Das bei Spector Books erscheinende Buch “Unearthing the Music. Footnotes to Sonic Resistance in Non-democratic Europe (1950–2000)” dokumentiert Formen musikalischer Dissidenz im Europa des Kalten Kriegs und darüber hinaus. Herausgegeben von Rui Pedro Dâmaso, Alexander Pehlemann und Lucia Udvardyová, versammelt es über 600 Seiten hinweg Beiträge über experimentelle, oft widerständige Musikproduktionen unter autoritären und diktatorischen Regimen in Ost- wie Südeuropa. Der Fokus liegt dabei auf künstlerischen Praktiken, die jenseits staatlicher Kontrolle in Heimstudios, provisorischen Aufnahmesituationen, subkulturellen Szenen oder unter dem Schutz staatlicher Institutionen, die unbeabsichtigt Freiräume eröffneten, nach Ausdruck suchten.
Ausgangspunkt war ein internationales Archivprojekt mit Sitz in Portugal, das sich dem oft übersehenen Erbe musikalischer Gegenöffentlichkeiten widmet. Die Beiträge beleuchten unter anderem Jazz in Polen und der DDR, konzeptuellen Post-Punk in Jugoslawien, den Untergrund Rumäniens oder auch Punkbewegungen auf der Iberischen Halbinsel. Dabei treten die Umstände ins Zentrum, unter denen künstlerische Freiheit eingeschränkt war und wie dennoch ästhetische Radikalität, politische Chiffren und kollektive Erfahrung entstehen konnten. Auch weniger bekannte Phänomene wie Magnetizdat-Produktionen, improvisierte Kopiertechniken oder das sowjetische Roentgenizdat – Musik auf Röntgenbildern – kommen zu Wort, ebenso Perspektiven von Künstlerinnen und regionalen Szenen. Nicht zuletzt spürt das Buch auch den Ambivalenzen der Transformationszeit nach 1989 nach: Der Öffnung folgten oft neue Formen der Entfremdung. Mit zahlreichen Schwarzweiß-Abbildungen, Beiträgen von Zeitzeug*innen, Forscher*innen und Musiker*innen, sowie Kommentaren aus kuratorischer und journalistischer Sicht, stellt “Unearthing the Music” eine materialreiche Auseinandersetzung mit einem bislang marginalisierten Kapitel europäischer Musikgeschichte dar.