ZÖJ: Give Water To Birds

Ein Fenster steht offen, draußen zwitschern Vögel, das Meer rauscht irgendwo in der Ferne, vielleicht war es sogar näher, vielleicht direkt vor dem Haus. Diese scheinbar beiläufige, gleichwohl idyllische Klanghkulisse ist nicht nur eine zufällige Aufnahme, sondern integraler Bestandteil eines Albums, das mit großer Sorgfalt gerade solche Momente des Ungeplanten bewahrt. Es ist ein leiser, aber eindringlicher Auftakt für “Give Water to Birds”, dem neuen Werk von ZÖJ.

Das Duo, bestehend aus der aus dem Iran stammenden Sängerin Musikerin Gelareh Pour und dem australischen Schlagzeuger Brian O’Dwyer, veröffentlichte sein Debüt “Fel O Fenjoon” 2023 – eine Arbeit, die sich langsam entfaltet und sich vielen dauerhaft eingeprägt hat. Der vorliegende Nachfolger geht in seiner Wirkung noch weiter, ist mehr Vertiefung als bloße Erweiterung. Und es ist ein Werk, das sich nicht in herkömmlichen Kategorien einfangen lässt – weder was Genre noch Stimmung oder kompositorischen Aufbau betrifft. Stattdessen wird hier ein Raum eröffnet, der Klang und Stille, Natur und menschlichen Ausdruck auf eine Weise verbindet, die nichts erklärt und in ihrer Präsenz doch ungemein ausdrucksvoll ist. ZÖJ sind mehr als ein Duo im technischen Sinne. Ihr Name – aus dem Persischen, wo er sinngemäß “die Einheit zweier Dinge oder Menschen, die füreinander bestimmt sind” bedeutet – beschreibt auch das musikalische Selbstverständnis. Mit dem zweiten Album öffnet sich dieses Duo jedoch: Brett Langsfords Gitarre fügt sich ein, nicht als fremdes Element, sondern wie eine neue Lichtquelle in einem bereits bestehenden Raum. Nichts drängt sich auf, nichts will dominieren.

Im Mittelpunkt steht weiterhin die Kamancheh, das persische Streichinstrument mit seiner eigentümlich verletzlichen, metallisch-bitteren Klangfarbe, die immer eine gewisse Spannung trägt, selbst wenn die gespielte Melodie ruhig bleibt. In Gelareh Pours Händen wird sie zum emotionalen Zentrum des Albums – manchmal ornamentreich, manchmal fast meditativ, dann wieder mit großer Dringlichkeit gespielt. Ihr Gesang in Farsi verstärkt diesen Eindruck. Auch wenn man die Sprache nicht versteht, entfalten Stimme und Ausdruck eine poetische Wirkung, die über die Bedeutung der Worte hinausgeht. Besonders eindrucksvoll gelingt das in Passagen, in denen sie von klarem Gesang zu rhythmisch gesprochenem Text oder sogar geflüsterten Fragmenten wechselt. In den dramatischeren Momenten schwingt ihre Stimme bis ins Tremolo, ohne jemals exaltiert zu wirken.

Ein Stück wie “House of Ripened Grapes” bleibt über weite Strecken reine Klanglandschaft, näher an einer atmosphärischen Klangfläche als an klassischer Komposition, und genau darin liegt seine Stärke. Es gibt kein vordergründiges Thema, keinen Refrain, nichts, das die Rezeption lenken könnte. Stattdessen eine Spannung, die sich nur langsam, vielleicht nie ganz auflöst. Die Musik verweilt und verlangt dasselbe auch von denen, die ihr zuhören. Immer wieder treten Field Recordings in den Vordergrund: das Meer, Vogelstimmen, Wind, ferne Stimmen. Sie sind nicht als Effekte inszeniert, sondern scheinen zum eigentlichen Kern des Albums zu gehören. Eine besondere Szene findet sich etwa in “Our Little Balconi”, wenn ein Gedicht von einer ungekünstelten männlichen Stimme rezitiert wird, nah und zu Beginn ohne jede musikalische Untermalung. Erst allmählich kommen andere Klänge hinzu, Vögel, kaum hörbare Hintergrundgeräusche, und man spürt eine besondere Würde in diesem unspektakulären Vortrag. Die Gedichte selbst – von bedeutenden persischen Lyrikern wie Shams Langeroudi oder Hushang Ebtehaj – sind für jene, die Farsi verstehen, sicher noch intensiver, dem Rezensenten erschloss sich leidglich der Frühling (Bahar) als Teil des Themas. Doch auch ohne weitere Sprachkenntnis entfaltet sich ihre Wirkung, weil ZÖJ Sprache nicht als Mittel zur Erklärung einsetzen, sondern als Teil eines größeren atmosphärischen Zusammenhangs.

Auffällig ist zudem, wie subtil die Musik sich zwischen den Polen bewegt: Leichtigkeit und Schwere, Nähe und Entrückung, Gegenwart und Erinnerung. Gerade die Drums, oft fragmentiert und eher als Tupfer denn als rhythmische Grundlage gespielt, bringen hier und da eine fast tänzerische Note hinein. Sie wirken fast wie das überraschende Lächeln in einem ernsten Gespräch. “Give Water to Birds” ist ein Album, das sich einer schnellen Beschreibung entzieht, auch deshalb, weil es sich jedem Versuch der Zuschreibung entzieht. Es ist experimentell, aber nie verkopft; improvisiert, aber nie beliebig. Und es wirkt fast filmisch, ohne dabei auf dramatische Effekte zu setzen. Am Ende steht oft ein Gefühl von leiser Wehmut, feierlicher Entrückung – wie im titelgebenden Abschlussstück, das mit weichen Kamancheh-Ornamenten und Naturklängen ausklingt.

Dass Nick Cave Gelareh Pour einmal als “exquisite genius” bezeichnet hat, wirkt da weniger wie ein übertriebener Superlativ als wie eine nüchterne Feststellung. Doch ZÖJ als Ganzes ist das hörbare Ergebnis einer tiefen, intuitiven Verständigung zwischen Menschen, die ihre Herkunft, ihre Geschichte, ihre Stimmen und ihre Stille miteinander teilen. Und in diesem Album, das wie durch Zufall ganz genau so geworden ist, wie es sein sollte, findet diese Verständigung eine besonders eindrucksvolle Form.

Das Label setzte “Give Water To Birds”, das neben allen anderen Kontexten auch eine in vielfache zeitgenössische Wege verwobene Stimme persicher Traditionen ist, in einem Kommentar auch in Bezug zu den verheerenden Ereignissen im und um den Iran in der aktuellen Zeit: “As the Middle East continues to suffer unbearable pain and injustice, may this music offer a drop of solace, a gesture of care, and a call to stay human”. Dem sollte nichts hinzuzufügen sein. (U.S.)

Label: Parentheses Records