BABY DEE – Interview

I had a dream. […] In this dream, there was our world and the world was dark because there weren’t any robins. And the robins represented love. And for the longest time there was just this darkness. And all of a sudden thousands of robins were set free. And they flew down and brought this blinding light of love. And it seemed like that love would be the only thing that would make any difference, and it did. So I guess it means there is trouble till the robins come.”

Sandy Williams in David Lynchs “Blue Velvet”

My heart’s come home to me / That robin from a world away / Has come like first warm rain /My heart’s come home to me.”

Baby Dee, “My Heart’s Come Home”

Diese Zitate mag man über das Werk Baby Dees stellen, die auf ihren bisherigen auf Durtro veröffentlichten Alben reduzierte, primär von Klavier und zeitweise vom Akkordeon untermalte, ergreifende Lieder singt, die beim Hörer die Ratio vielleicht auf eine ähnliche Weise außer Kraft setzen wie die Musik des mit ihr befreundeten Antony.

Ich denke, dass das Erwachsenwerden eine wichtige Rolle in deiner Arbeit spielt (du hast deine Eltern einmal als deine besten Freunde bezeichnet, ich denke auch an die alten Briefe bei “Made for Love”). Welche Relevanz misst du dem bei?

Als ich das über meine Eltern gesagt habe (ich hatte ganz vergessen, dass ich das je gesagt habe), war das wohl so zu verstehen, dass ich mich entschlossen hatte, trotz allem mit ihnen befreundet zu sein. Ich wollte eigentlich nie nach Cleveland zurückkommen. Es ist nicht so, dass ich eine tolle Karriere oder so etwas hinter mir gelassen hätte, aber ich hatte tatsächlich ein ungewöhnliches Maß an Freiheit in meinem Leben, das ich aufgeben musste, damit das mit meinen Eltern passieren würde.

Das ist sicher nichts, was ich bereue. Es hat mir ermöglicht sie zu treffen und auf eine Art und Weise zu lieben, wie das als Kind unmöglich war, da unsere Beziehung ziemlich unerfreulich und beschissen war. Insofern war es das wert.

Mich wieder mit meiner Mutter und meinem Vater anzufreunden war wie eine Investition in meine Distanziertheit von mir selbst. Es war für mich unbestreitbar eine gute Sache.

Es ist interessant, dass du dir Briefe auf dem Cover von “Made For Love” erwähnst. Ursprünglich wollte ich das Hochzeitsbild meiner Eltern und so einen Kram für das Cover verwenden, aber meine Freundin Pepper, die das Artwork gemacht hat, ließ mich das noch einmal überdenken. Ich denke, dass es manchmal wahrer ist, wenn man weniger buchstäblich ist, und ich denke, was sie mit dem Artwork gemacht hat, war deshalb erstaunlich, da es all das ausdrückt, was ich sagen wollte, ohne meine eigentlichen Eltern da mit hineinzuziehen. Sie hat den ganzen Kram selbst gemacht. Die Briefe und all das. Ich freue mich darüber, dass du gedacht hast, dass sie echt seien. Es ist ein großartiger Tribut an ihre Arbeit als Künstlerin und Fotografin.

Gab es einen besonderen Augenblick der Initiation?

Es gibt zwei Augenblicke, an die ich sofort denken muss. Einmal, wie ich mit meinem Vater im Garten bin. Er pfiff viel und ich konnte das nicht, aber ich muss irgendwie deutlich gemacht haben, dass ich Musik machen wollte, und er hat mir beigebracht “You Are My Sunshine“ zu singen. Das war ein seltsamer Moment zwischen uns. Vielleicht das einzige Mal, dass wir richtig kommuniziert haben. Vielleicht ist die Musik deshalb für mich zu einer heiligen Sache geworden. Das erklärt eigentlich vieles. Dass Musik heilig ist. Ich habe mich immer gewundert, wie jemand wie ich etwas mit Kirchenmusik zu tun bekommen hat, aber das erklärt es. Es ist nicht so, dass ich eine religiöse Erfahrung hatte, die ich musikalisch umsetzen wollte. Es war eher umgekehrt: Ich hatte ein wahres und wichtiges musikalisches Erlebnis, dass es mir unmöglich machte, genug davon zu bekommen. Das hat es auch unmöglich für mich gemacht, die normale Disziplin zu erlangen, die man für Musik braucht. Ich habe nur die Teile der Lieder gespielt, die mir gefielen und ich habe es wieder gemacht und immer wieder, und als ich anfing Musik zu schreiben, kamen kleine Stücke und Teile heraus, die ich nie mit irgendetwas anderem verbinden konnte, aber ich habe sie immer und immer wieder gespielt, bis sie starben und ich sie vergaß. Ich habe Enden gehasst. Ich habe nicht an sie geglaubt. Sie waren zu grausam. Zu leer. Zu unerträglich. Deshalb bewegte ich mich immer im gleichen kleinen Kreis herum und versteckte mich vor ihnen. Es ist irgendwie schwer, das in Worte zu fassen.

Der andere Augenblick war die Sache mit der Harfe und unseren seltsamen Nachbarn Bobby und Freddy, die eine alte Harfe auf ihrem Rasen zertrümmerten und einen Teil davon dort liegen ließen; einem Kind erschien das wie eine Ewigkeit – lang genug auf jeden Fall um mich darein zu verlieben.

Ein anderes wiederkehrendes Element in einer Arbeit sind Vögel, insbesondere Rotkehlchen. In David Lynchs “Blue Velvet“ sagt die Figur Sandy Williams (die von Laura Dern gespielt wird), dass sie einen Traum von einer Welt gehabt habe, die dunkel gewesen sei, da keine Rotkehlchen da gewesen seien und diese Rotkehlchen hätten die Liebe repräsentiert. Plötzlich seien tausende von Rotkehlchen befreit worden und sie seien zur Erde geflogen und es habe dieses blendende Licht der Liebe gegeben und diese Liebe habe den Unterschied gemacht. Sie sagt dann, dass es wohl immer Probleme gebe, bis die Rotkehlchen kämen. Kannst du damit was anfangen?

Ich habe “Blue Velvet“ nicht gesehen. Das ist komisch, weil ich Filme sehr gern mag. Ich bin sicher, ich würde diesen lieben. Die Antwort ist ein uneingeschränktes “Ja“. Damit kann ich was anfangen.

Ich habe mal über die Musik von Antony und von William Basinski geschrieben, dass ein gewisses Bewusstsein da zu sein scheint, dass Schönheit auch immer etwas Gebrochenes hat. Ich habe den Eindruck, dass sich das auch in deiner Arbeit findet. Würdest du da zustimmen?

Ich weiß nicht. Ja und Nein. Was für mich schön ist, ist nur das, was absolut gut und perfekt und ungebrochen ist. Das einzige, dem Gebrochenheit innewohnt, ist Gebrochenheit. Leider wird die Schönheit dann umso deutlicher. Wie schön erscheinen Kinder einer Frau, die keine bekommen kann. Etwas so zu sehen, wie es wirklich ist, schöner kann es nicht werden. Nur muss einer Person – um diese Objektivität zu erreichen – die Möglichkeit genommen werden, diese Schönheit zu besitzen oder an ihr teilzuhaben, was auch immer es ist. Ich würde das als Bereitschaft bezeichnen, das zu lieben, was man nicht haben kann. In den Seligpreisungen sind all die “Gesegneten“ die Menschen, die das, was sie am meisten lieben, nicht besitzen. Sie sind nicht etwa schön, weil sie es nicht haben. Sie sind schön, weil sie nicht aufhören es zu lieben, obwohl sie es nie haben werden. Was ich damit sagen will, ist, dass es ein Element des Gebrochenen gibt, aber es handelt sich dabei nicht um den entscheidenden Teil. Es ist nicht das, was Dingen Schönheit verleiht, es ist viel eher ein Nebenprodukt der Schönheit.

Es scheint einige schmerzhafte Augenblicke in “So Bad“ und “Small Wonder“ zu geben. Was ist die Bedeutung von Religion in diesen Liedern?

“So Bad“ ist einfach ein Lied über ein schreckliches Missverständnis. Jesus hat meine Mutter nicht wirklich zusammengeschlagen. Aber als Kind dachte ich, dass er es wirklich gemacht hätte und das war eine ziemlich schlimme Sache für mich. Als ich “Small Wonder“ schrieb, las ich gerade das Buch “Die Nacht“ von Elie Wiesel und es gibt eine Stelle in dem Buch, als die Russen näher rücken und die Nazis Gefangene wegbringen und es gibt diesen Marsch durch den Schnee. Und er sieht nach oben und sieht den Morgenstern. Das ist alles. Er sagt nicht, was er für ihn bedeutet hat. Es ist einfach einer der eindringlichsten und ergreifendsten Momente in der Geschichte des geschriebnen Wortes.

Dinge wie das oder der erste Kuss Anne Franks. Es gibt nichts, was diesem Schmerz gleichkommt und – ja – der Schönheit.

In einer Rezension zu “Love’s Small Song“ habe ich geschrieben, dass mich deine Stimme auf einigen Stücken an Elisabethanische Chorjungen erinnert. Ist diese Assoziation etwas zu weit hergeholt? Denkst du, dass deine Musik in eine andere Zeit gehört?

Mir ist immer etwas komisch zumute, wenn jemand auf das “Kirchliche” in meiner Arbeit hinweist. Ich muss dann schreien! Deshalb sind meine Auftritte auch voller vulgärer, abgedrehter ”Hymnen“. Meine Musik war immer ziemlich außerhalb der Zeit. Es ist einfach so, das ist nichts, was ich je gewollt habe. Es ist furchtbar, so hoffnungslos außerhalb von allem zu stehen. Ich kenne keine Seele, deren Musik überall so fehl am Platze ist. Das ist ein ziemliches Problem.

Aber eines ist sicher. Der einzige Ort, von dem ich mir ziemlich sicher bin, dass meine Musik dort nicht hingehört, ist eine Kirche – egal welche. Ich habe nichts gegen Kirchen. Ich weiß einfach nur, dass ich dort nicht hingehöre. Es ist aber auch nicht so, dass ich woanders hingehöre. Ich bemühe mich nur sehr den Glauben eines Jeden, dass meine Musik Kirchenmusik sei, zu zerstören. Meine Musik ist keine Kirchenmusik.

Du hast gesagt, dass nachdem du das Tagebuch von Anne Frank gelesen hast, dein Innerstes in Stücke zerbrochen sei. War das eine eher rationale oder emotionale Erfahrung?

Wenn ich wählen könnte, würde ich rational sagen, aber ich bin nicht verrückt nach dem Werk. Es ist sicher eine ziemlich emotionale Erfahrung, solch ein Buch zu lesen. Aber dieses enorme Gefühl resultiert aus dem absolut wahren Wissen, das da hinter ist.

Was würdest du denjenigen (am rechten Rand) sagen, die immer noch (fälschlicherweise) behaupten, es handele sich bei dem Tagebuch um eine Fälschung (warum diese Leute das behaupten, dürfte recht klar sein)?

Ich bin nicht politisch, aber ich würde sagen, dass es da draußen einige Furcht einflößende Menschen gibt.

Auf deinem neuen Album werden einige Leute mitmachen, wohingegen du bei deinen ersten Veröffentlichungen praktisch alleine warst. Wird sich die Richtung dadurch ändern? Gibt es schon ein Veröffentlichungsdatum?

Ich dachte, es wäre jetzt schon draußen, aber es wird noch etwas dauern. Ich habe meine Musik schon immer raus in die Welt geschickt, so wie eine ungeeignete Mutter es mit ihren Kindern macht – schmuddelig und unterernährt. Es war an der Zeit das zu ändern. Ich möchte es diesmal besser machen, deshalb werde ich mir Zeit nehmen. Mir gefällt es, nicht allein zu sein.

Kannst du etwas über deine Kompositionsweise sagen. Ist der Text zuerst da?

Meistens schon. Wörter kommen zuerst, aber ich weiß nie, wann genau etwas zu einem Song wird. Auf ganz reale Weise habe ich keine Ahnung davon, wie man einen schreibt. Einfach keine Ahnung.

Auf deinem Minialbum “Made For Love“ befand sich “Morning Fire“ zwischen “Three Women“ und ”Three Men“. Sollte damit ausgedrückt werden, dass Geschlechter immer verschwimmen?

Es ist nur so, dass diese Stücke die waren, die ich noch übrig hatte, und sie schienen zusammenzupassen, aber ich kümmere mich nicht um Titel. ”Three Women“ war ein Lied über meine Mutter. Aber das wusste ich erst ein paar Jahre, nachdem ich den Song geschrieben hatte. Und sobald ich das erkannt hatte, schien der Titel klar zu sein. Der andere – “Three Men“ – war etwas, von dem ich das Gefühl hatte, dass es eher ein Junge, ein junger Liebender oder ein Mann singen würde. Es ist einfach so, dass von dem Moment an, an dem mir klar wurde, wie sehr die Songs mit meinen Eltern zu tun hatten, die Titel klar waren.

In diesem Zusammenhang: Fühlst du dich in irgendeiner Weise den Theorien Judith Butlers verbunden?

Ich habe nie von ihr gehört. Ich bin nicht so belesen. Gender ist so eine schwierige Sache. Es ist schwierig das eine oder das andere zu sein und es ist brutal mittendrin gefangen zu sein. Du hast eben ein “Verschwimmen der Geschlechter“ erwähnt. Einer der glücklichsten Tage in meinem Leben war es, als es in Ordnung war, den Mädchenumkleideraum zu benutzen. Ich werde nie dieses köstliche Gefühl vergessen, als ich am Schild, auf dem “Hier haben Männer keinen Zutritt“ stand, vorbeigehen konnte. In diesem Moment war ich so dankbar für all die Polaritäten, all die riesigen unnachgiebigen Unterscheidungen, die die Gesellschaft um Gender herum aufbaut, weil es mir jetzt alles bestätigte. Wenn ich lächelnd an diesem Schild vorbeilaufen konnte, dann war die ganze Welt, auch diejenigen, die dieses idiotische Schild aufgestellt hatten, diese ganze schrecklich unbeugsame, trennende, Unterscheidungen machende Welt zum ersten Mal für mich und nicht gegen mich.

Es war so ein gutes Gefühl dahinzugehören. Ich dachte in dem Moment, dass das der Grund ist, warum Menschen sich anpassen wollen. Es ist so toll, irgendwohin zu gehören. Ich dachte, dass Gott denjenigen, der dieses liebliche Schild aufgestellt hatte – wer auch immer das gewesen sein mochte – segnen solle. Deshalb kann ich verstehen, woher diese Gender-Nazis kommen, wenn sie sich immer so glücklich fühlen, wie ich an dem Tag. Aber ich bezweifle, dass das so ist. Wie wichtig ist Gender verglichen mit der größten, herzzerreißendsten Unterscheidung von allen – ich und du? Wenn das Durcheinanderbringen von Gender eine gute Sache ist, kann man nicht sagen, dass ich nicht meinen Teil dazu beigetragen habe.

Als ich noch in einem Ballettröckchen und viel Make-up auf den Straßen von Manhattan arbeitete, und gerade diese völlig überdrehte Transensache losging, spielte ich oft draußen in Cafes Harfe für Familien und manchmal sagte ein Kind so etwas wie: “Ich nehme Klavierunterricht“. Ich sagte dann immer: “Wenn du richtig viel übst, wirst du genau so werden wie ich!“ Natürlich lachten sie, aber ab und an, mehr als einmal, das kannst du mir glauben, sagte ein Elternteil: “Das wäre ja toll.“ Hurra!

Ich weiß, dass das jetzt eine etwas profane Frage ist, aber gibt es Pläne “Songs for Anne Marie” wiederzuveröffentlichen (zumindest die Musik)?

Ja, das neue Album wird ein erneuter Besuch bei diesem Buch sein. Diese Lieder sind die schmuddeligen kleinen Kinder, die ich vorhin erwähnt habe.

Du hast die Bilder, die für “Love’s small song” verwendet worden sind, selbst gemalt. Gibt es  noch weitere Bilder von dir?

Nein. Diese zwei Bilder sind das einzige, was ich in den vergangenen 25 Jahren gemacht habe.

Was kannst du uns über deine Mitarbeit am kommenden Album von CURRENT 93 sagen?

David hat mir ein wunderschönes Kirchenlied namens “Idumea” geschickt. Früher hatte ich im wahrsten Sinne des Wortes damit zu tun, großartige Kirchenlieder zu finden. Ich habe viele Jahre meines Lebens damit zugebracht und irgendwie ist mir diese entgangen (Gott sei Dank). Als ich sie also von David bekam und mit der Arbeit begann, war es eine absolute Offenbarung (schlechte Wortwahl). Mich hatte schon lange nichts mehr so angeturnt und das machte mich glücklich. Es war auch das erste Mal, dass ich mit einem Cellisten zusammenarbeitete, was ebenfalls sehr aufregend für mich war.

Kannst du kurz etwas über deine Arbeit als Kirchenliedersammlerin sagen?

Die Sache mit dem Kirchenlieder sammeln – hört sich übel an, oder? Also von Anfang an. Es fing an einem Tiefpunkt meines Lebens an, an dem mir bewusst wurde, dass ich eine Wahl treffen musste. Renne ich zurück nach Europa und spiele ich die Harfe und habe Spaß? Oder stehe ich zu meinen Freunden und bleibe da und zahle meine Schulden? Ich entschied mich dazubleiben, nicht weil ich von Natur aus so eine verantwortungsvolle Person bin, sondern weil ich eine wertvolle Freundschaft verloren hätte, wenn ich das gemacht hätte. Und so fand ich ein saubilliges Apartment in Brooklyn und nahm einen normalen Job in einer Bilderrahmenfabrik an und nach und nach – innerhalb von ein, zwei Jahren – bezahlte ich meine Schulden und während dieser Zeit entwickelten sich zwei merkwürdige Obsessionen. Die Beschäftigung mit Anatomie – aus Büchern, nicht mit Leichen (leider) – und die Beschäftigung mit gregorianischer Musik Ich kann nicht gut erklären, warum diese Musik mich so im Griff hatte, aber ich versuche es. Hier sind zwei wichtige Sachen. Die Magie eines Liedes, als ein lebendes Etwas, das aus einigen wenigen Zeichen auf einer Seite zum Leben erwachen kann. Das war für mich sehr wichtig. Ich verbrachte Wochen damit, immer wieder diese leeren Töne zu singen und wartete dabei auf den Augenblick, wenn sie für mich ein Lied werden würden. – und dieser Augenblick kam immer. Die andere Sache war die Größe und der Umfang dieser Lieder, es gibt dort nichts außer einer Melodie. Selbst abgesehen von der Bedeutung der Wörter. Das Fertige dieser Melodie allein ist absolut immens. Kein Bass, keine Harmonie, kein Rhythmus, abgesehen von dem ihr eigenen Rhythmus. Und dennoch sind die besten von ihnen so umfangreich. Ich meine, die größte Symphonie oder der riesigste elektrische Klang…es gibt nichts, das sich irgendjemand ausdenken kann, das sich damit messen lässt. Ich sage nicht, dass nichts je so gut sein wird. Natürlich gibt es hunderte von Sachen, die so gut sind. Aber ich sage, dass nichts je besser sein wird. Na, jedenfalls war das zu der Zeit mein Leben. Ich las Anatomiebücher und fand seltsame alte Lieder, die seit Jahrhunderten tot herumgelegen hatten und ich erweckte sie in meiner eigenen kleinen Seele wieder zum Leben. Schließlich lernte ich Latein und eines Tages lief ich den Broadway entlang und als ich gerade um eine Ecke an der 96. Straße bog, verstand ich die Bedeutung der Worte – ich meine ganz wörtlich – auf einmal. Als ich Latein lernte, war das an der Columbia Universität und ich übersetzte Ovid. Ich hatte nie versucht etwas von dem gregorianischen Kram zu übersetzen, es schien mir wie ein Sakrileg. Seltsam, oder? Das war einer meiner besten und lohnenswertesten Augenblicke, aber absolut innerlich. Nichts was ich mit jemandem hätte teilen können. Nicht wirklich. Das ist ziemlich traurig, oder? Das war also der Anfang meiner Obsession mit alter Musik. Von da war es kein großer Schritt bis zu Palestrina, dem großen Meister der Renaissance und von da zu Bach. So weit bin ich ungefähr gekommen, nicht weiter als bis zum 17. Jahrhundert. Aber das brachte mich weit genug, um eine gute Kirchenliedermelodie zu schätzen. Ab einem Punkt an lernte ich Dirigieren und mein Lehrer, der daran verzweifelte, dass er in mir auch nicht das geringste Interesse an etwas jenseits von Bach wecken konnte, gab schließlich auf und sagte: “Na, wenn das alles ist, was du machen willst, warum lernst du nicht Orgel zu spielen und suchst dir einen Job in der Kirche. Eine Woche später machte ich genau das. Ich fand einen Job in der Kirche und ich entdeckte, wie schrecklich Kirchenmusik ist, aber ich hatte das Glück einen netten Chef zu haben. Es hatte in mir etwas gesehen, von dem ich keine Ahnung hatte, dass ich es besaß. Durch meine seltsame Obsession war ich für den Job sehr gut qualifiziert. Er ließ mir freie Bahn zu tun, was ich wollte und bestand darauf, dass ich mich nie dazu zwingen lassen sollte, den üblichen Schrott zu spielen. Aber ich musste den Leuten auf halbem Weg entgegengehen – zwischen großartiger Musik und dem gegenwärtigen Schrott landete ich dann etwa im 17. Jahrhundert – und das war ein Ort, an dem ich mich wohl fühlte. So wurde es zu meinem “Job“ großartige Kirchenlieder zu finden. Die wachsen nicht auf Bäumen. Die meisten stahl ich von den Lutheranern und schließlich kam es dazu, dass ich mitten in der afro-kubanischen rituellen Musik von Santería war. Komischerweise waren diese Lieder etwas, die für mich den gregorianischen Stücken am nächsten kamen. Das ist also die Geschichte, wie ich eine Sammlerin großartiger heiliger Lieder wurde und nachdem ich das zehn Jahre meines Lebens gemacht hatte, war ich überrascht, als David mir “Idumea“ schickte –ein Lied, das mir entgangen war.

Du hast vor einiger Zeit gesagt, dass du unbedingt wieder auftreten willst. Gibt es ein Wunschpublikum. Ich hatte den Eindruck, dass das Pubklikum auf dem Instal-Festival sehr offen und freundlich war?

Für David zu eröffnen, hat mich etwas verwöhnt, da der Großteil des CURRENT 93-Publikums Davids Support respektiert. Es ist solch eine gute Gelegenheit wirklich GEHÖRT zu werden. Trotzdem möchte ich nicht in eine Schublade gesteckt werden, in der ich nur für Goth-Kids und die Überernsten spiele. Bis jetzt waren die Shows, die ich gemacht habe, toll. Ich spiele gerne für kleine Kinder. Aber ich spiele für jeden gern.

Als ich als Straßensängerin in New York war, habe ich für jeden gespielt. Viele haben gedacht, das sei nur für hippe Leute und Schwule, aber das stimmt nicht ganz. Obwohl ich es geliebt habe, für eine schwule Menge zu spielen und meist südlich der 14. Straße geblieben bin, habe ich mich nie in ein Ghetto sperren lassen. Das ist eine der Sachen, die mich für Antony so freuen. Es ist so einfach, einen Künstler in eine Schublade zu stecken. Und es ist ungewöhnlich, wenn jemand da herausbrechen kann. Ich freue mich für Antony, dass er das geschafft hat.

(M.G.)

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