Anfang der 80er spielten SAVAGE REPUBLIC ihre eigenwillige Musik, die der Wut des Punks ebenso viel zu verdanken schien, wie dem Industrial, der stärker perkussiv orientiert war. Nach fünf Alben – wobei “Customs“ (in Griechenland mit geliehenem Equipment aufgenommen, nachdem der Zoll die Instrumente konfisziert hatte) sicherlich das experimentellste war – löste man sich 1989 auf. Anlässlich der Wiederveröffentlichung der fünf Studioalben ging man 2002 auf eine kleine Tour, bevor sich die eigentliche Rückkehr 2005 ankündigte und 2007 mit der EP “Siam“ und dem Album “1938“ endgültig besiegelt wurde. Vor dem Auftritt in Gießen interviewte ich Ethan Port und Greg Grunke. Das dann folgende Konzert vermischte frühe Songs mit denen des aktuellen Albums, hatte sowohl perkussiv-treibende als auch kontemplative Momente.
? Ganz zu Beginn hießt ihr AFRICA CORPS und auf den Veröffentlichungen von SAVAGE REPUBLIC scheint dieser Kontinent auch eine gewisse Rolle gespielt haben.
Greg: Ja, das war zu einer Zeit, als noch keiner von uns in der Band war. Die Einflüsse stammten auch aus dem nahen Osten, dieses tribale Gefühl hatte natürlich auch mit der Art des Schlagzeugspielens zu tun. Einige der Melodien und Tonleitern, die wir benutzen, erinnern etwas an den nahen Ostern. Einige Aufnahmen hören sich wie ein Soundtrack zu einem Film aus den 40ern, der im Kongo spielt, an. Industrial aus den 40ern (lacht).
? Ich habe mir vor kurzem noch das “Tragic Figures“-Reissue angehört. Die Verpackung ist sehr gelungen.
Greg: Bruce Licher war wirklich für seine Bildästhetik bekannt.
? Würdest ihr sagen, dass das neue Album bezogen auf seine Ästhetik sich etwas von den anderen abhebt?
Greg: Es passte einfach besser zur Thematik des neuen Albums. Das Bild zeigt die Peterskirche in Prag. Das Album heißt “1938“ und die Ästhetik ist passend.
Ethan: Auf dem neuen Album sind wir politischer. Wir kehren wieder zu einigen Sachen aus der Vergangenheit zurück. ´89 hat die Band mehr oder weniger aufgehört zu existieren und einige von uns haben ein paar andere Sachen gemacht und haben sich in eine andere Richtung bewegt. Dann haben wir uns offiziell wiederauferstehen lassen.
? Was war der Hauptgrund dafür?
Greg: Ich wollte gerade sagen: Drogen und Frauen (lacht). Natürlich nicht. Wir sind kurz zusammengekommen um eine kleine Tour zu machen. Ethan hatte gerade unsere Studioalben als Box wiederveröffentlicht. Zu dieser Zeit erfuhren wir, dass NEUROSIS Fans von uns waren, was uns ziemlich überrascht hat, und sie haben uns eingeladen auf einem Festival namens Beyond the Pale aufzutreten; das hat uns dazu inspiriert, noch eine kleine Tour zu machen. Das sollte eigentlich eine einmalige Sache sein, aber kurz danach hatten wir einige neue Ideen. Mit diesen Ideen haben wir dann ungefähr eineinhalb Jahre herumexperimentiert, offiziell haben wir dann 2005 wieder angefangen und der Rest ist – wie man so sagt – Geschichte.
? Ihr habt euer neues Album auf Neurot veröffentlicht und in der Vergangenheit hat man über euch geschrieben, dass man bei euch sowohl Punk- als auch Industrialelemente hören kann und dass ihr schwer zu kategorisieren seid. Würdet ihr sagen, dass Neurot passend ist, weil die darauf vertretenden Musiker auch oftmals schwer einzuordnen sind und man Begriffe wie Postrock oder Postmetal verwendet? Gibt es Kategorisierungen, mit denen ihr euch wohl fühlt?
Greg: Das ist mir relativ egal. Das ist letztlich seit den 80ern so. Wir haben schon immer gemacht, was wir wollten. Wenn man einige der Künstler nimmt, die auf Neurot veröffentlichen und sich die Kategorisierungen anschaut, ist es letztlich so, dass es nur Kategorisierungen sind, sie bedeuten nichts. Wenn man uns als Postrock oder Postmetal bezeichnen will, ist das egal.
? Gibt es denn ein Publikum, mit dem ihr euch besonders wohl fühlt?
Ethan: Das Publikum, das kommt, um uns zu sehen (lacht).
Greg: Wir schätzen ein Publikum, das – egal ob es mit unserem Material vertraut ist oder nicht – auf uns reagiert. Es gibt nichts Schlimmeres als wenn das Publikum mit verschränkten Armen ganz hinten steht. Auf unserer jetzigen Tour gab es Leute, die nicht so genau wussten, was wir so machen und trotzdem toll mitgegangen sind.
Ethan: Ich glaube, dass das Publikum bisher überall ziemlich gut reagiert hat.
Greg: In Toronto gab es eine Art Old-School-Punk-Show. Das Ölfass, das wir benutzen, hatte ein Leck und Öl floss auf den Boden und auf die Bühne, wir rutschten über den Boden, unsere Gitarreneffektebox fing Feuer…
Ethan: Es regnete auf das Equipment (lacht).
Greg: Auf dieser Tour haben wir überall gespielt, von Stadthallen bis zu Universitäten. Wir können uns auf alles einstellen.
? Ein Freund von mir hat euch in Hilden gesehen und ihr meinte, ihr hättet gesagt, dass in Griechenland das Publikum sehr enthusiastisch gewesen sei.
Greg: Ja, das stimmt. Das ist ein tolles Publikum.
? Ihr habt vorhin gesagt, dass ihr wieder politischer geworden seid, so wie in der Vergangenheit. Ich habe vorhin noch “Procession“ gehört und da heißt es sinngemäß, dass die Probleme im Innern liegen und nicht von außen kommen.
Greg: Wir wollten nie explizit politische Texte machen, um Leuten zu sagen, was sie zu denken haben. Man kann diese Zeile auf verschiedene Weisen interpretieren.
Ethan: Jeff Long hat den geschrieben, als er 17 und noch auf der Highschool war und sich mit Philosophie beschäftigt hat.
Greg: Auf einer politischen Ebene kann man sicher sagen, dass viele Gefahren von innen kommen, aber man kann genauso sagen, dass es sich um Dinge im Innern von einem selbst handelt. Wie gesagt, ich mag es nicht, den Leuten zu sagen, dass jetzt der neue Fünfjahresplan kommt oder wir ihre Gesellschaft nach unseren Ideen gestalten wollen.
Ethan: Das wäre ziemlich dogmatisch. Wir leben einfach in einer politischen Welt und als Künstler reagieren wir darauf.
Greg: Bei “1938“ ist es so, dass wir in den letzten Jahren den Eindruck hatten, dass die Geschichte dabei ist, sich zu wiederholen. Wenn etwas geschieht, wie werden die Menschen dann reagieren? Wenn man sich zum Beispiel den 2. Weltkrieg anschaut, ist vieles deswegen geschehen, weil sich einige entschlossen hatten, wegzuschauen. Und irgendwann war es dann zu spät. Manchmal ist es so, dass die Menschen den Kopf in den Sand stecken.
? Das Titelstück des neuen Albums klingt sehr wütend.
Greg: Darum ging es. Wir wollten die Leute aus ihrer Lethargie reißen. Schaut euch die Gefahren an, die sich da am Horizont abzeichnen. Es gibt Unterdrückung aus allen Richtungen. Die Menschen sollten sich dessen einfach bewusst sein. In den USA ist die Politik momentan so polarisiert. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen auf der einen Seite keine Ahnung haben, woran die Menschen auf der anderen Seite glauben. Keinem gelingt es, die Position des anderen in Worte zu fassen. Wir wollen, dass die Menschen selbst denken.
? Auf eurem neuen Album gibt es ziemlich viele Instrumentals.
Ethan: Wir hatten schon immer viel Instrumentalpassagen. Keiner von uns ist Sänger und Instrumentalmusik hat uns schon immer stark beeinflusst. Soundtracks zum Beispiel. Instrumentalmusik kann manchmal emotional direkter sein. Früher haben wir immer gesagt: Wir müssen Gesang haben. Jetzt ist es so, dass wir uns bei dem, was wir machen, etwas wohler fühlen.
? Ich habe mir mal auf Amazon angesehen, welche anderen Alben diejenigen gekauft haben, die “1938“ erstanden haben. Da war u.a. ein späteres Album von SPK.
Greg: Das ist seltsam.
? WIRE.
Greg: Das passt ganz gut.
?ANGELS OF LIGHT.
Greg: Die SWANS haben auf mich persönlich einen sehr starken Einfluss gehabt
? Thurston Moore.
Ethan: Die ursprüngliche Idee des Gitarrenklangs bei SAVAGE REPUBLIC war stark von Glenn Branca beeinflusst. Das passt also ganz gut.
? Ihr wart Anfang der 90er auf einer etwas seltsamen Compilation namens “Sacred War“ vertreten. In diesem Kontext wirktet ihr etwas deplatziert.
Ethan: Ich war damals in LA und spielte in einer Deathtrockband namens DEATH RIDE 69. Die waren auf einem deutschen Label [Gymnastic Records] und dieser Typ von dem Label wollte einen Track haben. Zu dem Zeitpunkt hatten sich SAVAGE REPUBLIC gerade aufgelöst. Später stellte ich dann fest, dass auf dieser CD Boyd Rice und Anton La Vey mit drauf waren. Ich hatte damals eine Postfachadresse angegeben und ich habe noch jahrelang Ku Klux Klan- und andere rassistische Propaganda bekommen. Aufgrund der Gesetzgebung bezüglich so genannter “Hate Crimes“ konnte ich endlich dafür sorgen, dass sie aufhörten mir diesem Schrott zu schicken, aber das war ganz schön nervig.
? Würdet ihr insgesamt sagen, dass Musik die Macht zur Überschreitung hat?
Greg: Es kommt darauf an, was man unter Macht versteht. Man kann natürlich herumspringen und irgendwo draufhauen. Das Wichtigste für einen Künstler ist, dass es aus dem tiefsten Herzen kommt. Leidenschaft, was auch immer.
? Al Cisneros von OM sprach von einem inneren Bedürfnis.
Greg: OM sind klasse. Ich denke, das trifft auf jeden ernsthaften Künstler zu. Man muss eine Notwendigkeit verspüren und am Ende des Tages sagen: Das war wirklich ein Bedürfnis.
? Was gefällt euch besser: Die Arbeit im Studio oder Auftritte oder würdet ihr sagen, dass es zwei Seiten der Medaille sind?
Greg: Zwei Seiten der Medaille. Bei den frühen Aufnahmen war es so, dass wir im Vornherein alles ganz genau ausgearbeitet hatten. Inzwischen ist es so, dass wir wegen der neuen günstigen Aufnahmemöglichkeiten öfter im Studio schreiben. Auf “1938“ wurde fast alles in ein oder zwei Takes aufgenommen. Manche Passagen wurden mehr oder weniger unmittelbar vor der Aufnahme geschrieben. Es geht nicht mehr unbedingt darum, einen Livesound herzustellen. Wir haben weniger Angst vor Elektronik und Klangbearbeitung.
M.G.