Man muss nicht unbedingt über das Cover sprechen, aber man kann es (nicht ignorieren). Der griechische Pianist Othon Mataragas, der auch schon einmal im Lineup von CURRENT 93 auftauchte, präsentiert sich auf dem Cover gepierct und tätowiert mit Lendenschurz und – dem Titel angemessen – mit Engelsflügeln auf einer Säule vor einem grellen Hintergrund.
Die Bezeichnung “camp“ bekommt hier eine weitere Facette und auch das Album selbst steht dem (musikalisch wie textlich) in nichts nach. Es geht in den bis auf eine Ausnahme von Othon Mataragas verfassten Texten um “ten million boys“, “dried sperm“, “ecstasy of passion“, zerstörerische Liebe: Genet-Territorium wird beschritten. Dass das hauptsächlich vom Klavier dominierte Album duchweg seine Spannung behält, wird durch das variantenreiche Spiel Matharagas und die Gastsänger gewährleistet: David Tibet interpretiert COILS “The Dreamer Is Still Asleep“. War das Original eines von COILs hypnotischsten, aber auch wenig hysterischsten Stücken, trägt der Gesang Tibets eine verzweifelte Note, ganz so, als sei seine Interpretation ein Requiem für John Balance. Marc Almond singt auf drei Stücken: Dem großartigen “The Epitaph Of God“, einer tragischen Apotheose des Sexus, “Tonight“, einem von Trompete und Geige untermalten Liebeslied, das das schnelle Umschlagen von Liebe in Hass und umgekehrt aufzeigt und schließlich auf dem das Album abschließenden “The Tango Song“, dessen Text von Frater Perdurabo verfasst wurde und in dem freudig-enthusiastisch nach Tanz, Wein, Leidenschaft und Tod verlangt wird. Auf den weiteren Stücken singt der italienische Schauspieler, Sänger und Paradiesvogel Ernesto Tomasini. Das schnelle das Album eröffnende “When I Leave You“ zeigt die ganze Bandbreite (s)einer Stimme. “Greater Feast Massacre“ ist hysterisch, cabaretartig; der Höhepunkt und das zentrale Stück des Albums ist dann das aus drei Teilen bestehende “Digital Angel“ mit seiner seltsamen christlichen Metaphorik, auf denen Tomasini noch einmal zeigt, was er mit seiner Stimme, die zwischen Farinelli, Klaus Nomi, Sopran und Bariton changiert, vollbringen kann.
Insgesamt eine wahnsinnig-geni(t)ale Platte und für mich eines der Alben des Jahres.
(M.G.)