Sophia Djebel Rose ist eine der vielseitigsten Stimmen der französischen Musikszene. Mit ihrem neuen Album “Sécheresse” präsentiert sie eine Sammlung von Songs, die Elemente traditioneller französischer Musik mit avantgardistischer Poesie und vielen experimentierfreudigen Ideen verbinden. Im Gespräch mit uns gibt sie Einblicke in ihre kreativen Prozesse, ihre künstlerischen Einflüsse und die emotionale Energie, die ihre Musik antreibt. Dabei wird deutlich, dass sie weniger an konventionellen Konzepten interessiert ist als daran, ihre Musik als intuitiven Ausdruck des Lebens zu verstehen. In diesem Interview spricht Sophia über die besondere Rolle von Sprache in ihrer Kunst, die Herausforderungen des Lebens als Musikerin und die rohe Intensität ihres neuesten Albums. Zudem teilt sie ihre Gedanken zur Verbindung von Tradition und Innovation sowie zu der Inspiration, die sie aus persönlichen und gesellschaftlichen Erfahrungen zieht. Das Ergebnis ist ein reichhaltiger Dialog mit einer Künstlerin, die sich konsequent über die Grenzen von Genres und Erwartungshaltungen hinwegsetzt.
Wie begann deine musikalische Reise? Gab es einen bestimmten Moment, in dem Idir klar wurde, dass Musik und Songwriting ein zentraler Teil deines Lebens sein würden?
Sagen wir einfach, ich wusste es immer. Ich machte ein paar Umwege, bevor ich mich auf den Weg machte. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich habe darauf geachtet, alle Türen zu schließen.
Welche Einflüsse – musikalisch, kulturell oder persönlich – haben dich besonders geprägt? Wie spiegeln sie sich in deiner Musik wider?
Ich denke, die meisten meiner Einflüsse sind nicht musikalisch. Ich bin im Allgemeinen von Künstlern mit einzigartigem Hintergrund berührt, die ein eigenes Ausdrucksmittel sowie neue Lebens- und Gefühlsweisen erfunden haben. Ich denke insbesondere an Art Brut.
Viele deiner Songs scheinen einen starken erzählerischen Schwerpunkt zu haben. Was inspiriert dich, wenn du Liedtexte schreibst? Gibt es Themen, die Idir besonders am Herzen liegen?
Ich schreibe selten Texte. Am häufigsten nehme ich meine Gitarre und singe. Und manchmal kommt es vor, dass ich die Richtigkeit eines bestimmten Textes spüre. Also mache ich ein Lied. Den Rest vergesse ich.
Welche Rolle spielt Sprache in deiner Kunst? Du singst auf Französisch und Englisch – welchen Einfluss haben die beiden Sprachen auf die Stimmung deiner Lieder?
Eine Sprache ist vor allem eine Art der Aussprache. Jede Sprache hat ihren eigenen Resonanzraum im Körper und im Mund. Französisch ist etwas Besonderes, weil es scharf und schneidend, ja sogar ziemlich nervig ist. Du musst es zähmen. Vor allem, weil Englisch aus irgendeinem Grund die am häufigsten gesungene Sprache geworden ist, auch von französischen Muttersprachlern.
Du hast gerade dein neues Album „Sécheresse“ produziert. Würdest du sagen, dass es sich – im weitesten Sinne – um ein Konzeptalbum handelt, und wenn ja, wie würdest du die Ideen dahinter beschreiben? Ich stelle diese Frage auch, weil viele unserer deutschsprachigen Leser französische Texte oft nur bruchstückhaft verstehen…
Nein, ich glaube nicht, dass das Album konzeptionell ist, im Gegenteil. Es stimmt, dass ich manchmal versuche, meine eigene Musik zu konzipieren, ihr eine Richtung vorzugeben, aber in diesem Fall verzögere ich nur den kreativen Prozess. Denn letztendlich geschieht das, was passieren muss, und zwar immer ohne mein Wissen. Die Lieder, die Sinn machen und die ich behalten möchte, tauchen im Verborgenen auf.
„Secheresse“ scheint im Vergleich zu seinem Vorgänger „Metempsycosis“ eine rauere, dunklere Energie zu haben. Welche emotionale oder thematische Entwicklung steckt dahinter?
Ja, es ist wahr. Das Album ist roh oder eher brutal, wobei “Métempsycose” recht sanft war. Zwischen beiden liegt die Gewalt der Welt. Das erste wurde zu Hause, weit weg von der Welt, komponiert. Wenn ich an mein erstes Album denke, denke ich an eines vor der Zivilisation. Ein Strand, irgendwo in Griechenland vor unserer Zeitrechnung. Und dann fing ich an zu schießen. Das Leben eines Musikers ist prekär, und das gilt umso mehr für eine Frau. Die Dürre trägt die Spuren dieser wenigen Jahre der Wanderung und des Kampfes.
Die musikalische Struktur von „Sécheresse“ verbindet eine Sanftheit, die man als pastoral bezeichnen könnte, mit starken eruptiven Momenten. Wie entscheidest du, wann ein Song zurückhaltend bleibt und wann er vor Intensität explodiert? Entstehen diese Dinge spontan beim Improvisieren oder hast du manchmal schon eine Idee für einen Song, während die Ideen reifen?
Bei “Secheresse” gibt es Songs, die ich noch nie zuvor live gespielt habe, und all die, die ich lange vor der Aufnahme des Albums gespielt habe. Alle eruptiven Momente kommen aus dem Leben. Es ist die Energie der Straße und die des Kontakts mit der Öffentlichkeit.
„Blanche Biche“ basiert auf einem traditionellen französischen Lied. Was hat dich daran gereizt, dieses besondere Stück zu vertonen, und wie würden Sie die Verbindung des Stücks zu deinen eigenen Songs auf dem Album beschreiben?
“Blanche Biche” ist ein uralter Schatz des französischen Folk-Repertoires. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich bei Einbruch der Dunkelheit in ein Reh verwandelt und von ihrem Jägerbruder, der sie nicht erkennt, enthauptet wird. Es war nicht ich, die sich diesem Lied näherte, sondern das Lied, das sich mir näherte, da es unsere Modernität widerspiegelt. Für mich ist dieses Lied vor allem eine ökologische und feministische libertäre Hymne. Er gibt mir Kraft, wenn ich auf Tour bin.
Als jemand, der Französisch nur bruchstückhaft versteht, würde ich gerne wissen, was für eine Geschichte in dem Lied „Der Mann im goldenen Anzug“ erzählt wird. In gewisser Weise fühlt sich das Stück an wie ein verzaubertes Märchen, das aus einer anderen Dimension zu uns herübergeweht wird, und es gibt auch Zitate, die einer alten Schallplatte zu entstammen scheinen. Was ist das für ein Thema?
Dieses Lied erzählt von der Beerdigung des Mannes im goldenen Anzug, begleitet von Szenen nächtlichen Schwimmens und nackten Körpern, die im Mondlicht schimmern. Was meiner Meinung nach das Gefühl einer alten Platte hervorruft, ist die Art und Weise, wie ich mit den Vocals umgehe. An manchen Stellen habe ich es durch leichtes Verschieben verdoppelt. Es entsteht eine Art magnetische Unschärfe.
Bestimmte Stücke, wie das Titellied, scheinen eine Nähe zu der Tradition zu haben, die wir allgemein als Chanson bezeichnen, aber das ist vielleicht auch ein Eindruck, den Fremdsprachler beim Hören des Französischen schnell bekommen. Hast du eine Verbindung zu solchen Traditionen, die bis in die Zeit der Troubadours zurückreichen?
Ich würde „Sécheresse“ am liebsten mit anarchistischen Liedern und dem, was in den 70er Jahren in Frankreich gemacht wurde, in Verbindung bringen. Ich denke natürlich an Catherine Ribeiro + Alpes, um nur eine Referenz zu nennen. Ich weiß nicht genug über Troubadours, um genau darüber zu sprechen.
Ich würde Sie gerne ein paar Dinge zu deinem frühen Werk fragen. „Métempsycose“ ist ein Album, das stark von der Natur und dem Konzept der Seelenwanderung inspiriert ist. Wie ist die Idee entstanden, diese beiden Themen in deiner Musik zu verbinden?
Auch hier handelt es sich nicht um Ideen, sondern um Gefühle. Dieses Gefühl, unter oder außerhalb meines eigenen Körpers zu sein. Es ist ein Gefühl, das aus der Betrachtung der Welt entsteht und bei dem wir uns selbst in dem, was wir beobachten, vergessen, sei es eine Ameise, ein Fluss oder eine Wolke.
Du hast das Album auf den Hochebenen der Auvergne aufgenommen. Lebst du an diesem Ort? Wie hat es die Atmosphäre und das Gefühl der Musik beeinflusst?
Ja, dort lebe ich. Hier ist es eine Wüste, es ist das am dünnsten besiedelte Gebiet Frankreichs. Wir befinden uns auf einer Höhe von mehr als tausend Metern, es ist kalt und die Landschaften karg. Allerdings finde ich, dass hinter dieser Sparmaßnahme eine gewisse Freude steckt. Eine immense Freude.
Wie fühlst du dich, wenn du live spielst und eine direkte Verbindung zum Publikum aufbaust?
Wenn die Verbindung hergestellt wird und die Magie wirkt, entsteht etwas Wunderbares: das Erscheinen einer gemeinsamen Einheit. Dann gibt es keine Subjekte mehr, sondern Kräfte. Und alle zusammen sind wir diese Kraft, die einer Schwingung ähnelt.
Deine Stimme wird oft als zentraler Aspekt Ihrer Musik gelobt. Wie bereitest du sich auf die emotionalen und körperlichen Anforderungen des Singens vor?
Aus physikalischer Sicht ist es ganz einfach: Ich trinke Wasser! Aus emotionaler Sicht bleibt einem jedoch nicht viel anderes übrig, als zu akzeptieren, dass man wenig Kontrolle hat, und sich voller Freude in das Chaos und das Unbekannte zu stürzen!
Gibt es zukünftige Projekte oder Kooperationen, auf die du dich besonders freust? Was können wir in naher Zukunft von euch erwarten – abgesehen von der bevorstehenden Europatour?
Es sind in letzter Zeit viele neue Wünsche aufgetaucht. Ich weiß noch nicht, für wen ich mich entscheiden werde bzw. was sich für mich entscheiden wird!
Interview: US & A.Kaudaht
Fotos: Sophia Djebel Rose & Hazam Modoff (Foto 2)