Manchmal entsteht musikalische Nähe nicht durch das Verfolgen eines Konzepts, sondern durch Zuhören – ein vorsichtiges Sich-Antasten verschiedener Instrumente, die einander Raum geben. So beginnt auch das erste als Duo aufgenommene Album “Ghazel” von Farah Kaddour (Buzuq) und Marwan Tohme (Gitarre, Elektronik), beide neben anderen Aktivitäten auch Mitglieder der experimentellen Psych Rock-Formation Sanam, das aus improvisierten Begegnungen in der libanesischen Hauptstadt Beirut und einem Dorf in den Bergen des Landes hervorging und sich dabei ein unverwechselbares Eigenleben bewahrt hat.
Der Auftakt “Kayfa Taltaqi al-Qulub” (“Wie sich Herzen begegnen”) gibt eine Art Grundstimmung vor. Die melodischen Motive auf der Buzuq entfalten sich zurückhaltend, aber bestimmt, begleitet von elektronisch erzeugten Klangschleiern, die im Hintergrund aufscheinen und für eine elektrisierend dichte Atmosphäre sorgen. Hier wird bereits spürbar, wie sich das Album auf das Zusammenspiel zwischen Intuition und Form in fein austarierten Verhältnissen konzentriert. “Tajmid Ejbari” entwickelt mehr Bewegung, eine fast tanzhafte Dynamik. Doch auch hier bleibt der Aufbau offen für Brüche: Aus dem Hintergrund drängen raue Geräusche nach vorn – Grollen, Poltern, etwas wie herabfallender Schutt –, die kurzzeitig alles dominieren. Das Saitenspiel aber bleibt unbeirrt, verliert nicht die Orientierung. In “Naghmat Al-Ra’i” wird der Rhythmus wieder ruhiger. Ein feines Rauschen legt sich über das Stück, das in seiner harmonischen Ambivalenz fast cinematisch wirkt, ein Spannungsmoment, das in einem entrückten Nachspiel leise abgleitet.
Zwei Stücke greifen explizit auf bestehende musikalische Formen zurück. Der bereits genannte Opener interpretiert eine traditionelle Doulab Nahawand-Melodie neu, während “Nawal” auf der Komposition “Longa Jaharkah” von Mohamad Abdelkarim basiert. Doch beide Stücke werden durch die Interpretation von Kaddour und Tohme so stark transformiert, dass sie eher als Bezugspunkte denn als Wiederholungen erscheinen. In “Nawal” etwa, das von einer deutlich melancholischeren Grundstimmung getragen wird, schwingt ihre Stimme wie ein liturgischer Gesang über das Motiv, während die Buzuq teils ekstatische Figuren entfaltet.
Der Titeltrack – benannt nach dem arabischen Wort für Garn oder Faden – bringt beide Instrumente in besonders enger Verzahnung zusammen. Buzuq und Gitarre scheinen ein gemeinsames Gewebe zu knüpfen, wobei die Herkunft der Melodie kaum zu bestimmen ist: mediterran, vielleicht levantinisch, möglicherweise sogar mit entfernten Bezügen zum Balkan, aber vielleicht laufen diese Überlegungen eines viel nördlicher sozialisierten rezensenten auch insw Leere. “Bissi” dagegen flirtet stärker mit monotonen, fast psychedelisch wirkenden Strukturen, über denen sich hochtönende Elemente entfalten, die an Filmscores aus den 70ern erinnern. Auch hier bleibt das Spiel auf der Buzuq klar im Zentrum, aber das Geräuschhafte im Hintergrund entwickelt eine eigene Kraft. Den Abschluss bildet “Wulidna Fil-Barzakh” (“Wir wurden im Fegefeuer geboren”), das das Instrumentarium fast ins Abstrakte kippt: Die Buzuq klingt wie ein flimmerndes orchestrales Echo, lose verbunden mit dramatischen Spannungen, die an klassische Filmszenen erinnern könnten. Der Sound bleibt dabei in der Lautstärke zurückhaltend, in der Wirkung aber umso eindringlicher, wie ein Schluss, der nicht alles abschließt.
“Es liegt etwas zutiefst Lebendiges in diesen Aufnahmen”, heißt es in den Linernotes von Karl Mattar, “vielleicht wenig überraschend bei einem Projekt, das aus Live-Performances hervorgegangen ist und sich seinen improvisierten Impuls bewahrt hat. Es ist spontan und lebendig – ein eingefangener Atemzug”. Dem kann man nur zustimmen. (U.S.)
Label: Ruptured