvoll, sondern auch kurzweilig macht. Oft scheint die Natur dabei den Szenen den markantren Stempel aufzudrücken: Beinahe dramatisch wirkt der Moment, wenn ein Zikadenchor die entzückende Melodie einer Flöte schluckt, und man meint die Hitze zu spüren im befreienden Gewitter von “Two Hornbills and a Dollar Bill”. Mit der Zeit beruhigt sich die Stimmung, es wird abendlich nett, einzig das Vogelkonzert scheint keinen Nachtmodus zu kennen.

Ganz der einheimischen Kultur ist der Besuch im “Kucking Mall Temple Room” gewidmet, in dem das anrührende Solo einer Sängerin zu hören ist. Über den Kontext kann man spekulieren und recherchieren, oder man lässt sich einfach auf die Impression ein, bei der man sich schon aufgrund der Umgebungsgeräusche wie in einem Film fühlen kann. Auch die zweite Seite endet mit einer solchen Performance, doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, auf dem einen eine Fülle von …begegnet : Insekten und Amphibien außer Rand und Band, verhuschte Melodien, verzerrtes Rauschen, dass alles in einer Lärmorgie verschlucken könnte. Stömender Regen, der zur Kulisse eines hypnotischen Saitenspiels wird, die Trockenheit einer Werkstatt.

Gleichwohl man an vielen Stellen die ordnende Hand des Kurators und Producers heraushört, hält sich durchgehend der Eindruck, dass Cardoso die Erinnerungen selbst sprechen lässt und viel weniger mit dem Gedanken an Konzepte beschäftigt ist. Das ist sicher auch einer der Gründe dafür, dass seine Arbeiten nie in trivialen Exotismus oder in selbstgefällige Theoriehörigkeit kippt. (U.S.)

Label: Discrepant