CHROMATICS: Closer to Grey

Wenn es jemand versteht, die Erwartungshaltung von Fans zu triggern und zugleich ihre Geduld auf die Probe zu stellen, dann ist es das aus Portland stammende Quartett Chromatics. Ganze sieben Jahre ist es jetzt her, dass das “Late Night Drive Rock”-Gespann (Stereogum) um den kauzigen Multiinstrumentalisten Johnny Jewel und die charismatiche Sängerin Ruth Redelest mit “Kill for Love” ein dunkles, von Momenten aggressiver Verzweiflung durchdrungenes Werk herausbrachten. Kurz darauf schon wurde als Folgealbum “Dear Tommy” angekündigt und nach und nach mehr als eine Handvoll Songs aus der Session vorab veröffentlicht. Nach mehreren Verschiebungen und gesundheitlichen Problemen Jewels hieß es dann, man habe sämtliche Aufnahmen vernichtet und plane, das als Doppel-LP konzipierte Werk komplett neu einzuspielen. Nicht schlecht staunte man, als vor kurzem und ohne nennenswerte Vorankündigung “Closer to Grey” in den Regalen stand, dessen Songs mit dem geplanten Album wohl nichts zu tun haben.

Während “Dear Tommy” nach wie vor als Entwurf und Fantom durch das Reich der Ideen geistert, entschädigt “Closer to Grey” mit einer noch traumwandlerischeren und melancholischeren Version ihres auch hier immer noch aufwühlenden Vintage-Pop. Mit dem Cover des wohl berühmtesten Simon and Garfunkle-Songs “The Sound of Silence” eröffnen sie das Album mit einer Referenz an jene Epoche, der sie schon immer verpflichtet waren. Mit fragilem Sopran, dem Ticken einer Uhr und einer knappen Schweigeminute am Ende führen sie das Motiv der Stille nah an das des Zuendegehens, das nicht nur hier zur Sprache kommt. Schon in den Bandnamen ist die Zeit eingeschrieben und im Albumtitel kehrt es als Verweis ans Ergrauen wieder, und auch im zweiten Cover, Jesus and Mary Chains “On the Wall”, steht die erbarmungslos tickende Uhr im Zentrum des Geschehens.

All diese Reflexionen über die Endlichkeit manifestieren sich in einer trotz alles Dunkelheit doch oft aufgeweckten und immer feinsinnig-eleganten Popmusik. Über groovigen (“You’re No Good”) und gelegentlich foxtrotttauglichen ((“Twist the Knife”) Takten singt Redelest entschlossene Abgesänge auf die Unwesentlichkeiten des Lebens und der Liebe, deren Wehmut sich erst im Nachklang voll offenbart, ebenso wie ein manchmal nachlässig wirkender, erschöpfter Unterton, der den Songs eine verquere Sinnlichkeit gibt. Das nostalgische Sixties-Feeling, das man von früheren Aufnahmen der Band nur zu gut kennt, und das die Chromatics an der versteckten Schnittstelle von Acts wie Marc Almond, Weyes Blood und den Last Shadow Puppets einen Ort gibt, zeigt sich immer wieder: in den schwirrenden Hochtönern des Titelsongs, im schwindelerregenden Soundkarusell des sturmumwehten “Whispers in the Hall” und besonders in der kammermusikalischen Wehmut von Move a Mountain”, das in gebrochener Hoffnung das Unwahrscheinliche, wenn nicht das Unmögliche beschwört.

In all diesen Momenten ist “Closer to Grey” die perfekte Platte für den Herbst – perfekt deshalb, weil sie für das Gefühl, das ein Zenit überschritten ist, eine bittere Pille und Balsam zugleich darstellt. (U.S.)

Label: Italians Do It Better