Am Wochenede vom 12. bis zum 13. September feiert das in Berlin ansässige Klangkunstlabel Corvo Records sein zehnjähriges Bestehen. Das vom Zeichner und Grafiker Wendelin Büchler und der Künstlerin und Vokalistin Alessandra Eramo gegründete Haus ist auf hochwertige Vinyleditionen sowie Kunstbände spezialisiert und präsentiert zeitgenössische Musik – ein weitgefasster Begriff, der hier Vocal Performance, Sound Poetry, Turntablism, Improv Jazz, Field Recordings und einiges mehr umfasst – auch immer in Kontexten. Entsprechend inter- und multimedial geht es auch auf dem im Berliner Theater im Delphi stattfindenden Jubiläums-Festival zu, wo neben der Geschichte des Labels grafische Notation und Stimmforschung im Zentrum stehen und über verschiedene Kanäle – Konzerte, Talks, Film, Tanz, Musik vom Plattenteller – präsentiert wird. Nicolas Wiese, Audrey Chen, Joke Lanz, Korhan Erel, Laura Mello, Magda Mayas, Tony Buck, Greta Christensen und Eramo selbst sind nur einige der bekanntesten Namen, die sich im Backcatalogue des Labels und im Line-Up vom Timeless 10 finden.
Bei aller Vielfalt ist das Programm sehr übersichtlich gestaltet. Zum Auftakt zeigt das Schweizer Regie-Duo Maria Lorio und Raphaël Cuomo ihren im letzten Jahr fertiggestellten Film Undead Voices, der sich mit feministischen Protestlieden aus dem Italien der 70er befasst – und mit dem sukzessiven Verschwinden dieser Songs aus den Archiven. Die Archive selbst, deren Mangel Jacques Derrida seinerzeit immer wieder beklagte, fungieren hier als handelnde Akteure, die sich wie jedes Subjekt Herausforderungen, Hindernissen und der Vergänglichkeit gegenübersehen und immer wieder Gefahr laufen, zum Spielball der Diskurse einer jeweiligen Zeit, ihrem Besprochenen und Verschwiegenen, zu werden. Im Anschlus führt Kunst- und Medienwissenschaftlerin Cornelia Lund einen Artist Talk mit den Regisseuren und der im Film mitwirkenden Alessandra Eramo. In der darauf folgenden audiovisuellen Show “Blind Score Postcards” werden grafisch notierte Partituren aus der Feder zahlreicher Label-Acts erstmals von KollegInnen interpretiert.
Das den Abend abschließende Stück “Tanz Sediment”, das Alessandra Eramo im vorigen Jahr für Deutschlandfunk Kultur konzipierte, befasst sich mit der Tanzform des Tarantella, die im süditalienischen Apulien, v.a. in der Gegend um Taranto, als an Katharsis-Konzepte erinnerndes Heilritual gegen Spinnenbisse noch im 20. Jahrhundert praktiziert wurde. In der Radiofassung wird Eramos Stimme von Perkussion, Elektronik und Feldaufnahmen begleitet, in der hier uraufgeführten Live-Version kommen fünf weitere PerformerInnen hinzu. Den zweiten Abend eröffnet der weitgereiste Sound- und Field Recording-Künstler Gilles Aubry – zum einen mit dem zusammen mit Abdeljalil Saouli entstandenen Film Stonesound, zum anderen mit einer auf den Raum zugeschnittenen Aufführung, bei der typische Geräusche und traditionelle Musik der nordafrikanischen Region mit Feedback und der Räumlichkeit in Kontrast treten.
Anschließend fertigt der Wiener Table Turner Dieter Kovacic alias dieb13 live eine elektroakustische Komposition aus dem gesamten Label-Katalog. Zum Abschluss interpretieren die Musikerinnen Elena Kakaliagou und Ingrid Schmoliner griechische und österreichische Volkslieder mit Horn, präpariertem Piano und Gesang und wagen so einen eigenen, zeitgenössischen Rückgriff auf traditionelles Songmaterial jenseits nostalgischen Re-Enactments. Im Zentrum steht hier besonders die Begegnung unterschiedlicher Kulturen. “Wie Migrationen Kulturen vermischen, hinterfragen die beiden Musiker_Innen Zugehörigkeit, ohne Tradition und Heimat zu leugnen. Sie setzen spirituelle Gemeinsamkeiten an Stelle von konstruierten nationalen Identitäten”, so die Betreiber von Corvo Records.
12. – 13. September 2020
Tagesticket: 14€
Festivalpass: 25€
Theater im Delphi
Gustav-Adolf-Str. 2
13086 Berlin