MARC ALMOND WITH MICHAEL CASHMORE: Gabriel & The Lunatic Lover

Weder Marc Almond noch Michael Cashmore bedürfen einer längeren Einführung, nur soviel soll einleitend gesagt werden: Während ersterer weit davon entfernt ist, ein aus der Mode gekommener Synthiepopstar der Eighties zu sein, ist der Mann mit dem etwas unbekannteren Namen mittlerweile längst nicht mehr nur ein ständig wiederkehrender Posten im Line-Up um David Tibet.

Almond hat schon seit Jahren einen fernab aller 80er-Retroshows beheimateten und seinen Undergroundwurzeln um PSYCHIC TV nicht fernen Kreis an Hörern und Mitmusikern gefunden, der ihn gerade für sein aktuelles, vom Mainstream weniger beachtetes Output schätzt. Der Gitarrist und Pianist Cashmore dagegen hat neben seiner mittlerweile reduzierteren, in Fankreisen aber stets hochgeschätzten Beteiligung an CURRENT 93 und seinem früheren Projekt NATURE AND ORGANISATION einige von Kritikern gelobte Aufnahmen unter seinem eigenen Namen herausgebracht. Neben dem rein instrumentalen und gewollt spröden “Sleep England“ war dies v.a. eine famose Songauswahl namens “The Snow Abides“ mit Antony von ANTONY AND THE JOHNSONS. In meiner Kritik zur aktuellen Current 93 deutete ich bereits den “idyllischen“ Charakter von Cashmores Kompositionen an. Trotz des stets unprätentiösen Stils haben seine Aufnahmen immer auch etwas wehmütig Schönes, mitunter Nostalgisches, wecken bei manchem Hörer vielleicht Assoziationen zu einem traditionellen England. Da die Sangeskunst Almonds ebenfalls auf Harmonie und eine melancholische Wirkung hinzielt, klang die angekündigte, mehrere Tonträger umfassende Zusammenarbeit der beiden recht vielversprechend. Erstmals erfüllte sich diese Erwartung bereits auf Tibets “Black Ships Ate The Sky“, wo die beiden eine der gelungensten Interpretationen von Charles Wesleys Spiritual “Idumaea“ zustande brachten.

Auf ihrer aktuellen MCD werden lyrische Texte vertont, nämlich zwei Gedichte des für sein exzentrisches Leben, seine demonstrativ ausgelebte Homosexualität und seinen Alkohol- und Drogengenuss berüchtigten Décadence-Poeten Eric Count Stenbock. Die beiden hier vertonten Gedichte berühren Themenkomplexe, die dem Songwriting Almonds recht nahe kommen und wie leitmotivisch sein ganzes Werk durchziehen: der bittersüße Charakter von (projektiver) Liebe mit sakralisierenden Untertönen, der nicht selten an die Grenze des Wahnsinns stößt, rückt “The Lunatic Lover“ in die Nähe beispielsweise von “Bedroom Shrine“ auf dem Album “Open All Night“. “Gabriel“ wiederum handelt von der Sehnsucht nach totalem Aufgehen in der Liebe eines stärkeren Gegenüber, nach Passivität und Geborgenheit, welche immer wieder bei Almond zur Sprache kommt, auch in Songs, die er vielleicht gerade deshalb gecovert hat. Hat “The Lunatic Lover“ fast etwas von einer akustischen Überarbeitung eines unbekannten SOFT CELL-Klassikers, so könnte die etwas gelungenere Interpretation “Gabriel“ beinahe eine vergessene Neofolkperle sein. Beide Lieder sind vom Klangbild her vom Finger Picking auf der akustischen Gitarre geprägt, mit zunehmender Intensität der Stücke kommen weitere klassische Instrumente hinzu, die alle von Cashmore selbst gespielt werden. Die von beiden im Duett gesungenen Passagen gehören zu den Höhepunkten des leider so kurz bemessenen Hörerlebnisses.

Es bleibt zu befürchten, dass die Spieldauer von rund zwölf Minuten den Hauptkritikpunkt einiger darstellen wird. Dies dürfte jedoch von der Qualität der Stücke kompensiert werden, darüber hinaus macht schon das ansprechend gestaltete Digipack und Booklet mit Illustrationen des russischen Künstlers Vania Zouravliov den Tonträger besitzenswert. Und natürlich das Wissen, dass es sich hierbei um den Auftakt zu einer sicher in Gänze sehr interessanten Zusammenarbeit handelt. Ob auch die schon länger angekündigte Neuinterpretation einiger Songs von BABY DEE dazu gehört, die beide Künstler schätzen? (U.S.)