FRANÇOIS ROBIN / MATHIAS DELPLANQUE: L’Ombre de la Bête

Viele bringen Instrumente aus der Familie der Sackpfeifen v.a. mit den schottischen Bagpipes, hierzulande Dudelsäcke genannt, in Verbindung. Tatsächlich existieren auch in den keltisch geprägten Regionen des kontinentalen Europa bis nach Galizien verschiedene Formen der Sackpfeifen, eine davon ist die in Nantes und der gesamten südlichen Bretagne verbreitete Veuze.

Seit gut 15 Jahren gilt der Virtuose François Robin als ihr wichtigster internationaler Botschafter. Ob in unterschiedlich großen Ensembles oder im Alleingang, stets betrachtet er das Instrument als ein lebendes Wesen, das er durch sein Spiel zu seinen charakteristischen und doch sehr unterschiedlichen Äußerungen lediglich provoziert. “Mein Instrument ist animalisch. Alles in ihm evoziert das Animalische: seine Form, seine Klänge, die breite bildliche Vorstellung, die es kreiert hat. Ein Instrument mit einem zoomorphen Charakter, das atmet, pustet, schreit, stöhnt”, sagte er zu seiner aktuellen Veröffentlichung, die das Tier – die Bestie – bereits im Namen trägt.

Mit “L’Ombre de la Bête” verhält es sich allerdings etwas anders als in vielen seiner früheren Arbeiten, und zwar nicht, weil Robin die Klänge weitere Instrumente (Doppelrohrblatt-Blasinstrumente wie die armenische Duduk und die arabische Mizmar, ferne Violine) beisteuert, sondern v.a. weil er Soundartist Mathias Delplanque beauftragte, die aufgenommenen Klänge der Veuze in seine Bestandteile zu zerlegen und mittels diverser Techniken in eine neue Form zu bringen – eine Form, die die wesentlichen Charakteristiken der Instrumente deutlich und ohne zu starken Effet de réel exponiert. Was die beiden dabei suchten, ist der Schatten – nach Jung so etwas wie die Kehrseite, den Wechselbalg? – dieses so schön und zugleich seltsam klingenden Tieres.

Den Auftakt macht mit “Sous le Cuir” (dt. Unter dem Leder) das nach gängigen Begriffen wahrscheinlich experimentellste Stück des Albums. Auf unterschiedliche Art holt Robin eine Vielzahl an Klangäußerungen zutage, lässt die Bestie hecheln, keuchen, pusten, quietschen, brummen und vogelstimmenartige Geräusche von sich geben. Wie in einem alchemischen Prozess allerdings transformiert der Kollege all dies im Handumdrehen in ein ambientes Dröhnen, das trotz der oft mechanisch anmutenden Elektronik immer noch die organische Signatur der ursprünglichen Materials trägt. Das allseit bekannte “Dudeln”, das irgendwann auch zu hören ist, wirkt dabei fast wie eine Reminiszenz an vertraute Vorstellungen, doch im weiteren Verlauf des Albums wird klar, dass die beiden Musiker auch zu dieser Ästhetik einen durchaus ernsthaften Bezug haben.

Vordergründig wirkt “L’Ombre de la Bête” wie eine ziemlich heterogene Sammlung unterschiedlicher Klänge, Muster und Gangarten. Es gibt tanzbare, streckenweise technoide Stücke wie “Perdu” und “Dans l’ombre”, bei denen rasselnde Pizzicati auf der Violine oder rockige Riffs (das gleichen instruments?) gegen kraftvolle Takte anklingen, während die heiter klagenden Ornamente der Veuze dazu Ihren Kommentar geben und Verbindung schaffen. Hier ist man mitten im Schatten und vergisst die einzelnen Bestandteile mehr und mehr. Das bereits als Single veröffnete “L’homme à tête de cheval” das mit leicht dublastiger Elektronik zunächst eine enorme Spannung aufbaut bis die hell klingende Veuze Versöhnung schafft, führt dieses Konzept fort.

“Le puits” scheint komplett veuzefrei zu sein, und eröffnet im Zentrum der Platte mit der wehmütig klingenden Duduk ein riesiges Meer an Gelöstheit. Auch das abschließende “Fin de règne” hat diesen “orientalischen” Beiklang: Über holzigen Takten und einer hypnotischen Dröhnung entfalten sich Violinenklänge, deren Melodiebögen man auch mit einer persischen Karmanche erzeugen könnte – Melodiebögen, die jeden um den Finger wickeln und in ungesehene Welten entführen sollten.

Label: À la Zim! / Parenthèses Records