HAUSFRAUEN EXPERIMENT: The End Of The World

Es gibt eine Menge an Alben mit einer apokalyptischen Schlagseite – dramatische, weinerliche, abgeklärte und alles Mögliche und Unmögliche dazwischen. Auf “The End of the World”, dem neuen Longplayer der mysteriösen englischen Band Hausfrauen Experiment, endet die Welt, wie wir sie immer gekannt haben, auch und vor allem für die bisherige Aura von zehn ausgewählten Songs aus der Geschichte der populären, respektive alternativen Musik, denn ihnen wurde hier in bester Laibach- und Leningrad-Cowboys-Manier ein komplett anderes musikalisches Gewand verpasst – schrill, verspielt, ernsthaft und höcht eigenwillig.

Was als ironischer Bandname begann, wurde zur produktiven Klammer für ein Projekt, das vor 15 Jahren, als eine Art Ableger der damals ihre Spärphase erlebenden Folkband Orchis und deren bis heute bestehenden Wechselbalg Temple Music, mit analoger Elektronik bekannte Songs neu einspielte – ganz so, wie man sich ein alternatives Hausfrauenradio vorstellt, das den Staubsaugerbeat direkt ins Herz der Popgeschichte sendet. Es entstanden damals zwei EPs und eine Split-Veröffentlichung, deren Tracks quasi das Fundament des vorliegenden, restaurierten, remastgerten und ergänzten Materials bildeten und seinerzeit schnell vergriffen waren. Alan Trench, zusammen mit Steve Robinson eine der grauen Eminenzen hinter den drei charismatischen Frontfrauen Tracy, Vyolette und Lisa an den Mikros, beschreibt das Projekt in einem Interview als launig-verspielt, aber keineswegs nur schenkelklopfend gemeint. Dahinter steckt, so Trench, echtes musikalisches Herzblut – und eine Affinität zu jenem rezitationsnahen Gesang von Lisa, der zusammen mit den Harmonie-Vocals von Tracy und Vyolette sowie der strikt analogen Instrumentierung das Rückgrat des Sounds bildet.

Schon der Einstieg mit “A Glass of Champagne” zeigt, wie ernst es Hausfrauen Experiment mit ihrer Dekonstruktion meinen. Das einstige Glam-Stück von Sailor mutiert musikalisch, falls der Rezensent hier nicht vollends einer Fata Morgana hinterherrennt, zu einer Girliepop-Hommage an die amerikanische Highschool-Romantik der frühen Sechziger, allerdings mit elektrifizierter Spoken-Word-Einleitung, scheppernden Handclaps, rauer Elektronik und einem Hauch ritualistischer Tiefe, die sich kaum fassen lässt. In der deutschen Zwischenruf-Passage „Ich hab das Geld“ blitzt der subtile Spott über Prestige und Oberfläche auf, ohne sich im Sarkasmus oder gar moralisierender Besserwisserei zu verlieren. Offenbart sich die das Lebensgefühl des deutschen Wirtschaftswunders der 50er als heimliche Blaupause aller populären Kulturphänomene der Folgezeiten? Bitte nicht darüber nachdenken, die Antwort kommt irgendwann ganz unverhofft! Der Song jedenfalls pendelt zwischen Leichtigkeit und einer ironisch eingefärbten Melancholie, die sich kaum fassen lässt, als starre man auf eine glitzernde Tanzfläche, unter der der Beton bereits bröckelt.

Richtig laut wird es mit dem folgenden “Container Drivers”, einem abgründigen The Fall-Cover mit dem Charme einer ohrenbetäubenden Alarmsirene. Das donnernde Gewitter der Drummachine, durchbrochen von grellem Lärm, erzeugt eine körperlich spürbare Klangwand, der Gesang wirkt atonal und aufscheuchend wie eine gesamplete und draufgeklebte Lautsprecherdurchsage, Punk ist hier nicht Pose, sondern Bedrohung. Das Arrangement greift dabei auch andere Ebenen auf, etwa ein dröhnendes Nebenthema, das sich wie ein querlaufender Subtext durch die Soundfläche zieht. Auch “Baby’s On Fire”, ursprünglich von Brian Eno frühem Solodebüt, wird trotz vergleichsweise werkgetreuer Umsetzung durch den Wechsel der Gesangsperspektive – hier eben durch eine Frau – transformiert. Der Song bleibt ein launiger, leichtfüßiger Rocksong, doch durch die andere Stimme erhält der Blick auf das “brennende Mädchen” eine andere Qualität. Die irritierende Gleichzeitigkeit von Gewalt, Voyeurismus und Popästhetik bleibt dabei bestehen.

Besonders originell wirkt “New Age Dream”, eine ausnahmsweise recht neu eingespielte Coverversion von Suicides “Dream Baby Dream”: Ein stoffeliger Beat, verbunden mit hintergründigem Dröhnen und Kratzen, trifft hier auf affiges Flüstern und E-Piano, das sich zunehmend technoid steigert. Die permanente Wiederholung der Textzeile wirkt hypnotisch und emotional ungemein aufgeladen. “The Model”, die wohl bekannteste Vorlage des Albums, wird von Hausfrauen Experiment bis zur Unkenntlichkeit zersetzt und neu zusammengesetzt. Es bleibt zwar erkennbar Kraftwerk, doch das Ergebnis ist nicht nur eine Hommage, sondern gleichsam ein zersetzender Spott in Richtung Medien-, Konsum- und Schönheitsidealen. Samples wie “Anneliese, ach Anneliese, warum bist du böse auf mich?” oder “Wir sind die lustigen Holzhackerbuam” wirken zunächst absurd, fügen sich aber nahtlos in eine dystopisch-ironische Erzählung ein. Das verstörende Video dazu erinenrt zudem daran, dass Fashion etymologisch nicht nur mit Fasching verwandt ist. Die Stimme von Tracy Dawn Jeffery schwebt dabei zwischen Zartheit und Distanz, fast wie ein Echo auf eine Pop-Vergangenheit, die sich selbst nicht mehr ernst nehmen kann und gerade deshalb heute auch liebenswürdig erscheint.

Das Duran-Duran-Cover “The Chauffeur” besticht durch seine entrückte, verträumte Interpretation, das dem surreal aufgeladenen Original mit seinem unterkühlt sinnlichen Musikvideo jede Schwülstigkeit nimmt. Die Stimme Jefferys lässt Erinnerungen an die Paris Sisters aufkommen und verleiht dem Song eine zerbrechliche Intimität, und der Reiz besteht auch hier wieder u.a. darin, dass der bekannte Text eines Sängers von einer Frau interpretiert wird. Mit “Jawbone And The Air-Rifle” wird erneut The Fall aufgegriffen, diesmal mit einem Song, der deutlicher im Rock’n’Roll verwurzelt ist. Hausfrauen Experiment verwandeln ihn in ein bissiges, treibendes Stück zwischen cool-brutaler Attitüde und Girliepop-Anmutung. Lala-Gesang trifft auf intelligente Breaks und schaffen ein irritierendes Gleichgewicht zwischen Übermut und Wahnsinn, passend zum Text über Schuld und Isolation.

“Chick Habit”, im Original auf Französisch von Serge Gainsbourg und France Gall bereits in den Sixites produziert und Jahrzehnte später von April March auf englisch interpretiert, beginnt bei den Hausfrauen fast pseudoliturgisch mit einer gebrochenen Ambientfläche, über der Spoken-Word-Passagen schweben. Was wie eine sakrale Parodie wirkt, entpuppt sich bald als beschwingter Popsong mit Surf-Rock-Anleihen – doch die latente Schwere des Orgel-Sounds bleibt bestehen. Diese Spannung erinnert tatsächlich an die sakral gebrochene Ain Soph-Version von I Corvis Beatsong “Ragazzo di Strada” – auch hier trifft Popästhetik auf einen düsteren Unterton, der die Botschaft des Liedes (“Du wirst schon sehen, was du davon hast”) vielleicht umso eindrücklicher macht. “Solid Baby” von Marc Bolan/T. Rex war seinerzeit ein augenzwinkernd-verspielter Song, Hausfrauen Experiment machen daraus ein electroclashiges, perkussiv aufgeladenes Stück mit Ye-Ye-Anklängen, rauen Synthies und einer dramatisch-theatralischen Note. Auch hier scheint der Song nicht parodiert, sondern liebevoll übersteigert, ein Spiel mit der Inszenierung des Begehrens, das sich bewusst übercodiert. Der abschließende Titelsong nach Skeeter Davis rundet das Album mit einer seltsam aufgewühlten Morbidität ab – als kaum ruhige, eher trostlose Reverenz an das Ende und als eine letzte Verbeugung vor dem Verlorenen.

Was alle Songs auf “The End of the World” eint, ist der doppelte Boden: Hausfrauen Experiment kopieren nicht, sie transformieren. Die Auswahl wirkt wie eine selbstbewusste Aneignung männlich konnotierter Songs, deren Inhalte nun von weiblichen Stimmen neu gefärbt werden. Der Einsatz analoger Instrumente verleiht der Musik eine eigentümlich zeitlose Textur, denn sie klingt letztlich trotz des z.T. nostalgischen Equipments weder retro noch futuristisch, sondern wie aus einer Parallelwelt, in der die Popgeschichte anders verlaufen ist.

Diese beiden Aspekte wären für sich betrachtet großartig und doch nichts, das man an keiner anderen Stelle finden könnte. Was den Ansatz von Hausfrauen Experiment wirklich auszeichnet, ist ihre konsequenter Ersetzung der in der populären Musik bis heute immer wieder inszenierte Perspektive des Außergewöhnlichen, “Popstarhaften” durch den Blickwinkel derer, die vom Außergewöhnlichen allenfalls träumen. Dass sie in dieser Pose den Glamour erfolgreich aufspüren, ist ihre eigentliche Transformationsleistung. (U.S.)

Label: Bracken Records