LUSTER: s/t

Dass aufgeschoben nicht aufgehoben ist und “Gut Ding” Weile haben will, muss nicht unbedingt eine hohle Floskel sein, zumindest wenn man sich den Werdegang der belgischen Luster vor Augen führt, deren Gründung bereits 10 Jahre zurückliegt. Eine Split-Single mit Hellvete 2016 war eines der wenigen Lebenszeichen, die das aus Annelies Monseré und Mitgliedern von Mote und Joe Speedboat bestehende Dronefolk-Shoegaze-Kollektiv von sich hören ließ, ansonsten kümmerten sich die Beteiligten zunächst mehr um ihre anderen Projekte.

Während der Pandemiejahre fand man dann doch Zeit, ein etwas verspätet anmutendes Debütalbum einzuspielen, und das jüngst veröffentlichte Resultat ist beeindruckend. Im Grunde braucht es nur die ersten beiden Tracks, um das stilistische Terrain des gleichnamigen Longplayers abzustecken. Ohne viel Federlesens startet der Opener “All is dark inside” mit einem hypnotisch dröhnenden Harmonium und steten, langsamen Handtrommeln – sowie dem Gefühl, dass etwas Spannungsvolles ansteht. Doch netter folkiger Gesang in Monserés ungekünsteltem Sopran gibt dem Stück eine Wendung, die sofort an gängige Mittelalter-Versatzstücke denken lässt, die man auch von Gruppen wie The Moon Lay Hidden Beneath A Cloud oder auch dem Punk’n'Wave von Astaron kennt. Bassläufe in knarriger Postpunkmanier leiten das folgende “L’idéal” ein, bei dem man zunächst eine Bauchlandung im profaneren Hier und Jetzt erwarten könnte, doch wenn der hochtönende Gesang diesmal eine noch märchenhaftere Melodie anstimmt, fühlt man sich überraschenderweise in ein Tableau entrückt, in dem Heroen um die Gunst präraphaelitischer Mädchen in wallenden Gewändern buhlen.

Gleichwohl sich bis zur sonnabolen Entrückung im finalen Gegenzoom von “Out of time” alles in diesem Rahmen abspielt, demonstrieren die einzelnen Stücke – zumindest bei wiederholtem Höhren – ihre jeweils individuellen Charakterzüge: eine kanonartig gekoppelte Stimme, deren märchenhafte Melodiebögen in “Archaeologist” erneut diese gebrochene präraffaelitische Atmosphäre entstehen lassen; das ungleich temperamentvollere Picking in “Espace”, das irgendwann von einer dunklen Ambientfläche gebremst wird, um Raum für einen Gesang zu schaffen, der wie ein Echo aus einer anderen Welt klingt; der höfische Tanz in “Crépuscule”, der wie ein Jugendstilmotiv mit versteckten morbiden Details anmutet; die heitere Melancholie im zuckersüßen “I Fall”; das düstere Harmonium in “Angst”, dem all die anderen Instrumente geschwungene Ornamente geben.

Dass alle Stücke auf die eine oder andere Art einen doppelten Boden haben, ist ein mindestens ebenso charakteristisches Merkmal der Musik wie das märchenhafte Setting, das sie entstehen lässt, und man darf gespannt sein, wann und wie die Reise für Luster weitergehen wird.