Das Duo Temple Music, bestehend aus Alan Trench und Steve Robinson, bleibt auch mit ihrem neuesten Album „Sucking up the English“ seinem Ruf treu, ein kaum einzuordnendes, aber stets markantes Klanguniversum zu schaffen. Nach dem eher opulenten Kosmos von „Worthless Treasures“, das zusammen mit dem griechischen Dichter Giorgos Kariotis entstanden ist, kehren die beiden Musiker auf diesem Longplayer zu einer dröhnend-minimalistischen Ästhetik zurück, wie man sie beispielsweise von dem zweiteiligen “Epoxes” oder – wenngleich in variantenreicherer Form – von “Summer Trees Dissolve” her kennt. Die Veröffentlichung, wie immer in den ergangenen Jahren auf dem Label Sombre Soniks erschienen, ist in zwei rund zwanzigminütige Tracks unterteilt, die jeweils tief in unterschiedliche emotionale und akustische Bereiche eintauchen.
Motivisch kreist das Album um einen interessanten Themenkomplex, den beide Akteure vermutlich auf sehr unterschiedliche Weise erfahren, nämlich die Englishness, die für den in Lincolnshire lebenden Robinson wohl zur täglichen Umgebung zählt, die vielleicht zu einem täglichen Kampf gegen Betriebsblindheit herausfordert, während der auf der griechischen Insel Euböa lebende Auswanderer Trench ihr immer wieder in den englischen Expat-Communities begegnet, die niemals bereit sind, aus ihrer vertrauten Bubble herauszutreten, und sei es auch nur um die Landessprache zu lernen. Die in der Ferne noch stärker empfundene Englishness saugen solche Seelen voneinander wie ein Lebenselexier, worauf der Albumtitel letztlich verweist. Ähnlich nun wie gute Dekadenzdichtung die Dekadenz ihrer Zeit beschreibt, karikiert und kritisiert und dieser zugleich eine andere, ästhetisch kostbarere Form der Dekadenz entgegensetzt, feiern Temple Music hier auch so etwas wie eine veraltete und idealisierte Form der Englishness, die ihnen aus Filmen, Büchern und Musik vertraut ist und vor dem Hintergrund der Realität wie ein Märchen vorkommt. Temple Music lassen diese Themen ohne explizite Wertungen in den beiden Stücken aufscheinen und verbinden ihre Reflexionen mit einer mystischen, oft hypnotischen Klangsprache.
Der erste Teil eröffnet diese vielgestaltige Welt mit rauen, wundgescheuerten Feedbackschleifen und tiefem Dröhnen. Nach und nach schält sich eine erkennbare Gitarrenlinie aus dem klanglichen Nebel, die den Track in eine Richtung lenkt, die paradoxerweise sowohl beruhigend als auch unbehaglich wirkt. Eine flüsternde Stimme – es ist eine Aufnahme von Sir John Betjeman, der sein Gedicht “A Subaltern’s Love Song“ liest – und gelegentliche Klänge wie trunkene Schreie sorgen für eine gespenstische Atmosphäre. Das Stück bleibt über weite Strecken in einer verschleierten, träumerischen Sphäre, in der sich – wie vermutlich in der Wahrnehmung vieler Expats, die in ihrer neuen Heimat die alte innerlich nie zurückgelassen haben – Schönheit und Bedrohlichkeit unentwegt durchdringen und die das Thema eines verzweifelten Festhaltens an einer Identitätsvorstellung ebenso auszudrücken vermag wie eine weniger banale Nostalgie, die ihre Brücken bis zum Folk Horror schlägt. Die harmonischen Elemente, die immer wieder kurz aufblitzen, wirken dabei wie ein Verweis auf etwas Geheimnisvolles, das sich dem direkten Verständnis entzieht. Dabei bleibt die Stimmung ambivalent: beruhigend und doch niederdrückend, eindringlich und doch sanft gleitend.
Der zweite Teil hebt die Energie deutlich an, repetitive, glockenartig bimmelnde Klänge werden von einem basslastigen Brummen unterlegt, während eine geloopte Frauenstimme die Szene aufwühlt und zugleich eine nostalgische Aura verbreit. Es handelt sich um die im zweiten Weltkrieg und danach in Soldatenkreisen beliebte Sängerin Vera Lynn, die ihren Schlager “There’ll Always Be An England“ singt, doch anfangs sind nur gesprochene Passagen zu hören. Die Dynamik des Stücks entwickelt sich langsam, aber unaufhaltsam, mit subtilen Steigerungen in Intensität und Dichte. Im Verlauf des Tracks tritt eine kraftvolle Perkussion in den Vordergrund und verzerrte, kratzige Klangflächen machen sich bemerkbar, was dem Ganzen eine im Vergleich zum eher etherischen ersten Teil raue, körperliche Präsenz verleiht. Besonders beeindruckend ist die kunstvolle Transformation der gesampleten Lynn-Aufnahme in einen gesanglichen Ausdruck, der sich organisch in die treibenden Rhythmen einfügt. Und nicht trotz, sondern gerade aufgrund seiner repetitiven Struktur(en) im Zusammenhang mit den kleinen, kontinuierlichen Veränderungen bleibt das Stück ungemein fesselnd.
“Sucking up the English” ist ein Album, das sowohl für beiläufiges Hören, bei dem vermutlich schon unbewusst viel passiert, als auch für tiefere, konzentrierte Auseinandersetzung funktioniert. Die beiden Tracks entfalten ihre Wirkung in unterschiedlichen Stimmungen von dunkel-mysteriös bis hypnotisch-treibend. Temple Music zeigen einmal mehr ihre Fähigkeit, Hörer in eine introspektive wie intensive Welt zu ziehen. (U.S.)
Label: Sombre Soniks