SHARIF SEHNAOUI: Recoil/Relent

Lange, improvisierte Solostücke auf der akustischen Gitarre und das ganz ohne technisches Beiwerk – man vermutet solcherlei vielleicht am Ursprung der Laufbahn eines jeden Gitarristen. Im Werk des seit den 90ern aktiven libanesischen Improv-Gitarristen Sharif Sehnaoui spielten solche vermeintlich einfachen Alleingänge zunächst kaum eine Rolle, denn soundbezogenes Equipment gehörte bislang immer dazu und meist auch Kollaborateure in unterschiedlicher Zahl.

Vielleicht spielten die Einschränkungen und Unsicherheiten der Pandemie eine Rolle, jedenfalls begann Sehnaoui in den vergangenen zwei Jahren die Solo-Improvisation zu erkunden, und bereits 2020 erschien auf einem amerikanischen Label das im Homerecording aufgenommene Two Track-Album “Concave/Convex”, dem jüngst das bei Tunefork aufgenommene, ansonsten aber einer ähnlichen Herangehensweise folgende “Recoil/Relent” folgte.

Wie sein Vorgänger enthält “Recoil/Relent” zwei rund halbstündige, in sich stark wandlungsfähige Gitarrentracks, die aufgrund ihrer Bandbreite an Spielweisen und Stimmungen und ihrem gekonnten Umschiffen jeglicher Längen ein wunderbares Konzert abgeben würden. “Recoil” beginnt mit unregelmäßigem Strumming und erinnert an einen stimmungsvollen Score für verregnete Nachmittage – eine immer deutlicher werdende Unruhe und die wohl bewusst im Unklaren gelassene Stoßrichtung, was Rhythmik und Tonfolgen angeht, wirkt eher befreiend und somit alles andere als uninspiriert. Durch alle Windungen und Wandlungen – durch laute und leise Passagen mit Momenten der Stille, durch temperamentvolles Allegro, Flammenco-Rhythmen und besinnlichen Fingerstyle von ausnehmlicher Lieblichkeit – zieht sich etwas diffus Drängendes als unterschwelliges Motiv. “Relent” wirkt über einige Wegstrecken zerfledderter, tastender und lässt so die feurigen Schrammelorgien, die die Musik in gewissen Abständen von neuem voranpeitschen, noch markanter herausragen, doch prinzipiell sind beide Aufnahmen von ähnlicher Machart.

Eine weitere Eigenschaft sind in beiden Tracks kurz aufblitzende Deja-vus nicht so sehr bestimmter bekannter Songs aus der Tradition akustischen Saitenspiels, sondern bestimmter Stile, mögen diese nun mit John Fahey oder mit vorderasiatischen Spieltechniken verknüpft sein. Aber wer weiß, vielleicht sprudeln diese Assoziationen auch nur dank der inspirierenden Vielfals dieser Musik.

Label: Al Maslakh