Als vor rund zwei Jahren zwei Tapes – das Debüt von Tommaso Bonfilio alias Mother und “II” von Yuko Araki – bei dem damals noch unbekannten italienischen Label Commando Vanessa herauskamen, hatte man sofort den Eindruck, das hier gerade etwas Bleibendes am entstehen war. Die Motive klassischer Sakralkunst, gerahmt in die Oramentik nostalgischer Spitzenstoffe, ein dezent okkult anmutendes Logo, der Charme des Handgefertigten und die Wahrung einer gewissen Obskurität, die im Grunde eine Fokussierung aufs Wesentliche ist – all dies offenbarte einen zu großen Stilwillen, bei dem nichts dem Zuvall überlassen scheint, um ein lediglich aus der Not geborenes Veröffentlichungsportal zu repräsentieren. Nach mittlerweile sieben Kassetten – sechs Alben und einer Anthologie – haben Commando Vanessa und der dahinter stehende Freundeskreis für ihre Veröffentlichungen, die ein Stilpanorama von Noise und freier Improvisation bis zu zahllosen Spielarten der Elektronik und darüber hinaus keinem Genre verpflichtet sind, einiges an Lob erhalten. Der Industrie sind sie dabei jedoch kein Stück nähergerückt. Im folgenden Interview spüren wir den vielen roten Fäden nach, die die bisherige Diskografie des Labels durchziehen.
Soweit wir wissen, arbeiten mehrere Leute bei und für Commando Vanessa. Würdet ihr euch kurz vorstellen?
Commando Vanessa ist ein Kollektiv, eine Gruppe von Leuten, die beschlossen hatten, an diesem Projekt zu arbeiten und dabei auf Egos zu verzichten und sich stattdessen auf die Künstler zu konzentrieren. Als Kollektiv geht es uns nicht darum, zu betonen, wer die einzelnen Leute dahinter sind, denn es sind nicht die Individuen, die Commando Vanessa zu dem machen, was es ist, es ist die Gemeinschaft der Menschen dahinter, jeder von uns arbeitet an etwas Bestimmtem, damit das ganze System funktioniert. Wir glauben, dass es nicht so sehr darauf ankommt, was wir sind und was wir bisher im Einzelnen gemacht haben. Das heißt, wir glauben auch an Widersprüche, ich meine, wir versuchen, unsichtbar zu sein, aber wir machen ein Interview mit euch…
Wie kam es zur Gründung des Labels?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Fantasie und Begehren. Während Fantasie etwas ist, das einen anregt und zum Träumen bringt, ist Begehren ein zwanghafter und unausweichlicher Gedanke, der einen quält, wenn man sich entscheidet, ihn zu ignorieren. Commando Vanessa war und ist immer Begehren.
Eure Veröffentlichungen sind auf Tape und im Download erhältlich. Könntet ihr euch auch vorstellen, mit anderen Tonträgern zu arbeiten (Vinyl etwa oder ein paar ungewöhnliche Formate)?
Dass wir uns für die Kassette entschieden haben, ist kein Zufall. Es ist ein ideales Format, das ein manuelles Eingreifen in jeden Teil des Prozesses ermöglicht, man kann alle verschiedenen Teile nach und nach bearbeiten. Es ist ein weniger abstraktes Format als andere, weil man es so einfach manipulieren kann. Aus einigen Gründen könnte man es als ein weniger magisches Objekt ansehen, aber aus denselben Gründen ist es in Wirklichkeit viel magischer. Wir haben nicht vor, Vinyl herauszubringen, doch früher oder später wird höchstwahrscheinlich irgendein bizarres Format in den Katalog aufgenommen werden.
Wie würdet ihr eure Ideen bezüglich des Desings beschreiben? Wie wichtig ist dieser Aspekt eurer Meinung nach für ein Label, wenn es so etwas wie eine “Marke” sein will und nicht bloß eine kleine Plattenfirma?
Wir wissen nicht, wie wichtig “Markenzeichen” für Labels im Allgemeinen sein können, aber für uns ist dieser Aspekt durchaus wichtig. Die Tatsache, dass ein Label ein künstlerisches Unterfangen an sich sein kann, mit dem sich Künstler und Fans identifizieren können, war etwas, woran wir uns immer orientiert haben. Uns gefällt die Idee, dass das Publikum unsere Tapes allein an unserer Ästhetik erkennen kann und sich unabhängig vom Projekt für sie entscheidet. Das ist eine Sache des Vertrauens. In gewisser Weise ist das eine Erweiterung des Konzepts hinter dem Kollektiv, man weiß, dass es Commando Vanessa ist, trotz des jeweiligen Namens. Um ein wenig auf unsere Design-Details einzugehen, wir arbeiten nach einem festen ästhetischen Format, so dass alle Veröffentlichungen bestimmte Merkmale gemeinsam haben. Für die Hauptveröffentlichungen zum Beispiel sind alle unsere Cover aus Papier mit gestickten Heiligenbildern, die verwendeten Farben sind immer die gleichen 3, die sich abwechseln, das Tape hat einen kleinen Bildeinsatz im transparenten Teil, inspiriert von der Musik der Kassette. Man könnte wahrscheinlich sagen, dass wir ziemlich besessen von Details sind.
Wie würdet ihr eucher DIY-Konzept beschreiben? Ihr verwendet gelegentlich den Begriff Boutique-Label anstelle gängigerer und mittlerweile auch etwas hohler Begriffe…
DIY-Arbeit ist für uns eine Möglichkeit, den gesamten Prozess hinter einer Veröffentlichung unter Kontrolle zu haben. Wenn wir nur wenige Exemplare herausbringen, können wir uns die Zeit nehmen, jedes Exemplar selbst herzustellen; und wenn wir etwas nicht können, bitten wir jemanden aus unserer Gegend, uns zu helfen. Es ist wirklich lohnend, in eine kleine lokale Werkstatt zu gehen und das Papier, aus dem das Cover gemacht wird, physisch anfassen zu können oder die Papierfarben nicht von einem Bildschirm aus auszuwählen. In der Regel lernt man dabei ziemlich interessante Leute kennen und kann mit ihnen Erfahrungen austauschen. Deshalb verwenden wir gerne den Begriff “Boutique”, nicht in einer gekünstelten Art und Weise, sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung eines kleinen Ladens, um diese Liebe zum Detail und die kleine Auflage, die wir für jede Veröffentlichung machen, zu unterstreichen.
Wir bemerken oft einen gewissen Pessimismus, wenn es um die Möglichkeiten eines DIY-Ansatzes in der Musik (und anderen kreativen Bereichen) geht. Findet ihr, dass man da etwas mutiger sein sollte, und wenn ja, was für ein Beispiel könnte CV da bieten?
Wir können nicht sagen, ob wir ein Beispiel für andere Labels geben können, aber ja, wir sind starke Befürworter des DIY-Ansatzes. Wir denken, dass man bei der DIY-Ethik nie genug betonen kann, dass die Gemeinschaft die Grundlage bildet. Es selbst zu machen bedeutet nicht, etwas auf seine Art zu machen, ohne sich die Beispiele anderer Leute anzuschauen, also war es für uns immer wichtig, offen zu sein, Netzwerke zu schaffen, zu schauen, was andere machen, mit anderen zusammenzuarbeiten, zu experimentieren. Das bedeutet eine Menge Arbeit, Misserfolge, stundenlange Diskussionen und Recherchen, aber es ist die Essenz von allem, abenteuerlustig zu sein, und das ist es, was einen dazu bringt, weiterzumachen und sich zu verbessern.
War das Label von Beginn an als etwas Dauerhaftes gedacht?
Was das Design des Labels angeht, gab es von Anfang an einen klaren Plan. Wir haben hart an dem Konzept hinter dem Label gearbeitet, bevor wir wirklich angefangen haben, so dass wir jetzt eine Art Rhythmus in der Reihenfolge der Veröffentlichungen haben, so wie die Farben im Design unserer Tapes. Man könnte sagen, nichts ist zufällig.
Die beiden ersten Acts auf eurem Label waren Yuko Araki und Tommaso Bonfilios Projekt Mother. Kanntet ihr die beiden schon länger? Beide waren ja zuvor schon in verschiedenen Bands und Kollaborationen aktiv…
Wir kennen Tommaso schon seit einigen Jahren persönlich, auch die Bands, mit denen er vorher gespielt hat (SabaSaba, Blind Beast etc.). Yuko haben wir durch Swamp Booking, ihre Booking-Agentur, kennengelernt, nicht lange bevor wir ihr Album veröffentlicht haben. Wir haben ihre Musik von Anfang an geradezu verehrt, aber sie haben die Richtung von Commando Vanessa nicht beeinflusst. Wir haben beschlossen, dass es unser Genre sein sollte, nicht durch ein Genre definiert zu sein, lange bevor wir entschieden, wen wir als erstes veröffentlichen.
Euren stilistischen Rahmen beschreibt ihr als “contemporary and unfamiliar music” – das umfasst ein weites Spektrum an Möglichkeiten, und eure bisherigen Releases waren auch kaum auf ein Genre begrenzt. Gibt es trotzdem No-Go-Areas für euch?
Es existieren immer noch so viele unerforschte Gebiete, aber keines ist verboten! Manchmal fühlen wir uns gerade von den Dingen am stärksten angezogen, die es uns am unbequemsten machen.
Seht ihr es auch als Ziel, eine Lücke in der aktuellen Musiklandschaft zu füllen?
Wir denken nicht, dass eine Lücke gefüllt werden muss, was wir veröffentlichen, existiert unabhängig von uns. Wir versuchen nur, einigen Projekten, an die wir glauben, beim Wachsen zu helfen.
Der Name Commando Vanessa bezieht sich wohl auf einen Song von Vanessa Paradis…
Wir haben ehrlich gesagt von “Commando” , dem fantastischen Song von Vanessa Paradis, erfahren, als wir den Domainnamen für Commando Vanessa kaufen wollten. Wir haben den Namen gegoogelt, um zu sehen, ob jemand bereits eine Website mit demselben Namen hat, und dann ging es los. Seitdem ist es nun der dedizierte Soundtrack all unserer Meetings, die streng geheim sind, ebenso wie unser Name…
Vor kurzem hattet ihr eine – in eigenen Worten “diverse, colorful, exaggerated, intimate, political, sexy” – Compilation unter dem False-Flag-Titel “Mansplained!” veröffentlicht. Was könnt ihr über die Ideen dahinter sagen?
Es sieht immer noch so aus, dass es eine politische Aktion ist, wenn eine Frau tut, was sie will, ohne sich darum zu kümmern, was andere Leute denken. Und wenn ihr Handeln als gegen ein bestimmtes Ziel gerichtet wahrgenommen wird, dann wird sie als Feministin abgestempelt. “Mansplained!” eher so etwas wie ein Stöhnen, das uns unterwegs herausgerutscht ist.
Themen aus den Bereichen Sex und Gender haben v.a. in den letzten Jahren für viel Diskussionsstoff gesorgt. Denkt ihr, dass Musik die Chance hat, Menschen mit unterschiedlichen Meinungen (die meist auch aus unterschiedlichen Millieus kommen) in einen Dialog zu bringen, oder ist euer Ansatz eher konfrontativ?
Commando Vanessa schafft Allianzen. Es ist ein “Kommando” von Dissidenten, ohne Geschlecht und ohne Alter, die das Geschlecht in all seinen Formen dekonstruieren und zur Schaffung neuer Narrative beitragen, in denen wir uns selbst darstellen und selbst erkennen können. Wie reagiert man auf ein einzigartiges Imaginäres? Indem man es multipliziert. Durch die Multiplikation der Imaginarien wird der Kampf intersektional und bekämpft Marginalisierung und Ausgrenzung. Das kann auch für die Musik gelten. Es gibt keine Norm und wir müssen uns an nichts halten: Es gibt nur das, was wir mögen und was wir nicht mögen. Es ist kein Identitätskampf, sondern ein Integrationskampf. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass eine Idee zu haben und sie in die Tat umzusetzen die Norm verändern kann, sie kann Gewohnheiten dekontextualisieren und uns dazu bringen, uns zu verhalten, ohne Erklärungen abzugeben. Die Allianzen machen es möglich, die “Normalität” zu hinterfragen. Um Diana J. Torres zu zitieren: “An den unbestrittenen Kriterien zu rütteln, ist terrorisierend. Wenn dieser Terror das Geschlecht an der Hand hält, ist der heiße Krieg serviert”.
Auf der Compilation habt ihr euch als echte Schatzsucher geoutet. Wie seid ihr z.B. auf Stücke wie Techno Thrillers “Au feu et à l’eau”, auf Deeath Palace oder auf den Foie Gras-Ableger Flawed God gekommen
Wir recherchieren endlos innerhalb und außerhalb unseres Netzwerks. Wir versuchen, offen zu sein und zuzuhören und begrüßen externe Inputs, auch wenn sich das in letzter Zeit aufgrund des Mangels an Live-Musik als schwierig erwiesen hat. Wir würden uns wünschen, dass dieser Prozess langsam mehr und mehr über Mundpropaganda abläuft, etwas, durch das wir ähnliche Ziele und eine Haltung teilen können.
Was könnt ihr uns über die Zusammenarbeit mit der Videokünstlerin Greta Oto erzählen?
Greta Oto ist die Schwester von Commando Vanessa, die hauptsächlich Augen und Ohren einsetzt, um der Welt ihre Gesamtvision mitzuteilen. Greta Oto ist der Klebstoff, sie animiert euch, über das Hören hinaus zu sehen. Greta Oto sind zu zweit.
Ihr habt ein Tape von dem Projekt J.Zunz der mexikanischen Musikerin Lorena Quintanilla herausgebracht, die in ihrer regionalen Underground-Szene schon recht populär ist, und vielleicht habt ihr maßgeblich zu ihrem Ruf auf der anderen Seite des Atlantiks beigetragen. Auch Yuko Araki wird seit einiger Zeit immer bekannter. Ist euer Beitrag dazu etwas, das euch zu neuen Projekten motiviert?
Wir glauben, dass der Hauptzweck eines Labels wirklich darin besteht, den Musikern mehr Sichtbarkeit zu geben, ihnen zu helfen, zu wachsen. Meistens reicht es nicht aus, einfach nur großartige Musik zu komponieren, und meistens ist großartige Musik zu komponieren nicht gleichbedeutend mit der Fähigkeit, sich selbst zu promoten.
Als Label bringen wir nicht nur Alben heraus, sondern wir arbeiten hart daran, sie zu promoten. Wir empfinden das als eine unserer Verantwortungen und nehmen es sehr ernst.
Welche wären die Acts, die ihr gerne auf CV herausbringen würdet, wenn es die Gelegenheit dazu gäbe?
Moor Mother, Franco Franco, Boy Harsher, Macy Rodman, Thoom, Elvin Brandhi, Bella Cvir.. Es ist eine lange Liste. Nun, wenn das jemand liest und Interesse hat, der soll uns gerne kontaktieren über commandovanessa@gmail.com
An neuen Abenteuern sind wir natürlich interessiert, gibt es da schon Geheimnisse, die ihr lüften könnt?
Es ist noch etwas früh, davon zu sprechen, aber wit haben natürlich schon was neues in der Pfanne. Wir erzählen es euch bald im Vertrauen.
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