Der aus Australien stammende und heute, nach einer längeren Zeit in London in Berlin lebende Musiker, Klang- und Konzeptkünstler Mark Harwood arbeitet seit Jahren in den Grenzbereichen von experimentierfreudiger Musik, Performance und bildender Kunst. Mit seinem Label Penultimate Press betreibt er eine Plattform, die bewusst jenseits gängiger Genrelogiken agiert und Einflüsse aus Noise, Literatur, Konzeptkunst und einigem mehr verbindet. Ebenso interessant sind seine eigenen Arbeiten. Seine beiden neuen Veröffentlichungen „or, Urim“ und „Two Actors“ widmen sich den Spannungsfeldern zwischen Mensch und Maschine, Zufall und Konstruktion sowie Aneignung und digitaler Kultur. Beide Alben entstanden nahezu zeitgleich und lassen synthetische und menschliche Elemente ineinander übergehen. Harwood versteht diese Arbeiten auch als Reaktion auf die Widersprüche der Gegenwart, besonders auf die Rolle von Algorithmen und Praktiken des Samplings, bei der er, wie er sagt, dem “Originalmaterial Raum zum Atmen gibt”. Zugleich bleibt er ein rastloser Experimentierer, der seine Ideen medienübergreifend in Musik, Malerei, Video und Performance entfaltet und Werke schafft, die er selbst gerne rezipiert und die so weit über einen bloßen Statementcharakter hinausgehen. Über diese und andere Themen sprachen wir mit dem Künstler im folgenden Interview.
Dein neues Album „or, Urim“ zeichnet sich durch eine intensive Auseinandersetzung mit den Überschneidungen zwischen Mensch und Maschine aus. Was war der Ausgangspunkt dafür – eher ein künstlerischer Impuls oder eine persönliche Erfahrung mit der digitalen Transformation?
Es begann ganz einfach: Eines Abends hatte ich zwei Tabs auf meinem Computer geöffnet, in denen zwei verschiedene Musikstücke liefen. Das eine war von einer deutschen Band aus den 70ern, das andere, ebenfalls eine deutsche Veröffentlichung, eher extreme elektroakustische Musik, wobei eines der Stücke auf der menschlichen Stimme basierte. Ich war von der Kombination begeistert und drückte auf meinem Handy auf Aufnahme. Das war der Grundstein, auf dem der Rest der daraus entstandenen LP aufbaute.
Der Titel „or Urim“ scheint hebräischen Ursprungs zu sein und kann mit „Licht“ oder „Erleuchtung“ übersetzt werden, in religiösen Kontexten manchmal auch mit „Engel des Lichts“. Welche Bedeutung hat dieser Begriff für dich, und warum schien er dir besonders passend für dieses Album?
Ich mag einfach das Aussehen, den Klang und das Gefühl der Titel auf dem Album. Abgesehen davon könnte es auch als eine weitere Option für den Nahen Osten gelesen werden.
Die Beschreibung von „or, Urim“ besagt, dass sich das Album zwischen Plunderphonics, Psychedelia, Progressive Rock und Avantgarde-Elektronik bewegt, und tatsächlich scheint es viele verschiedene stilistische Einflüsse zu haben. Ist diese bewusste Verschmelzung der Formen für dich eine ästhetische Haltung oder ergibt sie sich organisch aus dem Material?
Ich mag viele verschiedene Genres, paradoxerweise aber eigentlich gar nicht die Genres an sich. Ich glaube, sie begrenzen Potenzial. Durch den erwähnten Zufall haben sich mir glücklicherweise Türen geöffnet, die ich sonst vielleicht nie entdeckt hätte. Mit dieser ersten Aufnahme als Sprungbrett fühlte ich mich völlig frei, mit unterschiedlichsten musikalischen Formen zu experimentieren und sie miteinander zu kombinieren.
Das Ganze war auch ein Kommentar zum aktuellen Trend der Genre-Vermischung, bei dem Künstler Country mit Trap oder Indie-EDM und Ähnlichem verschmelzen. Diese KI-Generatoren geben Vorschläge wie Disco-Trash, atonalen Metal-Pop usw. – das ist schon ziemlich absurd. Ich mag Cosmic Prog und die extremeren Ausprägungen elektroakustischer Musik sehr und höre oft Musik dieser Genres, kenne aber kein einziges Album, auf dem sie durchgehend harmonieren. Klar, alte Prog-Alben haben immer wieder diese Ausreißer, aber mir ging es darum, diese Passagen zum Hauptbestandteil des Albums zu machen und nicht nur einzelne Highlights hervorzuheben. Ich wollte einfach ein Album machen, das ich selbst gerne hören würde.
In einer Bemerkung sprachst du einige Widersprüche unserer Zeit an – beispielsweise, dass ein Kind für die Verwendung eines achtsekündigen Samples bestraft werden kann, während große Konzerne ganze Archive kultureller Werke algorithmisch auswerten. Inwiefern kann „or, Urim“ als künstlerische Antwort auf diese Situation verstanden werden? Ist es beabsichtigt, die Mechanismen von Algorithmen bewusst anzuwenden und in eine andere Richtung zu lenken?
Das Album ist im Grunde eine Reaktion auf diese neue Situation. Ich meine, ich mache im Grunde das, was andere tun, uns aber nicht erlauben: den kompletten Diebstahl großer Teile bereits existierender Werke. Ich habe viel über Sampling und Plunderphonics nachgedacht, insbesondere über die Werke von John Oswald, vor allem über seine Aufnahmen unter dem tatsächlichen Namen „Plunderphonics“. Das war sein Argument gegen das Urheberrecht, Musik sei ein statisches Material und so weiter. Musik, bei der ein einzelner Track Led Zeppelin, Karlheinz Stockhausen und Brother Shambock zugeschrieben wird. Das bringt mich zum Lachen. Oswald nahm meist kleine Ausschnitte aus bestehenden Werken, looppte sie und arrangierte sie neu. Ich wollte etwas in dieser Richtung machen, dem Originalmaterial aber mehr Raum zum Atmen geben. Es ist wie bei einer Elster, die ein Nest baut. Alles ist da draußen, man kann es sich einfach nehmen. Aber wie eine Elster sehe ich nicht viel Geld in all der Arbeit.
Welche Rolle spielen Referenz und Aneignung für dich als künstlerische Strategien generell oder als Ausdruck einer bestimmten Haltung gegenüber Geschichte und Gegenwart?
Ich mag es sehr. Wenn man im Supermarkt eine Orange nimmt und sie auf den Avocadohaufen legt, verändert das die gesamte Struktur und Ästhetik dieses Haufens. Es braucht nicht viel, aber eine kleine Geste kann eine bestehende Form deutlich verändern. Ich habe einen Großteil des letzten Jahres damit verbracht, Hip-Hop zu hören, hauptsächlich neuere Sachen. Abgesehen von dem großen Vergnügen, die Bedeutung und den Inhalt der Texte der verschiedenen Rapper zu entschlüsseln, war es die Musik und Produktion, die mich viel über Sampling, oder besser gesagt, über Rekontextualisierung in der Musik, nachdenken ließ. Die Produzenten Alchemist und Metro Boomin (der auch einen kurzen Auftritt auf meiner LP „Urim“ hat) sind zwei Künstler, die ich bewundere und die mich wieder über wiederverwendetes Material nachdenken ließen. Ich wollte diesen Ansatz verfolgen, aber es sollte sich überhaupt nicht wie eine Hip-Hop-Platte anhören. Das ist eine weitere Quelle, aus der dieses Projekt entsprungen ist. Meine vorherige LP „Offering“ verwendete hauptsächlich Soundtracks zu obskuren Chris-Marker-Filmen, während ich selbst eine Menge akustischer Instrumente spielte; Glocken, Pfeifen, Harmonium, Akkordeon und dergleichen. Auch meine Stimme war häufig zu hören, entweder gesprochen oder als ob ich gesungen hätte. Das Album davor war eine ziemlich abgedrehte Mischung aus Feldaufnahmen, Stimme und Geistergeräuschen. Ich wollte, dass dieses neueste Album keine solchen Ablenkungen enthält und dem Hörer hinsichtlich Inhalt, Quelle und Verwendung völlig klar ist. Trotzdem ist meine Stimme gegen Ende noch kurz zu hören, um das Album mit den beiden Vorgängern zu einer Trilogie zu verbinden.
Kann man überhaupt etwas erschaffen, ohne auf bestehende Quellen zurückzugreifen, oder ist jede Form von Kreativität notwendigerweise intertextuell, d. h. in Bezug auf bereits Existierendes?
Es gab und gibt nichts wirklich „Neues“. Alle lassen sich von anderen inspirieren. Viele wissen das. Manche machen sich etwas vor. Ersteres spielte eine wichtige Rolle, da es die Grundlage für diese neue LP bildete.
„Two Actors“ wirkt fast wie ein Hörspiel – eine fragmentarische, mal komische, mal verstörende Collage aus Stimmen und zahlreichen anderen, oft scheinbar unkontrollierten Details. Was war der Auslöser für dieses Werk, und wie viel davon ist komponiert, wie viel dem Zufall oder dem Instinkt überlassen?
Auch das entstand eher zufällig, wenn auch anders. Ich hatte die Urim-LP fertiggestellt und zum Mastering geschickt, als Juho von Atki Records in Finnland mich kontaktierte und fragte, ob ich Interesse hätte, eine CD für dieses Label aufzunehmen. Daraufhin hörte ich mir einige kürzere Stücke an, die ich vor der Arbeit an der LP komponiert hatte. Ich war überrascht, wie gut sie klanglich und inhaltlich zur LP passten. Also überarbeitete ich einige dieser Stücke, Sequenzen usw., und plötzlich und unerwartet hatte ich zwei Veröffentlichungen.
Die Liner Notes beschreiben das Album als einen „Dialog ohne Drehbuch“. Erkennst du dich in den beiden im Titel genannten Charakteren wieder, oder spielen solche Überlegungen keine Rolle?
Die beiden Akteure im Titel beziehen sich auf das Synthetische und das Menschliche, und so verschmelzen und verwischen sich diese Elemente in den Tracks auf vielfältige Weise zu einer Art Spiegelkabinett, in dem keine klare Trennlinie mehr besteht. Diese Herangehensweise verleiht der Veröffentlichung eine unheimliche Atmosphäre.
Gibt es eine Geschichte hinter dem Cover von „Two Actors“? Ich frage, weil mir die Szenerie bekannt vorkommt…
Das Foto stammt aus dem Kunstraum West-Berlin in Kreuzberg. Das weisst ihr sicher. Für die Leser zu Hause: Das ist ein sehr bekannter besetzter Kunstraum in Berlin. Die beiden Stühle stellen die beiden Schauspieler dar. Die beiden Gesichter auf der Rückseite sind die beiden Schauspieler. Die beiden Lichter auf der Innenseite sind die Schauspieler.
Kannst du noch etwas mehr zu den inhaltlichen Verbindungslinien zwischen den beiden Alben sagen? Sie scheinen sich gegenseitig zu kommentieren…
Ja, absolut. Wie ich schon sagte, war ich positiv überrascht, wie gut das Originalmaterial, an dem ich vor der LP gearbeitet hatte, mit dem Material auf „or, Urim“ harmonierte, als ich es mir noch einmal anhörte. Ich denke, das liegt an den Dingen, mit denen ich mich in letzter Zeit beschäftigt habe. Ein roter Faden war die Auseinandersetzung mit KI, dem Menschlichen und dem Synthetischen. Es war amüsant zu sehen, wie viele in der experimentellen Szene mit panischer Angst darauf reagierten. Es ist zweifellos ein sehr seltsames neues Werkzeug, aber die experimentelle Szene nutzte neue Werkzeuge früher stets mit Begeisterung als Mittel zur Forschung, anstatt vor Angst zu erstarren. Vor einigen Jahren habe ich mit Graham Lambkin Aufnahmen gemacht, bei denen die App Siri als „Hauptakteur“ fungierte. Die CD „Two Actors“ ist gewissermaßen eine Fortsetzung dieses Ansatzes, sich mit neuer Technologie auseinanderzusetzen. Siri ist immer noch so schlecht in dem, was sie tun soll. Das amüsiert mich. Die Leute beschweren sich jetzt, wenn ein künstlich erzeugtes Foto eines Menschen sieben Finger hat. Aus künstlerischer Sicht finde ich sieben Finger großartig! Akzeptiert das Skurrile, sage ich.
Tatsächlich bewegen wir uns auf eine stark verzerrte Realität zu (oder befinden uns bereits darin), und alles, womit wir uns auseinandersetzen, wird hinsichtlich seiner Authentizität immer fragwürdig sein. Mit diesen Themen habe ich mich bei der Arbeit an den Inhalten dieser Veröffentlichungen intensiv beschäftigt.
Dein Label Penultimate Press hat über die Jahre einen bemerkenswert eigenständigen Stil entwickelt, der sich an der Schnittstelle von experimenteller Musik, Konzeptkunst und Literatur bewegt. Wie hat sich dein Selbstverständnis als Labelinhaber im Laufe der Zeit verändert, und worauf achtest du besonders bei der Auswahl neuer Veröffentlichungen?
Es stimmt, die erste Veröffentlichung war ein Buch, was für ein Plattenlabel wohl eher ungewöhnlich ist. Ich hatte nie ein bestimmtes Ziel mit dem Label, außer dass es sich von anderen Plattenlabels abheben sollte. Meine Interessen sind vielfältig, und ich denke, das spiegelt sich auch in PP wider. Ich möchte einfach all die alten Klischees und Stereotypen der experimentellen Musik vermeiden (Ambient, Drone, Field Recordings, Indie-Musik, die sich selbst als experimentelle Musik ausgibt usw.). Ich möchte erforschen, was jenseits solcher Standardformeln liegt, was sich zwischen den Zeilen solcher Formen verbirgt. Genau das interessiert mich… Es ist erstaunlich, wie viele Demos ich zugeschickt bekomme, in denen mir jemand sein elektronisches, Drone- oder Ambient-Projekt vorstellt. (Eine schnelle Geste mit dem Finger – ab in den Papierkorb.) Es bringt mich auch zum Lachen und Weinen, wenn ich ein Demo von jemandem bekomme, der eine lange Liste von Plattenlabels angibt, bei denen er veröffentlicht hat. Ich finde das irgendwie billig, seine Ware überall anzupreisen. Ich bevorzuge den kleineren, unkonventionellen, bescheidenen Ansatz.
Mit eurer internationalen Band El Jardín de las Matemáticas habt ihr letztes Jahr ein fantastisches Album veröffentlicht. Es wirkt wie eine einzigartige Mischung aus Folk-Strukturen, KollagenÄsthetik und ethnografischer Forschung, die sich nie rein dokumentarisch anfühlt. Sind die Ideen in Zusammenarbeit durch Austausch entstanden, und plant ihr weitere Kooperationen?
El Jardín de las Matemáticas entstand, als mir mein Freund Alvaro aus Chile zufällig einige Aufnahmen schickte, die er mit ein paar Freunden gemacht hatte. Es waren lockere Jamsessions mit eingestreuten abstrakten Elementen. Mir gefiel das Material, aber ich dachte, man könnte die verschiedenen Elemente noch weiterentwickeln. Ich begann damit zu experimentieren, woraus sich dann ein reger Austausch zwischen allen Bandmitgliedern entwickelte, der schließlich zu dieser LP führte. In gewisser Weise sah ich sie als eine Mischung aus der Ästhetik von Ocora, Folkways und Lyrichord und Elementen der Prospective 21e Siècle-Reihe. Wir arbeiten momentan an einem Nachfolger, der etwa zur Hälfte fertig ist. Die australisch-deutsch-chilenischen und argentinischen Einflüsse sind ein Versuch, die britisch-amerikanische Dominanz in der experimentellen Musik zu umgehen.
Du bist vor Jahren von Melbourne nach London gezogen, später nach Berlin. Wie haben diese Ortswechsel deine Arbeit beeinflusst, sowohl ästhetisch als auch im Hinblick auf Netzwerke, Einflussbereiche oder Communities?
Ich bin vor langer Zeit von Melbourne nach London gezogen, habe dort 21 Jahre gelebt und bin dann mitten in der Corona-Pandemie vor vier Jahren nach Berlin umgezogen. Der Ort hat großen Einfluss auf alles, was ich mache. Meine beiden neuen Alben sind definitiv von Deutschland beeinflusst. Auf „Urim“ sind viele deutsche Passagen zu hören, gesprochen von englischen Muttersprachlern, die stark verzerrt und mit Vocoder bearbeitet wurden – ein Deutscher spricht Englisch. Alle drei Städte, in denen ich gelebt habe – Melbourne, London und Berlin – hatten ausgeprägte experimentelle Musikszene, und es ist sehr bereichernd, diese Welten zu erleben und daran teilzuhaben.
Gibt es ästhetische und/oder persönliche Gründe, warum du den Künstlernamen Astor in den letzten Jahren nicht mehr verwendet hast, oder wird dieses Soloprojekt im Prinzip noch fortgeführt?
Astor war das Projekt, das ich auf Anraten von Graham Lambkin entwickelte, um endlich selbst Musik zu machen. Die Veröffentlichungen unter diesem Namen waren eher abstrakte, klangbasierte Erkundungen. Als ich schließlich „A Perfect Punctual Paradise Under My Own Name“ aufnahm, klang es ganz anders als die vorherigen Astor-Alben – viel persönlicher. Zum ersten Mal setzte ich meine eigene Stimme ein und verarbeitete Themen wie Angst, Erinnerung und allgemeine Gedankenwirren. Es war ein Album, das so sehr von mir handelte, dass es keinen Sinn mehr machte, mich hinter einem Künstlernamen zu verstecken. Mir gefiel der intimere Stil dieses Ansatzes, und einige Jahre später folgte mit „Offering“ ein eher songorientiertes Album, auf dem ich ebenfalls viel mit meiner Stimme arbeitete. Bei diesen beiden neuen Alben spürt man, wie sich die Roboter in mein musikalisches Selbst einschleichen, um es zu übernehmen.
Du bewegst dich oft an den Grenzen von Musik, Konzeptkunst und Performance. Gibt es ein Medium, in dem du dich am effektivsten ausdrücken kannst, oder ist die ständige Kombination von Ausdrucksformen Teil deines künstlerischen Selbstverständnisses?
Ich liebe es einfach, mit Materie zu experimentieren, mit jeglicher Materie, was auch immer es ist. Das kann wirklich alles umfassen. Ich hatte nie Interesse daran, ein Instrument zu spielen oder Ähnliches. Ich denke einfach gern über Dinge nach und setze sie dann auf verschiedene Weise um. Auftritte machen mir riesigen Spaß, da ich mit nur wenigen Mikrofonen improvisiere, und es ist immer lustig und oft überraschend, was dabei herauskommt. Es schwankt meist zwischen absurder Komik und etwas, das man mit Schrecken vergleichen könnte. Ich habe keine Ahnung, warum es immer so ist. Im letzten Jahr habe ich angefangen zu malen. Das passierte eher zufällig, da ich ein Artwork für die LP „El Jardín de las Matemáticas“ brauchte und meine übliche Designerin/Assistentin schwanger wurde und mir zu dem Zeitpunkt nicht beim Cover helfen konnte. Daraufhin fand ich hier in Berlin eine Leinwand auf meiner Straße, auf der eine grobe, spärliche Zeichnung war, die ich dann bemalte und so mein erstes Kunstwerk und mein erstes Plattencover schuf. Seitdem male ich. Das ist direkter und unmittelbarer als Musikmachen, das ziemlich pedantisch und fummelig sein kann. Zumindest so, wie ich es mache. Ich male zwar jeden Tag, aber ich genieße es auch, mir eine Auszeit zu nehmen und wieder an Musik zu arbeiten. Der kreative Prozess macht einfach so viel Spaß und ist total therapeutisch. Diese Woche habe ich ein kleines Video zu einem der Tracks von „Two Actors“ gemacht, was mir auch viel Freude bereitet hat. All das sind Nebenprodukte der Auseinandersetzung mit der inneren und äußeren Welt. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein einziges Medium gibt, das mein Hauptausdrucksmittel ist; es sind alles Facetten desselben Ursprungs, die sich in alle möglichen Richtungen ausbreiten.
Wenn du über das gegenwärtige Verhältnis zwischen Mensch, Maschine und künstlerischer Produktion nachdenkst, siehst du diese Entwicklung eher als Bedrohung für die Kreativität oder gleichermaßen als Chance für neue, bisher unvorstellbare Ausdrucksformen?
Ich vermute, es wird beides sein. Wie jede gesellschaftliche Veränderung hat auch diese sowohl negative als auch positive Folgen. Das Kapital wird Künstler verschlingen und sie fallen lassen, daran habe ich keinen Zweifel. Aber da ich mit wenig Geld auskommen muss, sehe ich für mich selbst nicht so viel Veränderung. Ich habe bei beiden Veröffentlichungen zeitgenössische Werkzeuge verwendet, bei „Two Actors“ mehr als bei „Urim“. Es hat Spaß gemacht, damit zu experimentieren und verschiedene Herangehensweisen zu entwickeln. Meiner Voraussicht nach wird es infolge all dessen noch mehr Dummheit in der Welt geben. Die Umwelt wird noch stärker geschädigt. Ja, viele Menschen werden ihre Arbeit verlieren. Staaten werden ihre Machenschaften noch offener zeigen und, so hoffe ich, letztendlich zugrunde gehen. Doch inmitten all dessen wird es immer wieder Inseln authentischer Genialität und inspirierender Kreativität geben, als Reaktion auf diese gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen.
Interview: U.S., A. Kaudaht
Photos: Anna Bitter, Gemälde mit freundlicher Genehmigung von Mark Harwood