NOVÝ SVĚT: …Into Your Skies

Im Laufe der Jahre haben wir eine Reihe von sehr fruchtbaren Interviews mit Jürgen Weber geführt, die seine Herangehensweise(n) an die Musik beleuchteten und manchmal erhellten. Gleichzeitig sagte er uns zuletzt, wie sehr ihn an Interviews die oft zu Missverständnissen führende Zitierbarkeit störe. Insofern sollte man vorsichtig sein, wenn man sich jetzt auf frühere Äußerungen bezieht.

Denkt man aber an das postum veröffentlichte Album „…Into Your Skies“, kommen einem unweigerlich die Worte in den Sinn, mit denen er in einem frühen Interview den Schaffensprozess beschrieb, die teils unglaubliche – von Besessenheit zeugende – Geschwindigkeit, mit der manche der Stücke entstanden. Vielleicht nahm da ein Getriebener auf, aber Getriebene haben auch Antrieb und so entstand innerhalb weniger Jahre ein umfangreiches Werk, wobei die kürzeren Veröffentlichungen, die Zusammenarbeit mit anderen den eigentlichen Alben in nichts nachstanden. Die Faszination, die Nový Svět immer ausübten, war vielleicht zum Teil der sprachlichen Distanz geschuldet, die durch die Verwendung des (u.a.) Spanischen entstand, insofern ist es interessant zu betrachten, inwiefern die Verständlichkeit dem Duo den Nimbus des Besonderen, die  Aura nimmt (das Cover scheint ironisch mit dem Ganzen zu spielen), denn bislang gab es nur wenige veröffentlichte englische Stücke (etwa „Resistant“ oder das 9/11-Stück „Crushed“). Die zwischen 2001 und 2003 gemachten Aufnahmen (22 Stücke, das längste Stück knapp dreieinhalb Minuten, das kürzeste etwas unter einer Minute) knüpfen an die von Akustikgitarre geprägten Singer-Songwriterartigen Stücke an, die sich erstmals auf der Compilation „The Flies in Dreams and Reality“ fanden und dann auch in leicht anderer Form auf dem vorgezogenen Schwanengesang „Fin Finito Infinito“ auftauchten. Erstmals sind zudem alle Texte auf dem sich zu einem großen Poster auffaltbaren Cover abgedruckt. Nach dem Einleitungssong „All Purity Quenched“, bei dem der Gesang nur vom Akkordeon untermalt wird, konzentriert sich der Rest fast ausschließlich auf Akustikgitarre.

Es gab bei Nový Svět zwei Wörter, die (gefühlt) in fast jedem Stück vorkamen: „corazón“ und „nada“. Natürlich ließe sich sagen, dass der, der mit dem Herzen lebt, irgendwann vielleicht unvermeidlich vor dem Nichts steht und „…Into Your Skies“ lässt den Sänger erneut eine Vielzahl von Emotionen durchleben und -leiden (und auch Leid zufügen). Da gibt es den Falsettgesang, der das Leiden angesichts des Verlusts des für Selbstverständlich-Gehaltenen illustriert („Blind“), dann aber direkt darauffolgend rauer Gesang („Violet“), der Liebeserklärungen macht. Es gibt durchgängig das Bewusstsein, dass die Welt der Beziehungen aus „bittteren Orten“ besteht und man vielleicht der Aufforderung nachkommen muss, „wie ein Wolf zu heulen“. Dabei können die Songs durchaus drastisch-derb ausfallen („Try It All“ oder das großartig betitelte „Meat and Sex“ – ein rechtlicher Terminus für Geschlechtsverkehr war im Englischen früher bezeichnenderweise „carnal knowledge“) und auch voller Humor („Sober Song“, „Sober“ – man denke dann an die von Drogen(-erfahrungen) verschiedenster Art geprägte „Chappaqua“). Dabei gelingen auch immer wieder tolle Momente: „the fire was always yours/but the ashes that of others“ („Ashes“). Um auf die Frage zurückzukommen, ob das Englische Nový Svět beschädigt, kann man nur sagen, dass das nicht so ist.

Nový Svět waren schon immer ein postmodernes Wunderwerk an Intertextualität, Referenzen, zitierten Zitaten (wie etwa auf „Aspiral III“). Auf „…Into Your Skies“ zitieren sie COIL, die THE SMITHS zitieren („Nature is a language“), ein Stück heißt „Always On My Mind“ und am Ende des Albums hört man Pound seinen 17. Cantos rezitieren, bevor er abrupt unterbrochen wird und das Album endet. Trotz der vielleicht schnell eingespielten und komponierten Stücke und der Einfachheit des Aufbaus gelingen (wie auf jeder vorherigen Veröffentlichung auch) immer wieder echte Ohrwürmer und Augenblicke, die einem eine Gänsehaut machen und bei einigen der Stücke (z. B. bei “Days Will Come”) fragt man sich, ob sie in einer besseren Welt nicht sogar in die Charts kommen könnten.

„…Into Your Skies“ lässt einen bewusst werden, wie sehr Nový Svět fehlen. Die Hoffnung, dass das vor einigen Jahren angekündigte und bislang nicht veröffentlichte „Desde Infiernos De Flores doch noch erscheint, habe ich noch nicht aufgegeben.

(M.G.)