Auf der Eröffnung zu Philip Bests aktueller Ausstellung in Berlin hatte ich den Eindruck, dass die knapp vierzig Besucher mit dem musikalischen Werk des Künstlers weitgehend vertraut waren, also mit seinen Arbeiten unter der Flagge von CONSUMER ELECTRONICS und WHITEHOUSE. Und auch wenn die Veranstaltung ein bisschen wie der Anlass zu einem Klassentreffen wirkte, bei dem mehr Konversation geführt als Bilder bestaunt wurden, hatte ich doch den Eindruck, dass „Crowd Pleaser“ Best das Publikum auf seiner Seite hatte, und dass seine rund dreißig Fotokollagen durchweg Anklang fanden.
Natürlich wird immer dann, wenn ein Künstler sein angestammtes Metier verlässt und ein anderes Medium ausprobiert, die Frage gestellt, wie stark seine Anerkennung durch das Publikum ohne das anderweitige Renommee nun wäre, also wenn er die Fans aus der anderen Ecke nicht schon mitbringen würde. Das zu beantworten ist natürlich so spekulativ wie mühsam – im Falle von Philip Best könnte es jedoch (auch wenn die derzeit ausgestellten Kollagen nicht seine ersten visuellen Arbeiten sind) ein interessanter Versuch sein, seine neuen Bilder einem völlig unbedarften Publikum zu zeigen, das kein oder zumindest kein über die Jahre gewachsenes Kontextwissen über seine Musik und deren grenzüberschreitenden Überbau mitbringt. Natürlich muss das Ideal eines unverfälschten Blicks immer ein Konstrukt bleiben, dem sich eine reale Kunsterfahrung bestenfalls annähern kann, und dennoch könnten sich neutralere Vorverständnisse ganz unterschiedlich auswirken. Was fehlen würde, wäre zunächst jedes Gefühl von Prominenz und Aura, der Künstler würde zu einem von vielen werden, dem man sich mit respektloser Neugier näherte, und wenn es sein müsste, würde man sich auch trauen, seine Exponate auf Kunststudentenniveau zu platzieren. Zudem würde der durchschnittliche Galeriebesucher (natürlich abhängig von der jeweiligen Ankündigung, denn den Titel einer Ausstellung übersieht man schnell) nicht mit einer Erwartungshaltung aufkreuzen, jetzt unbedingt etwas Transgressives zu erleben, das ihn im Extremfall auf brachiale und demonstrative Weise verstört. Und somit auch nicht enttäuscht sein darüber, dass die Resultate in Bests Fall wenig von einer klinischen Kälte und Direktheit ausstrahlen, die man angesichts seiner Musik eventuell erwartet hätte.
Philip Best ist Sammler, kein Fotograf, und keine der Bilder, die man als Teile seiner Kollagen zu sehen bekommt, sind eigenhändig geschossene Fotos. Über mehrere Jahre hinweg hat Best gezielt Zeitschriften, Sachbücher und Fotobände durchforstet auf der Suche nach passenden Motiven seiner eigenen fotografischen Vision, auch Etiketten von Milchflaschen und ähnliches fand Verwendung. Was am Ende in die engere Auswahl kam, sind Variationen einer präzise bemessenen Themenauswahl, sind immer wieder neu und verändert zusammengesetzte Kombinationen bestimmter Sujets: Auf rein motivischer Ebene finden sich vor allem Naturaufnahmen und Darstellungen von Kindern, was dem Werk auf den ersten Assoziationsschub einen stark romantischen Anflug verleiht. Kinder, die ganz klassisch so etwas wie verspielte Unbekümmertheit ausstrahlen, beim Fischen, beim Faulenzen, beim Sport, beim süß in die Kamera lächeln. Der romantischen Assoziation tut auch das Unheil keinen Abbruch, das mal subtil, seltener auch deutlich in die harmonischen Szenen hereinbricht: Kinder verschwindend klein in eine überdimensionierte Natur hineinmontiert, vor einer Kulisse aus Dickicht und einem symbolisch verdüsterten Wolkenhimmel. Wer denkt da nicht an das Märchen vom Rotkäppchen? Kinder in so engen und betont fragmentarischen Bildausschnitten, dass sich die Frage, was wohl im Bild nicht mehr gezeigt wird, regelrecht aufdrängt, vor allem wenn das Ganze dann noch mit einem Gefahrensymbol par excellence, dem Spinnennetz zusammen geklebt ist.
Die Naturaufnahmen zeigen vor allem Wald. Sie zeigen ihn als Idyll, als erhabenes Panorama, als dämmerige oder lichtdurchflutete Anderswelt, von der ein magisch-realistischer Zauber ausgeht – stets aufgenommen in einem reiseführerartigen Sachbuchstil, dem eine undokumentarische Symbolverliebtheit entgegensteht. Aber auch Waldsterben und Waldbrand kommen vor, und die ebenfalls häufigen Tieraufnahmen reichen von Darwinschen Alpträumen bis hin zum Naturkitsch, mit dem Best anscheinend mit Vorliebe seine Spielchen spielt – in wenigen aber markanten Fällen erinnern Ausschnitte an Poster aus der berüchtigten Danny’s Dream Collection, mit denen Maria Carey hörende Mädchen in den 90ern ihre Zimmer verunstalteten.
Auch wenn Best im symbolischen Rahmen bisweilen bereitwillig mit diversen Zaunpfählen winkt, sind die destruktiven Elemente nie infernalisch oder reißerisch in Szene gesetzt, werden vielmehr mit einer irritierenden Beiläufigkeit gezeigt, die ein wichtiger Schlüssel zu den Kollagen ist und sie umso eindringlicher macht. Sie ist nicht nur Gegengewicht zu den Kitschmomenten, sie würde auch jede Deutung in die Schranken verweisen, die den Topos vom Verlust kindlicher Unschuld oder vom Trauma des Zivilisatorischen mit allzu viel Pathos auflädt und so in den Bereich des schon hundertmal Gesagten verbannen will. Dennoch sind es Themen, die Best permanent beschäftigen, aus der Perspektive des beinahe wertneutralen Beobachters, der seine Objekte eher heranzoomt, als sich ihnen wirklich physisch zu nähern (eine seiner Kollagen trägt auch den Titel „Remote Viewing“). Vor allem aber, und dies führt dann bereits mitten hinein in den Überbau seines bisherigen Werks, begnügen sich die Bilder auch nicht mit derart allgemeinen Themenrahmen: In feinen Andeutungen lassen einige der Kollagen den Verlust des paradiesischen Urzustandes als etwas gewaltsam Herbeigeführtes durchscheinen, als eine Gewalt, die großen Interpretationsspielraum lässt, und die bei genauerem Hinsehen sexuell aufgeladen ist.
„Shasta IX“ zeigt eine junge Ballerina von sinnlicher Mimik und Körpersprache, geführt von einem gesichtslosen Tanzlehrer. Harmlos oder nicht, genau aus einer solch unbeantwortbaren Frage bezieht das Motiv seine Spannung, und das politisch Unkorrekte von Bests Arbeiten besteht gerade darin, dass er das eigentlich Transgressive in den Assoziationen des Betrachters stattfinden lässt, der am Ende noch hinter jeder Ecke den Übergriff sehen will, der niemals gezeigt wird und nichtsdestotrotz überall doch vage mitschwingt. Die aufgescheuchten Rehe, scherenschnittartig verfremdet vor einem glühenden Himmel – Symbole des Scheuen, Gejagten, oder doch nur die überbordende Fantasie des Betrachters? Die Gefahr als ein Mögliches, das ja doch nie wirklich stattfindet? Im Leben einer realen Shasta Groene, auf deren Geschichte diese und einige weitere Kollagen im Titel anspielen, wurde Gefahr jedenfalls sehr real. Sie wurde mehrfach missbraucht und darüber hinaus Zeugin der Ermordung mehrerer Familienangehöriger. Ein derart drastischer Hintergrund verleiht einigen Kollagen eine schockierende Ernsthaftigkeit, die dem nicht informierten Betrachter vielleicht entgeht. Aber auch ohne diesen Hintergrund haben die Bilder einen zumindest verstörenden oder irritierenden Subtext. Irritiert sein kann man jedenfalls aus ganz unterschiedlichen Gründen – entweder wegen der um jede Ecke schielenden Bedrohung, oder, wenn man ein hartgesottener Powernoiser ist, vielleicht gerade wegen Bests subtiler, indirekter Art, mehr zu verstecken als zu zeigen.
Thematische Überschneidungen zwischen Bests Musik und seinen Kollagen liegen auf der Hand, wenngleich ihm eine Trennung beider Bereiche wichtig ist – dass auf der Vernissage keine Musikperformance stattfand, entspricht der fast schon demonstrativen Abwesenheit jeglicher Grafik auf den letzten Alben von CONSUMER ELECTRONICS. Auf der anderen Seite wies er im Gespräch auf die wechselseitige Inspiration von Artwork und Songtexten hin, bei der die Ideen für eine Kollage sehr oft von Lyrics angeregt werden oder umgekehrt. Dennoch betrachtet Best seine visuellen Arbeiten seit Jahren als eigenständiges Feld, das mittlerweile einen ebenso großen Raum in seinem Gesamtschaffen einnimmt wie die Musik. Einige der hier gezeigten Bilder werden voraussichtlich in seinem zweiten Buch enthalten sein, dass beim französischen Timeless-Verlag erscheinen wird.
Die Serie „Sex Offender Boyfriend“ ist noch bis zum 22. März zu sehen, und zwar im Galerie-Shop Rumpsti Pumsti (Weserstraße 165, 12045 Berlin-Neukoelln), der auch die Labels Hrönir, Pan und Tochnit Aleph beheimatet. Ein Besuch lohnt! (U.S.)