Das deutsche Duo Haus Arafna erforscht seit 17 Jahren analoge Klänge und thematisiert Aspekte der conditio humana, die manche lieber im Verborgenen sehen würden. Sieben Jahre nachdem das letzte reguläre Studioalbum “Butterfly” erschienen ist, folgt mit dem schlicht betitelten “You” Album Nummer vier. Dabei nehmen Haus Arafna inzwischen eine Sonderstellung im Feld extremer elektronischer Musik ein, haben sie es doch wie kaum eine andere Band geschafft, Hörer über enge Genregrenzen hinweg zu gewinnen, was auch damit zu tun haben mag, dass die beiden tatsächlich Songs schreiben können, und dass im Spannungsfeld zwischen dem was von Labelseite “Intensiv Elektronik” und “Angst Pop” genannt wird, immer noch spannende Klänge möglich sind. Im folgenden Interview geht es u.a. um Motivkomplexe, Limitierungen von Tonträgern und natürlich – wahrscheinlich unvermeidlich – um mögliche Liveaktivitäten.
Die Tage ist euer viertes Album “You” erschienen. Könntet ihr die Eckdaten der Entstehung des Albums umreißen und wie würdet ihr das Album in den Kanon eurer bisherigen Veröffentlichungen einordnen?
Einordnen fällt uns schwer. Ist ein Album fertig, ist es für uns Geschichte. Kann sein, dass wir für eine Sekunde lang denken, es sei das beste von allen, aber gleichzeitig haben wir schon das nächste im Ohr und ertappen uns dabei zu denken, wieviel besser dieses doch werden wird. Wir schauen nach vorne und verschwenden keinen Gedanken an die Vergangenheit. Da ist noch so viel was wir machen wollen.
Das hängt eng mit der ersten Frage zusammen: Habt ihr eigentlich in den Jahren zwischen “Butterfly” und “You” kontinuierlich an Songs (für Haus Arafna) gearbeitet oder gab es Phasen stärkerer und geringerer Aktivität?
Natürlich gab es Phasen stärkerer und geringerer Aktivität. Da war die Arbeit für November Növelet dazwischen, Privates hält zeitweise ebenfalls vom Musikmachen ab usw. Aber wir haben mit dem Album nicht erst ein Jahr vor Release-Date angefangen, falls Du das meinst. Wir haben gesammelt, selektiert, verändert, zusammengestellt, verworfen, erneut zusammengestellt und neue Lieder gemacht bis das Album rund war.
Würdet ihr zustimmen, wenn man sagt, dass ihr früher etwas stärker auf globalere Aspekte konzentriert wart und gerade “You” stärker auf das Zwischenmenschliche fokussiert ist?
Ja, wir arbeiten uns systematisch von Außen nach Innen vor und versuchen den Kern freizulegen, den Ursprung des Elends menschlichen Seins. Nicht nur zwischenmenschlich, sondern auch menschlich, für sich und allein.
In euren Songs finden sich immer wieder Verweise auf (die christliche) Religion (“Golgatha in flames”, “Son of Cain”, “Last dream of Jesus”), auf dem neuen Album gibt es mit “Lucifer” und “Judas K/ss” weitere Titel. Sind diese Bezüge primär symbolischer Art, auf allgemeingültige Aspekte der menschlichen Natur verweisend?
Ja, genauso ist es. Es handelt sich um bekannte Geschichten, Figuren und Stätten, die alle ihre Symbolkraft haben und jeder noch vom allsonntaglichen Kindergottesdienst her kennt.
In euren Arbeiten tauchen immer wieder Metaphern bzw. Symbole des Dualismus von Wunde und Schmerz auf (in “Colony Collapse” heißt es z.B. “brother and sister/ creator and murderer”). Glaubt ihr, dass schöpferisch Tätige die Wunde “offen halten” müssen? Was nährt eure Wunde? Welchen “Trost” spendet sie (um auf den Eingangstext im Bookletzu verweisen)?
Jederzeit aus ihr schöpfen zu können, ist der Trost der Wunde. Sie schmerzt und der Schmerz ist primärer Schaffensquell. So paradox es klingt, die Wunde schützt den schöpferisch Tätigen davor kreativ auszubluten. Sie ist ausschlaggebend für die Authenzität des Künstlers und verringert den Raum zwischen Künstler und Rezipienten, erzeugt die Nähe, die sich das Publikum wünscht und den Künstler erfolgreich macht bzw. machen kann. Verfügt der Künstler über keine tiefgreifende Verletzung, muss er intellektuell vorgehen, was durchaus interessant sein kann, aber nie wirklich Herzen berührt. Ihm bleibt ferner die Möglichkeit mit seiner Phantasie zu arbeiten, die ihn ebenfalls weit bringen kann, doch er wird einem verwundeten Künstler, mit einem vergleichbaren Maß an Phantasie und Intellekt niemals ebenbürtig sein.
In einem gerade mit Monte Cazazza geführten Interview meint er, dass er einen ziemlich verschobenen Sinn für Humor habe. Denkt ihr, dass eure Präsentation der Schattenseiten des Homo sapiens auch aus einem gewissen schrägen Humor gespeist wird, und dass ihr manchmal fasziniert von dem seid, was der Mensch (privat wie global) noch immer anrichtet?
Wir haben ja generell nicht viel Humor, einen speziellen mit Verschiebungen können wir erst recht nicht vorweisen. Der Humor, der uns bleibt, verschleißt still im Hausgebrauch. Eine Faszination für den Menschen liegt in der Tat vor, hat für uns aber nichts mit Humor zu tun, obwohl dort Humor hilfreich sein kann. Er hilft mit der Talfahrt in den Untergang umzugehen.
Ihr habt einmal daraufhingewiesen, dass eure Texte bewusst einen gewissen interpretatorischen Freiraum besitzen, “Leerstellen” haben. Gab es dennoch je Situationen, in denen euch eine Deutung wenig begeistert hat?
Nein, noch nicht. Deutungen sind rar und so viele Leute kennen wir nicht. Würden wir diesen Freiraum nicht lassen, wie sollten wir einen Text hinbekommen, der völlig unmissverständlich ist? Welchen Einschränkungen würden wir uns mit diesem Anspruch unterwerfen? Wir fühlen uns gewissermaßen gezwungen Freiraum zu lassen und lassen ihn gerne. Es ist ja Freiraum, den der Hörer gut gebrauchen kann.
Würdet ihr sagen, dass die Gestaltung von “You” bewusst an “Butterfly” anknüpft, um vielleicht eine gewisse musikalische/ thematische Verwandtschaft zu unterstreichen?
Ja, nur wollten wir statt einer musikalisch/thematischen Verwandtschaft, die graphische unterstreichen. Wir betrachten unsere Arbeit als Gesamtwerk – auch graphisch - und “Butterfly” sollte, wenn wir alle Cover nebeneinander betrachten, nicht aus dem Gesamtbild herausfallen, da wir möglicherweise in Zukunft nicht mehr diese „Freisteller”-Titelgestaltung fortführen werden.
Verbirgt sich hinter eurer durchdachten Gestaltung auch die Idee, ästhetische Gegenwelten zu erschaffen?
Wir versuchen uns abzuheben. Aber vielleicht ist es heutzutage schon fast eine Gegenwelt sich mit einer Druckfarbe zu begnügen. Seit der Spiegel in den Mitte-90er Jahren auf Farbe umgestellt hat, kann man in bestimmten Bereichen mit Schwarzweiß ein Zeichen setzen – wohl auch bei Tonträgern – für die Konzentration aufs Wesentliche in
einer Zeit der Zerstreuung.
Gibt es Momente, in denen die Musik euch mehr beherrscht als ihr sie?
Wir wissen nicht, ob es die Musik ist oder die Geräte oder ob das aufs Gleiche hinauskommt. Unsere elektronischen Musikgeräte haben die Eigenschaft sehr viele Möglichkeiten zu bieten. Das ist der große Unterschied zu herkömmlichen akustischen Musikinstrumenten. Die Geräte zerren in allmögliche Richtungen, wie ein Hundewelpe an der Leine. Ein Zerren und Ziehen, nur nicht dorthin, wo wir sie gerade haben wollen und doch sind die aufgezeigten Alternativen, zu der uns der „Instinkt der Maschine” geleitet, nicht immer schlecht. Nur mit viel Willenskraft, Konzentration und dem Mut konsequent Entscheidungen zu treffen, ist es möglich dem Herr zu werden. Manchmal unterliegen wir auch und es führt zu nichts oder zu etwas Großartigem. Haben Elektronen eine Seele, fragen wir uns des öfteren in unserem Mit- und Gegeneinander.
Ich habe den Eindruck, dass ihr euren Klang inzwischen gefunden habt. Gibt es für euch noch Aspekte/ Bereiche von Klang, die ihr bislang (noch) nicht erforscht habt?
Na klar, das Thema ist unerschöpflich. Das Schwierigste ist für uns, nicht zu vielfältig zu sein. Es gibt so viele Möglichkeiten und irgendwie soll es in die eckige Klammer passen. Diesen Umstand im internen Ablauf zu verbessern, daran forschen wir noch mehr als am Klang an sich.
Ich frage mal – nur bedingt provokant – ob ihr sagen würdet, dass beide Teile des Kompositums Angst Pop gleich wichtig für euch sind?
„Angst” hat fünf Buchstaben und „Pop” drei. Das ist das Mischverhältnis.
Ihr habt mal vor Jahren in einem Interview, das wir zusammen gemacht haben, gesagt, dass ihr eher gewisse “Klassiker” (Joy Division, SPK) hört. Wie stark verfolgt ihr aktuelle Entwicklungen im Bereich extremer elektronischer Musik?
Nicht stark, so richtig verfolgt haben wir diese ungefähr von 1990 bis 1998. Danach haben wir uns abgekapselt, nicht nur von extremer elektronischer Musik, um uns, frei von äußeren Einflüssen, selbst zu finden.
In einem Interview (Equinoxe Nr. 22) habt ihr gesagt: “Unsere Lieder sind Stimulus, keine Message”. Würdet ihr dennoch zustimmen, dass Kunst per se eine Botschaft vermittelt? “We have a story to write” heißt es in “Independent”.
Unserer Meinung nach kann man sich darauf verlassen, dass Kunst eine Bedeutung hat, denn sie entsteht in jedem, der die Kunst mag. Die Botschaft, selbst wenn vorhanden, verschwindet nicht selten in einer verworrenen Codierung, was dazu führt, dass es keine Botschaft gibt, auch falls eine vom Künstler eingearbeitet wurde.
Die Veröffentlichungen auf Galakthorrö erscheinen häufig als limitierte Vinylversion und als “unbegrenzte” CD-Version. Nach welchen Kriterien richten sich die jeweiligen Limitierungen und ist die Veröffentlichung auf CD auch ein Mittel gegen eine künstliche Verknappung und die Reaktion auf Bootlegs? Warum habt ihr es für notwendig erachtet, euer neues Album in einer geringeren Stückzahl zu veröffentlichen als den Vorgänger?
Es war dieses Mal besonders schwer die Stückzahl der Vinyl-Auflage richtig einzuschätzen, da wir unsicher waren, wie eine neue Haus Arafna-LP ankommen würde. Nach einer doch recht langen Veröffentlichungspause, in der sich zudem der Markt drastisch verändert hat, mussten wir uns Gedanken machen. Interessiert Haus Arafna noch? Inwieweit lassen sich die Klagen des Handels über schlechte Verkäufe auf das Bestellverhalten bei einer Haus Arafna-LP ableiten? Zwei Fragen, die schwer zu beantworten sind und uns nicht gerade größenwahnsinnig haben werden lassen, führten uns schließlich zu einer kleineren Auflage. Zu den CDs in Deiner Frage: Die CD gäbe es selbst dann, wenn wir das Vinyl nicht limitieren würden. Die CD ist für jene Leute, die noch keinen Plattenspieler haben oder CDs sogar der Schallplatte vorziehen.
In Zeiten der digitalen Überflutung bedient ihr auch immer noch traditionelle Kommunikationskanäle der Subkultur (z.B. Flyer etc). Entspricht das eurem “state of mind”?
Wir, Haus Arafna, kommunizieren nicht auf diesem Wege. Es ist das Label Galakthorrö, das über neue Veröffentlichungen per Flyer informiert. Wir müssen ehrlich zugeben, dass uns das außerordentlich gut gefällt. Galakthorrö scheut keine Kosten.
In dem letzten Interview, das wir zusammen geführt haben, sprachen wir kurz über die falsche Nachricht bezüglich eines Auftritts in London. Ihr meintet damals, dass es an der Umsetzung hapere. Ist inzwischen ein Live-Debüt für die nahe Zukunft geplant?
Natürlich nicht, wo denkst Du hin? Es hapert immer noch.
Eine letzte – vielleicht etwas zu umfangreich gefasste – Frage. Wie würdet ihr jemandem, der keinerlei Wissen um die Entwicklung elektronischer Musik hat, erklären, wie eure Musik klingt und welche Relevanz sie heute hat?
Jemandem der keinerlei Wissen um die Entwicklung elektronischer Musik hat, ist es unmöglich unsere Musik zu erklären. Damit sich unsere Eltern keine Sorgen machen, erklären wir ihnen, wir seien eine ganz wichtige Gruppe in dem Bereich. Aha, aha. Das zur Relevanz.
- M.G. & D.L. -