Dark Earth Distillery. Interview mit UnicaZürn

Unica Zürn, Autorin, Dichterin, Verfasserin von Anagrammlyrik, Zeichnerin, Malerin, Lebensgefährtin Hans Bellmers– unter dem Namen der in Berlin geborenen Künstlerin, als Hommage an ihre kreative Kraft, wie es im folgenden Interview erläutert wird, sind mit Stephen Thrower und David Knight zwei Künstler kreativ tätig, deren eigene Stammbäume der randständigen, experimentellen Musik viele Verästelungen haben und weit zurückweisen: U. a. war/ist David Knight Mitglied von Shock Headed Peters, seine eigenen dunklen Klangflächen veröffentlicht er unter dem Projektnamen Arkkon, Stephen Thrower war lange Jahre Mitglied bei Coil, ist Filmjournalist und seit Jahren zusammen mit Ossian Brown anderer Teil des Duos Cyclobe; Thrower wie Knight spielen zudem im Improvisationskollektiv Amal Gamal Ensemble mit – und die Improvisation spielt für die Musik Unica Zürns, die man sicher irgendwo im weiten All kosmischer Musik verorten kann – wenn auch als „verdrehter Ableger“ davon, wie Stephen sagt – eine große Rolle. Inspirationen, Kompositionen, Symbole waren ein paar der Themen, über die wir uns unterhalten haben.

English version

Ich bin ehrlich gesagt sehr neugierig, weshalb ihr für euch den Namen der deutschen Künstlerin Unica Zürn gewählt habt. Ich erinnere mich, wie ich vor einigen Jahren ihre Anagrammdichtungen entdeckte und sofort stark beeindruckt war. Leider ist sie nicht sehr bekannt. Seit ihr mehr durch ihre Texte oder durch ihre visuellen Arbeiten beeinflusst?

David: Wir haben uns lange Gedanken über Namen gemacht, und obwohl wir schon seit Jahren zusammen aktiv waren, hatten wir uns bis kurz vor der Veröffentlichung der “Temporal Bends”-CD noch auf keinen Namen geeinigt. Ossian Brown las gerade eines ihrer Bücher; Steve wurde darauf aufmerksam, und das war’s. Ich hatte ihre Zeichnungen  und ihre Arbeiten mit Bellmer schon immer gemocht, weshalb ich den Namen dann auch perfekt fand. Ich finde ihre Zeichnungen inspirierender als ihre Texte, aber wenn jemand unsere Musik in Bilder konvertieren würde, würde es wahrscheinlich eher wie Rothko aussehen!

Seht ihr einen Bezug zwischen ihrer Art des Schreibens/Zeichnens und eurer Art des Komponierens?

David: Auch wenn ich ihre anagrammatischen Dichtungen mag, sind sie das Gegenteil von der Art, wie wir arbeiten – meistens benutzen wir keinerlei Kompositionssysteme. Wir haben damit experimentiert, aber wie es aussieht, kommen wir immer zu besseren Ergebnissen, sobald wir frei arbeiten. Unsere Adaption/Adoption ihres Namens ist eine Hommage an ihre kreative Kraft, nicht an ihre Herangehensweise.

Viele ihrer Arbeiten sind in Deutschland nicht mehr erhältlich. Gibt es (eventuell mehrere) englische Übersetzungen ihrer Werke?

David: I habe die Atlas Press-Ausgabe (UK) von “Der Mann im Jasmin” und “Das Haus der Krankheiten” – sie sind mittlerweile vergriffen, aber waren vor einigen Jahren noch einfach zu bekommen.

Trefft ihr eine klare, programmatische Unterscheidung zwischen UnicaZürn und euren anderen Gruppen, oder ist eure Kollaboration mehr ein spontanes Ergebnis aus dem, was so passiert, wenn zwei Musiker sich treffen und zusammen improvisieren?

Stephen: Ich würde sagen, es ist letzteres. Manches, was wir machen, entsteht, wenn wir allein arbeiten, und es dann dem jeweis anderen geben, um etwas damit zu machen. Aber ich schätze, dass mehr als die Hälfte unseres Materials beim gemeinsamen Improvisieren entsteht. Diese Spontaneität unterliegt dann einem Aussortieren, einer Verfeinerung und bewussteren Stufe des Entscheides, was fehlt, was herausgenommen werden muss, ein Prozess, der durch gemeinsame Absprachen und Vergleiche abläuft.

Was ist der wichtigste Unterschied in der Herangehensweise, verglichen mit eurem Spiel bei Arkkon und Cyclobe?

Stephen: Für mich liegt der Unterschied in dem Gewicht, das wir auf das simultane Spielen legen; in Cyclobe passiert das relativ selten, in UnicaZürn ist es die Norm. Ich denke, es resultiert aus unserer Freude am Improvisieren im Amal Gamal Ensemble, plus die Leichtigkeit, mit der wir die richtige Herangehensweise oder den passenden Kanal finden, um so zu experimentieren.

David: Bei mir ist es ganz ähnlich; als Teil eines (an der Basis) improvisierenden Duos zu arbeiten, bedeutet, meinen Kopf von allen vorgefertigten Ideen zu reinigen, wo es mit einem Stück hingehen soll (oder wo man überhaupt beginnt), die Luft anzuhalten und einzutauchen. Wohingegen ich bei der Arbeit an meinen Soloprojekten für gewöhnlich zumindest eine grundsätzliche Richtung vor mir sehe, wohin ich ein Stück gehen lasse.

Ich glaube, The Amal Gamal Ensemble hatte seinen letzten Auftritt 2011. Ist dieses Projekt immer noch aktiv, liegt es auf Eis oder existiert es gar nicht mehr?

Stephen: Amal Gamal erlebt eine lange Unterbrechung, aber es gab nie ein definitives “Ende”. Die persönlichen Verbindungen haben sich vielleicht gelockert. Ich lebe nicht mehr in London, so dass ich die anderen nicht mehr so oft sehe wie bisher. Ich könnte mir ein weiteres Explodieren der Aktivität vorstellen, vielleicht mit einem etwas anderen Line-Up: Wir hatten angefangen, die Besetzung etwas zu variieren und fanden uns vorübergehend als stabilie sechsköpfige Band wieder, vielleicht würde es Sinn machen, dieses Muster aufzubrechen.

Ich habe das Gefühl, dass in der Musik des Amal Gamal Ensemble mehr (Prog-)Rock-Elemente zu finden sind als in UnicaZürn. Seht ihr UnicaZürn als eine Art Fortsetzung dieser Band? In welcher Beziehung stehen die beiden Bands zueinander?

David: Ich denke, Amal verwandelte sich sukzessive in etwas, was man für gewöhnlich ein “traditionelles” Line-up nennt: Drums, Bass, Gitarre – allerdings mit drei Synthie/Keyboard-Spielern – und obwohl wir alle bekennende spontan improvisierende Musiker sind, beherrschen wir wenn nötig auch das Vokabular des Rock. Aber ich denke, wir klangen mehr wie Chrome als wie The Nitty Gritty Dirt Band! Steve und ich hatten schon zusammen gespielt, bevor Amal gegründet wurde, und das “Temporal Bends”-Album enthält einiges von diesem frühen Material – besonders “Black Glass Mask” und den Großteil des “Temporal Lapse”-Minialbums. Obwohl wir damals keinen Namen für das Projekt hatten, gab es UnicaZürn also schon vor Amal. Wir behandeln beide Bands als komplett von einander getrennte Dinge – Amal begann als fließendes Kollektiv, das erst öffentlich vollends erwachsen wurde; eine stets wechselnde Ansammlung von Musikern, die sich einmal monatlich im Londoner Horse Hospital trifft und eine Stunde lang improvisiert. Ich habe dabei sehr viel lernen können, musikalisch war es sehr intensiv, und natürlich strahlt das dann auch auf andere Projekte wie eben UnicaZürn aus – in jedem Fall hat es mir das Selbstvertrauen verschafft, die UnicaZürn-Livesets zu improvisieren, als wir anfingen, außerhalb unseres Studios zu spielen.

Gab es neben euren eigenen Erfahrungen als Musiker irgendwelche wichtigen Begegnungen, Impulse oder Inspirationen, die die Grundlage schufen, auf der UnicaZürn wachsen konnte?

David: Es gab auf jeden Fall Inspirationen für mich als Hörer – meine stärkste Erfahrung war, als ich This Heat zum ersten mal live gesehen hatte, in einem kleinen Keller in Covent Garden, London. Ich war wie umgehauen – es war wie Post Punk in Kollison mit Stockhausen, einem elektronischen Miles Davis, King Crimson, Faust und Henry Cow – es war ungeheuerlich, beglückend und beängstigend. Im selben Jahr sah ich TG in der London Filmmaker’s Co-Op spielen, was mir eine komplett neue Form der Dunkelheit in der Musik näherbrachte. Es waren vermutlich nur 20 bis 40 Leute bei jedem dieser Gigs, aber es braute sich zu dieser Zeit definitiv etwas zusammen, und es war von einer Spannung, die mich bis zum heutigen Tag antreibt und inspiriert.

Würdet ihr sagen, dass es – vielleicht in Bezug zum Songtitel “The Infernal Kernel” – so etwas wie einen beständigen Kern oder einen roten Faden gibt, der alle Arbeiten von UnicaZürn verbindet?

Stephen: Ich denke, dass unsere Arbeiten eng verbunden sind mit “Kosmischer” Musik, ein verdrehter Ableger davon, und dies bildet einen Faden, obwohl richtig gute Kosmische Musik unberechenbar und wechselhaft ist, so gesehen, ist es auch keine all zu enge Definition! Auf zuverlässige Art unberechenbar,das ist die Idee. Ein Titel wie “The Infernal Kernel” bezieht sich auf Existenz in kosmischen Begriffen, in dem Fall berührt es den Gnostizismus (das Universum als Konstruktion des Bösen); auch den nicht reduzierbaren Kern dessen, was existieren ist, das unerträgliche “Sein”, das nicht exklärt werden kann, ohne in eine Tautologie zu verfallen.

Symbole, so vage sie auch sein mögen, scheinen eine große Rolle in eurem Werk zu spielen, vor allem anscheinend Bilder des Wassers, der Tiefe und des Tauchens. Auf eurer Webseite zitiert ihr sogar einen Rezensenten, der im Zusammenhang mit eurer Musik Cousteau und Lovecraft nennt. Versteht ihr eure musikalische Improvisation als eine Expedition, die “auf den Grund” geht? Wenn ja, wie ergebnisoffen ist dabei eure Suche?

Stephen: Wenn du in einem solch abstrakten Bereich wie der Musik arbeitest, vor allem in der Musik ohne Texte, suchst du automatisch nach symbolischen Grenzmarkierungen zur Orientierung deiner Abstraktionen; etwa die Frage, wie herum du dein Gemälde aufhängst! Es ist etwas von einem Spiel in unserer Musik und den Songtiteln, zwischen dem Allgemeinen und dem Speziellen; wir haben elementale Bildlichkeit zusammen mit Sprachspielen und Zungentricks, die den Gegenschuss zeigen, zusammengeführt; die spezifische Natur eines Wortspiels oder eines surrealen Kontrastes. Beim Zusammenarbeiten ist uns aufgefallen, dass es eine starke Tendenz in unseren Assoziationen gibt, das Elementare zu suchen; Wasser, hauptsächlich, und die dunkle Kompression der Erde. Wasser to Erde; das ist der Verlauf!

Wasser wurde seit jeher mit dem Unbewussten assoziiert und das Eintauchen in Bereiche unterhalb des rationalen Bewusstseins steht in Verbindung mit der individuellen Psyche. Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang die Tatsache, dass bei euch zwei Personen an der “Taucherfahrung” teilnehmen?

Stephen: Es hat widersprüchliche Assoziationen; ich persönlich liebe es, auf Schiffen und Booten zu sein, aber als Kind hatte ich wirklich große Angst vor dem Ertrinken; es dauerte Jahre, bis ich es schaffte, eine zutiefst irrationale Angst vor Wasser zu überwinden. Es liegt darin für mich etwas sehr Beängstigendes, aber auch eine große Faszination. Panik zusammen mit Würgen, mit stockendem Atem, mit dem Gefühl zu ersticken; das waren echte Druckstellen; jetzt ist das weniger, da man diese durch das schiere Durchhaltevermögen des Lebens überwindet. Ich nehme an, der Aspekt des unter Wasser Seins, die sich auf interessante Art in die Musik schleicht, ist das Gefühl der Immersion. Unter Wasser ist es nicht wesentlich anders als im Pulsieren eines Musikstücks; sicher, wenn man Musik zu Halluzinogenen genießt, hat man eine viel taktilere Wahrnehmung davon, wie die Musik einen in ihre Wellen hineinzieht. Auch die Art, wie man unter Wasser langsamer wird, suggeriert ein verändertes Verhältnis zu Bewegung und Zeit; es dauert länger, eine einfache Bewegung zu machen, alles wird bewusster und es gibt eine Zeitverzögerung zwischen der Entscheidung, sich zu bewegen und der Bewegung selbst. Ich denke, alles, was den Fluss von Ursache und Wirkung stört oder verändert, ist interessant. Und was die Tatsache, dass wir Zwei sind, anbelangt, na ja, auf die Art kann es sicherer sein, abgesehen dann, wenn Lachgas in der Sauerstoffflasche ist oder dem seltsamen Fall von Juckpulver im Taucheranzug…

In unserer Kultur haben Begriffe wie “Regression“ oder “regressiv“ einen eher negative Begriffe und werden oft mit Schwäche und einer Unfähigkeit in Verbindung gebracht, mit den harten Fakten des Lebens klarzukommen. Bei genauerem Hinsehen kann der Fokus auf die eher archaischen Aspekte der Persönlichkeit oder des Lebens aber eine kostbare Erfahrung sein und unseren Blick auf die Wirklichkeit bereichern. Glaubt ihr, dass dies noch immer ein Bereich ist, wo unsere Gesellschaft einen Paradigmenwechsel nötig hat?

Stephen: Ich bin nicht ganz sicher, worauf du hinauswillst (oder worauf du dich beziehst)… Wenn ich deine Begriffe richtig verstehe, geht es nicht so sehr darum, dass das Regressive schlecht oder gut ist, sondern mehr auf welche Art du dich erst einmal von dem archaischen Selbst loslöst? Wie trennst du die Schnur durch? Ich würde die Vorrichtung gerne sehen, die das zustandebringt. In einer Kultur, die stillsteht, wäre meines Erachtens eine Bewegung in beide Richtungen gefährlich. Es gibt einen Unterschied zwischen Verfeinerung oder Reduktion auf das Wesentliche und Regression, die mit Flucht und einem Zurückschrecken vor der Zukunft assoziiert ist. Mit Coil hatten wir einen Songtitel, “Further Back and Faster”, den wir aus Nic Roegs und Donald Cammells Performance entliehen hatten. Ich mag diesen Titel noch immer sehr und er passt auch sehr gut zu dem UnicaZürn-Ansatz.

Sind solche Interessen für euch mit Mystizismus oder dem Okkulten im weiteren Sinne verbunden (nicht im Sinne eines romantischen Eskapismus..)?

Stephen: Ich bin den Theorien des Unerklärbaren gegenüber etwas müde geworden, aber ich bin sicher, dass es wirklich Kräfte jenseits unseres heutigen Verständnisses gibt, mit Betonung auf “heutig”.

“Jack Sorrow“ enthält Lyrics und Gesang der heutzutage leider nicht sehr aktiven Danielle Dax. Könntet ihr euch vorstellen, mehr Songorientiertes in künftigen Aufnahmen von UnicaZürn zu integrieren?

David: Bei “Jack Sorrow”  hatten wir ursprünglich eine Aufnahme von Steves sehr stark bearbeiteter Klarinette, die so klang, wie miaunde Katzen. Danielle hörte die Aufnahme eines Tages, als ich ihr einige unserer Stücke vorspielte, und sie hatte sofort eine Idee für eine Gesangslinie. Das Stück hat sich ganz natürlich entwickelt, genauso wie der Rest des Albums. Ich denke, es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man sich hinsetzt und sagt: “OK, lass uns einen Song schreiben.” und wegen der Art und Weise, wie es sich natürlich entwickelt hatte, passte es perfekt als Koda auf das Album anstatt, dass so zu klingen, als wäre es angehängt worden – was eine Gefahr sein kann, wenn es das einzige Stück mit Gesang auf einem ansonsten komplett instrumentalen Album ist. Bei UnicaZürn wollen wir keine Regeln festlegen, insofern sehe ich keinen Grund, warum wir nicht mehr Gesangs- oder Rhythmus basierte Strukturen einfügen sollten. Wir haben definitiv schon mit ihnen experimentiert.

Habt ihr, abgesehen davon, schon Pläne, wie euer nächstes Release klingen soll?

David: ‘Temporal Bends’ war das Ergebnis einer langen Experimentierphase und wir haben seitdem viel gemacht. Wir haben wahrscheinlich genug Material zusammen, um ein Dreifachalbum zu veröffentlichen, aber wir sind immer noch dabei es auf eins runterzubrechen – was hoffentlich dieses Jahr zu Ende gebracht werden wird. David J Smith hat auf einigen Tracks Schlagzeug/Perkussion gespielt und ich bin sehr aufgeregt, was die möglichen Richtungen, die das nächste Album einschlagen könnte, anbelangt. In meinem Kopf klingt es wie eine Mischung aus Popol Vuhs “Affenstunde”, Fausts “So Far” und Tangerine Dreams “Electronic Meditation’” – aber das ist nur meine Vorstellung! Wir wollen auch eine Aufnahme eines Auftritts veröffentlichen, als wir vergangenes Jahr in London in den Ironmongers Baths aufgetreten sind. Klänge wurden durch Unterwasserlautsprecher zu den Schwimmern übertragen. Das war der surrealste Gig, den ich je gespielt habe. Wir ihr euch vorstellen könnt, hat den Analogsynthesizern die Feuchtigkeit nicht so zugesagt – einer von ihnen ist explodiert, als wir nach Hause gekommen sind.

In den Linernotes zu “Dark Earth Distillery“ heißt es, dass die Aufnahmen von drei verschiedenen Performances stammen. Wenn man das Album hört, kann man sich darüber nur wundern, da beide Seite des Vinyls “zusammenfließen”. Könnt ihr uns etwas zum Arbeitsprozess sagen?

David: Wir hatten uns einige unserer Liveauftritte anghehört und haben uns entschieden, dass einige gut genug für eine Veröffentlichung waren. Wir beschlossen, die Liveaufnahmen genauso wie unsere im Studio improvisierten Aufnahmen zu behandeln, so wie Teo Macero und Holger Czukay jeweils Miles David und Can bearbeitet, zusammengefügt und neu komponiert haben. Das ist immer unsere Arbeitsweise im Studio, der einzige Unterschied ist, dass es diesmal Publikum gab. All das Ausgangsmaterial ist von den Auftritten, aber wir haben die Klänge bearbeitet, überblendet und haben mit den Teilen, die wir ausgewählt haben, versucht, eine neue Erzählung zu schaffen.

Wollt ihr mit dem Titel “Dark earth distillery“ ausdrücken, dass es (mit Hilfe der Kunst?) möglich ist, positive Elemente aus einer (zunehmend) dunklen Welt herauszudestillieren?

Stephen:Es ist ein Bündel von Bildern. Für mich lässt das an den Lehm, das Gedränge, das Gewicht der Materie,  die “Schwere” von all dem denken, verdichtet, komprimiert und verfeinert, und davon ein ursprünglicher ein belebendes Rauschmittel oder ein Gift, um es zu beenden. Eine “dunkle Erde” ist eine verfinsterte Erde, eine Erde in vollem Schatten, Nacht überall. Und dann sind es die Erinnerungen vom Reisen bei Nacht durch fremde Länder, Konzerte spielen, Musik aus den osteuropäischen Schatten oder der Londoner Düsternis herausziehen. Außerdem habe ich vor einiger Zeit mit dem Trinken aufgehört und gegen Ende war das ein melancholisches Unterfangen, sehr einsam, meistens mitten in der Nacht. Symbolismus mal beiseitegelassen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Welt dunkler wird, als sie es je war. Wir haben Antibiotika für eiternde Wunden, Kopfhörerreisen statt elende Plackerei, wir können alles essen anstatt, dass alles uns isst. Ich bin nicht so naiv, was die Vergangenheit anbelangt. Ich denke, ich habe verdammtes Glück hier und jetzt geboren worden zu sein. Wenn der Preis dafür ist, die Postmoderne und 24 Stunden am Tag den Mist im Fernsehen zu ertragen, dann habe ich in der kosmischen Lotterie ziemliches Glück gehabt!

David, ich erinnere mich, dass du, als ich dich vor ein paar Jahren interviewt habe, sagtest, du würdest in ein Büro gehen, wenn du Menschen hinter Laptops sehen willst. In welchem Ausmaß betrachtest du das Zusammenspiel zwischen elektronischen und akustischen Instrumenten als wesentlich für das, was du machst?

David: Ha! Persönlich finde ich Laptop-Performances eher langweilig anzusehen als Live-Spektakel… Aber jeder wie er mag… Wenn es gut klingt, arbeite damit.

Was die Überblendung elektronischer und akustischer Instrumente angeht, denke ich, dass akustische Instrumente derart viele Obertöne haben, eine derart starke klangliche Komplexität, dass man sie nicht ignorieren kann, wenn man wirklich daran interessiert ist, auditive Muster zu kreieren und zu gestalten. Ich würde sagen, dass die Mehrheit der Klänge auf “Temporal Bends” mit verfremdeter Gitarre, Saxophon und Klarinette erzeugt wurde. Wir hatten uns außerdem bewusst bemüht, jeden Synthiesound unkenntlich zu machen und auf der anderen Seite jedes akustische Instrument synthetisch klingen zu lassen. Zu unseren favorisierten Live- Instrumenten zählt ein kleines Yamaha-Minikeyboard, das ich für einen Pfund auf dem Flohmarktgekauft hatte – wenn du es erst einmal an ein paar Pedale angeschlossen hast, klingt es schön und sehr einzigartig – man hört es fast überall auf “Dark Earth Distillery”.

(M.G. & U.S.)

UnicaZürn