MAI MAI MAI: Rimorso

Als der Römer Toni Cutrone vor ungefähr zehn Jahren sein Projekt Mai Mai Mai startete, taten ihm einige Unrecht, indem sie die ersten musikalischen Lebenszeichen, allem voran das Debüt “Theta”, als kurzlebigen Abklatsch angesagter Musikmoden wie Chillwave abtaten. In den folgenden Alben, die in regelmäßigen Intervallen die Studiotore verließen, konnte er nicht nur ein kreatives Händchen für feinsinnige Kompositionen und ein souveränes Wissen um andockbare Bestände elektronischer Psychedelik demonstrieren, sondern auch eine mythologisch bewanderte Erzählstimme.

“Rimorso” kann man guten Gewissens als sein bislang “größtes” im Sinne von umfangreichstes und aufwendigstes Werk bezeichnen, und es hält mit seinen zahlreichen Gästen und dem Einsatz der menschlichen Stimme einiges an Neuerungen bereit. “Rimorso”, dessen elektronisch-akustischer Sound in fast jedem Track zu einem verqueren Clubhit taugen würde, ist eines der Alben, deren Konzept, wenn man es denn so nennen will, vage und andeutungshaft genug bleibt, um ausreichend Offenheit und Dynamik zu wahren, und doch genügend kleine Wegweiser offenbart, die auf ein diffus vorhandenes Thema deuten.

Alle Tracks auf “Rimorso” sind in einem Setting zuhause, das in seiner klanglichen und atmosphärischen Ausgestaltung an der Schnittstelle von Vergangenheit und Zukunft, von ländlicher Tradition und technoidem Futurismus zuhause ist, und wenn man einzelne Songs heranzoomt, könnte man versucht sein, ihre Motive an allen restlichen Ecken des Albums wiederzufinden. In der Tat ist so etwas wie ein kämpferisches Aufbegehren des Abseitigen, verkörpert durch weibliche Figuren, ein Motiv, das sich an einigen Stellen des Albums findet und sich mit allem anderen verträgt. Ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit steht es in “Fimmene Fimmene”, in dem Cutrone und Gastsängerin Vera di Lecce (Nidi d’Arac) einem alten Protestsong süditalienischer Tabakarbeiterinnen neues Leben einhauchen. Ein schlichter Paukrhythmus verschmilzt mit den fast monotonen Proklamationen, deren melodische Zurückhaltung dem Song eine besondere Kraft verleiht.

Variationen eines solchen Gestus finden sich in “Musica Nova”, bei dem ein vager Bläsersound und fisselige Elektronik ganz ohne dicke Beats ein Uptempo erzeugen, das um den ungreifbar im Raum schwebenden Gesang Nzirias tanzt. Auch in “Sind”, bei dem Mai Mai Mai gleich mit mehreren Gästen viele Register filmreifer Spannungsmomente zu einer großen Geste verbindet: Pulsierene Pauken während der Ruhe vor dem Sturm, expressiver Sopran, ritueller Noise, rhytmische Rezitation wie bei einem Abzählreim und einiges mehr. Vielleicht am meisten bei den drei aufeinanderfolgenden Tracks “Il Cativo Passato” (Die schlimme Vergangenheit), “Il Futuro Perduto” (Die verlorene Zukunft) und “Rimorso”, bei denen z.T. erratischer Noise auf einen Chorgesang trifft, der einer afrikanischen Tradition entstammen könnte.

Aus diesen Passagen ein allzu gut fassbares Konzept zu machen, käme einer unnötigen Eselsbrücke gleich, und einige Momente – z.B. “Nostalgia”, in welchem sich die freundliche Stimme der Libanesin Youmna Saba gegenüber einem Brodeln behauptet, das sich mehr und mehr zur Lärmkulisse steigert, mehr noch in “Mediterranean Gothic” mit den spacigen Urwald-Sounds von Mike Cooper, das auch auf eines seiner eigenen Alben gepasst hätte – sprechen ebenfalls dagegen. Und doch bleibt nach den zischelnden Becken Lino Capra Vaccinas im abschließenden “Antiche Memorie” der Eindruck, dass Vergangenheit und Zukunft in dieser im besten Sinne merk-würdigen Musik etwas näher zusammengerückt sind. (U.S.)

Label: Maple Death Records