In vielen Ländern der Welt und auch Europas wirkt die Vorstellung einer folkigen Musik, die gleichsam dunkel und morbid ist, wie ein interessantes Konstrukt. Auf den Britischen Inseln hat das, was man Dark Folk nennen kann, eine lange Tradition – überlieferte und eigens geschriebene Songs, die man auf Platten von Shirley Collins und anderen findet, offenbaren oftmals eine Schlagseite zu einer spukhaft eingefärbten Melancholie, und zahlreiche Beispiele aus klassischen Filmen, Literatur und bildender Kunst lassen sich finden. Die in Deutschland lebende Sängerin Elspeth Anne ist heute eine der interesaantesten Vertreter dieser Tradition. Die Songs der in den West Mindlands aufgewachsenen Musikerin und Künstlerin vermischen folkige Traditionen mit ungekünstelten Rockeinflüssen, die an die Zeit erinnern, als Grunge und Riot Girl-Bands noch nicht verramscht worden sind. In dieser Gestalt sind die Stücke auch ein Ventil für die Abgründe des alltäglichen Unbehagens. Unser Interview entstand anlässlich ihres vor kurzem erscheinenen Albums “Night Island”, das die mehrjährige Sendepause nach dem gefeierten “Thieves Again” beendet.
Zwischen deinen Alben “Thieves Again” und “Night Island” gab es eine Pause von fünf Jahren. Kannst du uns etwas über die Zeit zwischen den zwei Aufnahmen erzählen?
Neben der Zeit, die ich brauchte, um neue Songs zu schreiben und aufzunehmen, hatte ich sehr lange mit einem persönlichen Trauma zu kämpfen, einer Situation, die in vielerlei Hinsicht immer noch aktuell ist, aber mit der Zeit habe ich wieder mehr Energie für andere Dinge gefunden. Manchmal überrascht es mich ein bisschen, dass ich überhaupt ein zweites Album gemacht habe; es gab viele Tage, die ich im Bett verbrachte, um stundenlang an die Decke zu starren.
Hat sich deine Art, Songs zu schreiben, in dieser Zeit geändert?
Ich forderte mich heraus, langsamere Songs für “Night Island” zu schreiben, nachdem ich “Thieves Again” komplett gehört hatte und bemerkte, wie hektisch es klingt. Es ist so wie es ist großartig, und doch denke ich, es daher kam, dass ich nicht wusste, wie man ruhigere Stücke schreibt. Wenn du einfach die Geschwindigkeit der Songs änderst, kommst du anderen Gefühlen ganz automatisch näher und kannst sie darstellen.
Würdest du sagen, dass langsamere Songs zu schreiben für dich eine ehrlichere Art ist, dich auszudrücken?
Nein, nicht ehrlicher, nur anders. Aber für mich ist es manchmal schwieriger, Traurigkeit zuzulassen als Wut, und langsamere Stücke zu schreiben stellt die Traurigkeit ins Zentrum.
Gibt es bestimmte Situationen oder Stimmungen, in denen dir gute Ideen für Songs kommen?
Ich bin sicher, dass es das gibt, aber ich könnte nicht genau sagen, was für Situationen oder Stimmungen das sind. Viele der Songs auf “Night Island” kann ich zurückverfolgen auf bestimmte Orte in der Natur, die ich gesehen hatte, aber es ist auch nicht so, dass ich jedes Mal eine fantastische musikalische Vision hätte, wenn ich einen Baum sehe…
Fühlst du dich an diesen Orten zuhause, oder findest du dort eher einen Zugang zum Unbekannten?
Beides. Ich fühle mich an diesen Orten zuhause, und das gibt mir den Raum und die Kraft, mich dem Unbekannten zu stellen! und davon begeistert zu sein statt ängstlich.
Auf deiner Facebook-Seite zitiert du Ally Hardy, die dich als “wandelnden Widerspruch” bezeichnet, und du selbst beschreibst deine Musik als “Feral-Folk” und “Ghostpunk”. Denkst du, dass dieses Schwanken zwischen Genres und Schubladen auch ein Weg ist, nicht allzu vorhersehbar zu sein? Wie wichtig sind Genres für dich?
Ja, ich denke, dass es schon sehr darum ging, auch wenn ich heute versuche, weniger zwischen den Genres zu oszillieren – ich glaube, es kann eine sehr subtile Form der Selbstsabotage sein, die dich für viele Menschen weniger zugänglich erscheinen lässt. Es kann sehr schwer sein, einen Begriff zu finden, der dich den Leuten näher bringt, aber momentan denke ich, je einfacher, je besser.
Da deine Musik vom Folk und vom Rock gleichermaßen beeinflusst ist, kannst du uns einen kurzen Überblick über deine musikalische Sozialisation geben?
Meine Mutter hat früher eine Menge Folkmusik gehört, so dass ich darüber vieles absorbieren konnte. Ich entdeckte Rock, als ich so um die 12 war, unter dem Einfluss meiner großen Schwester. Als ich Punk in unterschiedlichen Ausprägungen enteckte, bekam ich erstmals eine Idee, wie es sein könnte, in einer Band zu sein und eigene Songs zu schreiben, und dass es nicht auf eine bestimmte Art ablaufen muss. Als ich in meinen Zwanzigern mehr und mehr zum Folk zurückfand, fielen mir immer mehr Ähnlichkeiten zum Punk auf, v.a. die Vorstellung, dass es für jeden ist – du kannst mitmachen anstatt anderen bloß beim Spielen zuzusehen.
Wenn du dein Album (vielleicht etwas augenzwinkernd) als “Uneasy Listening” charakterisierst, ist das auch ein Kommentar zu manchen Musikarten, die allzu leichtverdaulich sind und recht nah an Muzak herankommen?
Ich hatte eigentlich keinen Kommentar zu anderer Musik im Sinn, es ging mir nur um die starken Inhalte, die sich mit Angst und Paranoia befassen – es ist alles andere als easy, es ist dunkel – es ist kein besonders lustiges oder bequemes Album. Ich höre mir auch eine Menge Musik an, die als leichter verdaulich gilt und habe daran gar nichts auszusetzen.
Ich habe mir ein Video zu einem deiner älteren Songs (“When They Are Lonely”) angesehen, und während einige Bilder und Symbole gut zum Folk Horror-Phänomen passen, verweigert die Filmsprache jedoch solche einfachen Zuordnungen. Kannst du etwas über dieses Video sagen und über die Rolle, die Videos für dich allgemein spielen?
Bei diesem Video hatte ich eine Menge Ideen und Bilder im Kopf, die ich einfach alle hineingestopft habe! Würde ich es nochmal machen, dann würde ich es ordentlich schneiden, die Einstellungen länger lassen etc. Aber sicher trägt es meiner hektischen, hyperaktiven Seite Rechnung. Ich habe es eigentlich nicht als Folk Horror betrachter, aber es passt dazu. Ich bin ein großer Fan von Jan Swankmajer, und seine Arbeiten haben viele meiner frühen Musikvideos und mein Interesse in Stop Motion-Animation beeinflusst. Ich denke, ich bin nach wie vor nicht sicher, was die Rolle von Videos (und visueller Kunst) im Zusammenhang mit meinen Songs ist, ich denke, ich versuche immer, sie zusammen zu bringen, aber so weit bin ich bis jetzt nicht gekommen. Ich spiele sehr gern herum mit dem Mischen von Sound und bewegten Bildern, es fällt mir sehr leicht, in den Fluss einer solchen Arbeit zu kommen. Zur Zeit möchte ich bei den Visuals verstärkt mit anderen zusammenarbeiten – Fotos, Musik, Videos etc. SKF Recordings haben mein jüngstes Musikvideo gemacht (für Fog/Haar), und es war sehr erfrischend, bei dieser Version zusammenzuarbeiten.
Wenn du auf neue Ideen kommst, ist es dann immer die Musik, die dir als erstes in den Sinn kommt, oder kann es auch ein Vers, ein Bild oder ein Aspekt der Verpackung etc. sein, die die Initialzündung zu einem neuen Song geben?
Das ist eine sehr gute Frage – es ist nicht immer die Musik, die als erstes da ist. All meine kreativen Fäden kommen immer wieder zusammen und leiten sich voneinander ab. Einige Lyrics z.B. von “The Hollow” auf “Night Island” nahmen ihren Anfang in einem Gemälde (welches 2013 zu einem Teil des CD-Artworks der “Cave”-EP wurde), und solche Verbindungen gibt es immer wieder in meiner Arbeit. Ich gehe oft vor und zurück mit meinen Ideen zwischen dem Visuellen und der Musik – ein Song inspiriert ein Bild, das dann wieder einen neuen Song zur Welt bringt.
Du hast bereits im Band-Kontext gespielt. Gibt es, verglichen mit Cabin Music, etwas, dass du beim solo spielen vermisst?
Ich vermisse den Beitrag anderer Leute und den Austausch von Erfahrungen. In Milkteeth tauschten wir die Instrumente immer wieder, je nachdem, wer den Song geschrieben hatte, ich liebte das sehr, es erschien mir als die natürlichste Art, in einer Band zu sein. Das vermisse ich sehr! Wenn ich solo spiele, ist es oft, als trete ich auf der Stelle.
Ich bin definitiv ängstlicher, wenn ich allein spiele – nicht jedes mal, aber wenn ich als einzelne Frau toure, werde ich viel häufiger bevormundet und/oder belästigt. Dazu kommt, dass Leute öfter versuchen, dich unter Wert zu bezahlen. Trotz alledem höre ich oft, dass es vielen Frauen in Bands nicht anders geht, weswegen es kein Problem von Solo-Künstlerinnen ist. Für Solo-Künstlerinnen kann diese Art der Behandlung allerdings zu einem Unsicherheitsproblem werden, wenn du allein bist.
“The Changer” kommt auch in einer etwas perkussiveren Version auf dem neuesten Cabin Music-Album vor. Weshalb hast du es noch mal neu und solo aufgenommen?
Die Cabin Music-Version ist in Wirklichkeit die Neufassung. Ich nahm sie auf, weil es großen Spaß gemacht hat, das Stück live mit mehr Gewicht zu spielen. Es passte auch sehr gut zu den anderen vier Songs dieser EP. Es ist ein Song, der mehr als nur eine Sache zu sagen hat, und ich wusste immer, dass er an verschiedenen Orten ein Zuhause finden wird.
Gibt es Pläne für neue Aufnahmen mit Cabin Music?
Nein, nicht wirklich. Es ist unwahrscheinlich, da uns (also die Mitglieder) einiges trennt – physisch insofern, dass ich in Deutschland lebe und die anderen in Großbritannien, aber auch dass wir da unterschiedlich stark engagiert sind.
Du erwähntest eben Milkteeth, was kannst du uns über diese Band und über das Projekt namens Twitch & Shout sagen? In Deutschland haben wir sie wohl verpasst..
Milkteeth waren meine erste Band, als ich 16, 17 Jahre alt war – ein Duo mit meiner besten Freundin Leili, das nur etwas über ein Jahr bestand, bis sie an einer bakteriellen Infektion starb. Wir haben diese Zeit total vollgestopft, spielten live an beinahe allen Wochenenden und nahmen Material für zwei Alben auf. Wir schrieben beide die Songs und wechselten uns an der Gitarre und im Gesang an, spielten Drums und machten Backing Vocals. Twitch & Shout war ebenfalls ein kurzlebiges Projekt, aber viel weniger aktiv. Meine Songs und Ideen, aber mit Drums und Bass im Hintergrund.
Hast du mit diesen Bands Alben herausgebracht?
Ja, zwei mit Milkteeth! Making Cracks und How to Be A Better Person. Von Twitch & Shout gibt es eine EP.
Vielleicht ist es etwas weit hergeholt, aber ich hatte mich gefragt, ob die Zeile “Nobody saves you and you drown” eine Anspielung auf T.S. Eliots “The Love Song of J. Alfred Prufrock” ist.
Ich bin ein Fan von TS Eliot, aber ich kannte die Stelle bis jetzt noch gar nicht, von daher nein. Manchmal allerdings denke ich, dass mir beim Schreiben total gute Verse in den Sinn kommen, aber dann merke ich, dass sie Zeilen aus “The Hollow Men” sind.
In der aktuellen Situation scheint es fast unmöglich, Künstler nicht danach zu fragen, ob und wie sie von der Coronakrise betroffen sind. Kannst du dazu etwas sagen, wenn es nicht zu persönlich ist?
Ich denke, es ist noch ein bisschen zu früh, um den Effekt des Ganzen wirklich einzuschätzen, aber ich denke, es gibt ein paar offensichtliche Dinge: Beispielsweise haben viele Leute im Musikgeschäft plötzlich kein Einkommen mehr. Ich mache mir zum Glück nicht so große Sorgen darüber, ob ich mich anstecke, aber ich sorge mich sehr um Familienmitglieder oder Freunde, die weniger stark sind oder zu einer Risikogruppe gehören. Auf der Plus-Seite gibt es mir eine gewisse Atempause, um mir wieder darüber klar zu weren, was ich mache und warum und wie; ich wusste bis jetzt nicht, wie wichtig mir das ist. Ich denke, dass ich nach all dem alles ein wenig anders machen werde…
Als Teenager war ich für ein paar Wochen in Weobley, Herefordshire, während eines Schüleraustauschs. Da du auch aus dieser Gegend kommst, würde mich interessieren, wie dieser Teil Englands heute so ist.. Gibt es da eine lebendige Musikszene, auch wenn es etwas weiter weg von den bekannten Hotspots ist?
Nich dass ich wüsste. Als ich als Teenager in Bands spielte, wirkte es allerdinfs anders, viel lebendiger. Wie fandest du es damals?
Ich hatte dort wenig mit der lokalen Musikszene zu tun. Was mich unter anderem faszinierte war, dass es mich oberflächlich sehr an die Kleinstadt-Gegend in Deutschland erinnert hatte, in der ich aufgewacsen bin und damals noch lebte, außer dass aller ein bisschen anders – eben englischer – aussah. Ich war viel auf Entdeckungsreisen in der Gegend unterwegs und genoss es, erstmals ohne meine Familie im Ausland zu sein. A propos, du lebst schon seit einiger Zeit in Berlin. Wie erlebst du diesen Ort und seine Musik- und Kunst-Szenen?
Ich fühle mich sehr willkommen in der Musik-Community, die ich bislang kennen lernen konnte, es ist wirklich nett. Es scheint, dass es noch viel mehr zu erkunden gibt und eine Menge an weiteren Kunst- und Musik-Szenen, in die man eintauchen kann. Es kommt mir vor, als sei ich gerade erst angekommen.
(Interview: M.G. & U.S., Übersetzung: U.S. & N. Seckel)
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