Obwohl der Name Margenrot für eine recht opulente Form experimenteller Elektronik steht, bewahrt sich die Musik doch eine durchweg geheimnisvolle Aura – vielleicht weil die zahlreichen Samples und Sprachfetzen auf ihrem bisher einzigen Release “Zangezur” diffus und unverständlich bleiben, vielleicht aber auch, weil die Kombination ritueller, zum Teil noisiger Elektronik mit Themen der Geschichte des mittelalterlichen Armeniens ebenso ungewöhnlich anmutet wie das Zusammenspiel analoger Synthies mit dem Klang orientalischer Blasinstrumente. Im folgenden Interview brachte die heute in Moskau lebende Musikerin Lusia Kazaryan-Topchyan etwas Licht ins kaukasische Dunkel und machte zugleich gespannt auf Kommendes.
Bevor du mit Margenrot anfingst, warst du in verschiedenen Bands aktiv, die bekannteste davon ist Fanny Kaplan. Wie kam es zu deinem Soloprojekt? Gab es eine zündende Idee?
Wenn du in einem Kollektiv spielst, musst du immer wieder Kompromisse eingehen und überlegen, ob du auf deine eigenen Ideen bestehst oder zurücktrittst und dich mit den anderen arrangierst. Es ist in jedem Fall ein ständiger Dialog zwischen verschiedenen Meinungen und Vorlieben. Margrenrot ist ein persönliches und intimes Projekt. Hier bin ich ganz bei mir, bei meiner eigenen Geschichte. Dennoch verdanke ich der unschätzbaren Erfahrung, in einer Band zu spielen, viele Einsichten darüber, wie man eine Rhythmussektion schreibt und wie Instrumente interagieren.
Das Soloprojekt begann, als ich von Omsk nach Moskau gezogen bin. Damals war ich auf der Suche nach einer Musikgruppe, schrieb aber parallel schon Skizzen auf dem Yamaha-Synthesizer. Über eine Zeit von sechs Jahren lebte der Synthesizer langsam vor sich hin und sammelte eine Vielzahl an Material. Viele dieser Aufnahmen verschwanden wieder im Schatten, und erst in den letzten Jahren fing ich an, die Ergebnisse zu mögen. Nach meinem Ausstieg bei FK hatte ich mehr Zeit für Margenrot und für die Fertigstellung des Albums “Zangezur”.
Die sieben Tracks auf diesem Debüt haben also auch eine längere Geschichte?
Zangezur ist eigentlich gar nicht das erste Album. Das erste Album wartet schon lange auf seine Veröffentlichung auf einem deutschen Label. Aber ich wollte nicht länger warten und schrieb das zweite Album und veröffentlichte es als das erste beim russischen Label Klammklang.
Die Tracks auf Zangezur haben sich das letzte Jahr über angesammelt, aber “Hałas W Samolocie” entstand schon 2013 nach einer Reise nach Polen.
Wie entstehen deine Songs? Komponierst du, oder improvisierst du mehr nach einem “Trial and Error”-Verfahren?
Ich würde den Prozess des Musikmachens mit dem Zeichnen eines Bildes vergleichen. Es kann wie Malen oder grafisches Gestalten sein mit den Elementen, die vom Synthie oder Sampler kommen. Aber die Sounds sind ganz klar wie Bilder mit ihren Rhythmen, Bedeutungen, Stimmungen. es gibt aber kaum Abstraktion in den Kompositionen. Der kreative Prozess ist immer wieder anders, aber meist findet er auf die “Trial and Error”-Art statt. Eine Idee kann in meinem Kopf entstehen und auf viele Arten umgesetzt werden, oder umgekehrt lässt der kreative Prozess ein Bild, eine Geschichte entstehen.
Welche Instrumente und Klangquellen verwendest du?
Neben den industriellen Geräuschen, die elektronisch aufgenommen werden, bin ich sehr interessiert daran, Material, das mit der armenischen Kultur zu tun hat, zu sammeln: ich habe Chöre in einer katholischen Kirche aufgenommen, Sounds in einer Diskothek im Dorf Naohrebi und verschiedene andere Geräusche. Der Sound des Albums ist geprägt von analogen Synthies und Militärsounds, die ich von Platten digitalisiert habe.
Gibt es eine Geschichte hinter dem Namen Margenrot?
Ich wollte bewusst meinen projektnamen nicht mit einer tiefen Bedeutung aufladen, und er ist mehr mit einer Geschichte aus meinem Leben verknüpft. Als ich zum erstenmal Berlin besuchte, lebte ich eine Zeitlang in einem Squat in der Kastanienallee, direkt neben dem Café Morgenrot, wo Buchpräsentationen, Ausstellungen und andere Events aus der linken Szene stattfinden. Ich mochte den Namen und seinen festen Klang. Mit einer kleinen Modifizierung wurde daraus der Name meines Soloprojektes.
Soweit ich weiß stammst du aus der sibirischen Stadt Omsk und lebst nun schon seit einiger Zeit in Moskau. Warst du auch schon selbst in Armenien, und wie stark haben all diese Orte deine Musik mitgeprägt?
Ich wurde in Sibirien geboren und war ein paarmal in Armenien, und natürlich haben diese Reisen mich stark beeindruckt, im Gegensatz zum grauen Omsk ist es dort warm und liebevoll.
Wahrscheinlich haben all diese Orte meine Musik irgendwie mit beeinflusst. Sowieso hat alles, das mit uns lebt, Erinnerungen, Wohnorte, eine Auswirkung auf die Kreativität. Du kannst das gar nicht vermeiden.
Du verwendest Blasinstrumente wie die Duduk in deinem ansonsten eher elektronischen Sound, und m.E. gibt das deiner Musik nicht nur einen leicht folkigen, sondern auch einen ritualistischen Touch. Spielst du diese Instrumente selbst, oder sind sie von Platte gesamplet?
Leider spiele ich die Duduk nicht Duduk, vielleicht lerne ich es irgendwann einmal, aber bislang muss ich mich mit der digitalen Version des Instruments begnügen, Plug-ins, mit denen man die Melodiespuren hinzufügen kann. Ich habe sogar versucht, einen Duduk-Spieler für eine Performance aufzutreiben, aber ich fand niemanden, der gepasst hätte.
Findest du deine Sounds eher per Zufall, oder suchst du bestimmte Samples manchmal auch gezielt?
Das passiert ganz unterschiedlich. Ich lebe heute in einem Außenbezirk von Moskau und komme oft an allen möglichen verlassenen Orten, Bepflanzungen und Wäldchen vorbei. Außerdem wohne ich in der Nähe eines Bahnhofs und höre jeden Tag die vorbeifahrenden Züge. Ich mag generell den Klang der Züge, ihren Rhythmus. Das zeigt wieder, dass das Umfeld die Kreativität beeinflusst.
Die Frage ist vielleicht ein bisschen off-topic, aber ich frage mich, ob die spirituellen Arbeiten und Lehren G.I. Gurdjieffs für dich als in Russland lebende Armenierin eine Inspirationsquelle waren?
Gurdjieff ist einen interessante Person. Der Mann ist ein Orchester. Ich war sehr an seiner umfangreichen Arbeit interessiert, vor allem mochte ich seine Tanzaufführungen, bei denen die Teilnehmer durch ihre Körpervibrationen der Musik skippten, und jede Reihe von Tänzern die Musik in einzelne Teile zerlegte: eine Reihe für schnelle Melodien, eine andere Reihe – Perkussion. Der ganze Akt zeigt buchstäblich ein flackerndes Bild. Er schrieb magische Musik. Trotzdem würde ich ihn nicht als eine direkte Inspirationsquelle bezeichnen, vielleicht im Kleinen.
Für mich hat Margenrot auch eine stark cinematische Seite, das Zusammenspiel verschiedener Klänge und Stimmen kann starke Bilder heraufbeschwören. Interessieren dich Film, visuelle Kunst und Multimedia? Gibt es bestimmte Arbeiten, die dich beeinflusst haben?
Auf jeden Fall. Für mich ist jeder Song auf Zangezur eine Filmszene. Und jede Szene beschreibt ein Leben im Kleinen, eine Lebenssituation, und alles zusammen führt zu einer großen Geschichte. Ich sehe mir viele Filme an. Sie haben vielleicht nicht alle mit meiner Arbeit zu tun, aber ich bin sicher, dass sie in irgendeiner Form mit prägen, was ich mache.
Mein neuester Favorit ist der taiwanesische Regisseur Edward Young. Über den persönlichen Konflikt einer einzelnen Familie zeigt er die ganze politische und historische Situation seines Landes auf. Ich mag, dass so viel Luft in seinen Aufnahmen ist, und wie er die Stadt in seinen Filmen zeigt.
Ich habe letztens den neusten Film von Kira Muratova namens eternal return gesehen und dachte: “Das ist Steve Reich!”. Sie verwenden ähnliche Wiederholungstechniken, aber die Bedeutung wird dadurch auf jeweils ganz eigenen Art erzeugt:
Steve Reich hat in seiner akademischen Musik Stimmaufnahmen als Quelle für Melodien verwendet, reproduziert in unterschiedlichem Tempo in einem Kreis. Muratova wiederholt jede Szene vielmals, immer mit anderen Schauspielern und deren verschiedenen Stilen und Gewohnheiten. Sie versucht nicht, die Übergänge zwischen Szenen abzumildern und legt stattdessen die Nähte bloß. Und das ist mir sehr nah. Außerdem haben Dokumentarfilme von Adam Curtis, Filme von Jafar Panahi, Andrei Tarkovsky und vielen anderen Regisseuren meine Musik beeinflusst.
Könntest du dir für die Zukunft vorstellen, Gastmusiker in Margenrot zu involvieren, oder ist es als striktes Soloprojekt gedacht?
Ich will nicht ausschließen, Musiker für Performances einzuladen, als Teil einer endlosen Suche nach unterschiedlichen Techniken und Bildern. Immerhin gilt meine Musik als experimentell.
Was kannst du uns über die Musikszene in Moskau erzählen, in die du involviert bist? Die Leute, Labels u.s.w., mit denen du arbeitest, ist das im Grunde ein Freundeskreis?
Ja, es ist im Grunde ein Kreis von Freunden und Bekannten. In Moskau gibt es eine Menge an Platformen und Communities, aber experimentelle Musik wird nur von wenigen gemacht.
Ich kann über diejenigen Communities reden, zu denen ich einen direkten Bezug habe.
Ich habe Vinyl auf dem russischen Label Klammklang veröffentlicht, das auch Konzerte im NII organisiert und auf verschiedene elektronische Musik spezialisiert ist.
Die Kassette kam bei Akoazm heraus, die eine Reihe von Erotika-Parties organisiert hatten und sich erst später in Akoazm umbenannt hatten. Ich habe auch ziemlich oft auf dem größten lokalen Festival Joy gespielt. Sie alle unterstützen experimentelle elektronische Musik aus reinem Enthusiasmus und mit ihrem eigenen Geld.
Leider hat unser Staat kein Interesse, die elektronische und alternative Szene zu unterstützen, anders als in Europa. Im Gegenteil, sie intervenieren mit einigen Initiativen. So hat z.B. die Staatsanwaltschaft der Stast Moskau das große Outline Festival nun verboten. Nach einer Polizei-Razzia haben sie den Techno-Club Rabitza dicht gemacht.
Du hast auch solo nun schon einige Konzerte gegeben, und ich bin sicher, dass du irgendwann auch in Deutschland spielen wirst. Gibt es schon Pläne für die nächsten Touren?
Man hat mich nach England eingeladen, um im August auf zwei Festivals in Bristol und Ramsgate aufzutreten. Ich plane außerdem eine Europatour im Oktober und Berlin ist auf der Liste der Städte
(U.S.)
Übersetzung: U.S. & N. Seckel