Unter dem Monströsen versteht man traditionell die (furchteinflößende) Steigerung des Grotesken und Bizarren. Es ist auch eine Art Warnsignal, denn Monster sind in der Regel gefährlich. ANDREW LILES, unter anderem bekannt von seiner mittlerweile sehr maßgeblichen Beteiligung bei NURSE WITH WOUND und auch als Solokünstler längst ein Held der Experimentalszene, scheint mit seiner neuen „Monster“-Veröffentlichungsreihe in seinem Element zu sein. Seit jeher sind seltsame, irritierende Formen Teil seiner Klänge, Titel und Grafiken.
Die Reihe begann im letzten Jahr mit einer Download-Veröffentlichung namens „Gonzo“, und geht nun mit der 7”-EP „Monster Munch“ in die zweite Runde. Liles ist in erster Linie ein Spieler, der mit Vorliebe Erwartungshaltungen verweigert und Vertrautes gegen den Strich bürstet. Wer also bei Liles’ Monster-“Schmaus“ etwas erwartet, dass nur annähernd in Richtung seiner (ebenfalls monströsen) CURRENT 93-Überarbeitungen geht, der könnte falscher nicht liegen. Statt dunklem Dröhnen und bedrohlichen Choralsamples zeigt sich das Monströse hier eher im Kleinen, und Liles erweist sich als Humorist, der die verschiedensten Arten elektronischer Musik zu verdrehen vermag, gerade so leicht, dass das versteckt Absurde sichtbar wird und das Kurzweilige dennoch erhalten bleibt. Die erste Seite der Single enthält vier Instrumentalstücke, die auf beiden Geschwindigkeiten abgespielt werden können. Das Grundgerüst bilden Rhythmen, die an Triphop, Jungle und einiges mehr anknüpfen. Ergänzt werden diese durch Retrosounds und entsprechende Melodien, die an europäische Genrefilme um 1970 erinnern. Wie gewohnt webt der Künstler die Klänge alter oder exotischer Instrumente in das elektronische Grundgerüst ein – ist es eine Balalaika oder Bozouki, die man zwischenzeitlich zu hören meint? Sind es Bongos, die zum ekstatischen Tanz animieren, vernehme ich Theremin, Triangel, Glockenspiel und Hammondorgel? Die vier Stücke der ersten Seite muten wie ein zusammenhängendes Medley an, beginnen immer wieder im Minimalismus, und steigern sich von Zeit zu Zeit in Geschwindigkeit und Fülle. Alle enthalten Passagen, die konventionelle Tanzmusik einleiten könnten und für sich betrachtet auch in Clubs ankämen – vornehmlich zu früherer Stunde, wenn der Tanz erst verhalten beginnt und die meisten Gäste sich noch an der Bar aufhalten. Das Charakteristische an „Monster Munch“ ist aber, dass Liles hier immer wieder leicht verdauliche Melodien verweigert, seltsame Sounds einwebt und die Rhythmen abbricht, bevor sich ein routinemäßiger Berieselungseffekt einstellen könnte. Süßlicher müssten die Arrangements daher kommen, Sängerinnen müssten zwischendrin ihren Auftritt haben, um den perfekten Lounge-Song zu generieren, um den es allenthalben geht, und der doch konsequent verweigert wird. Die zweite Seite, die nur für 45 Umdrehungen vorgesehen ist, geht klanglich und rhythmisch in eine ähnliche Richtung, wirkt nur etwas rauer und vor allem kohärenter im Aufbau. Die ebenfalls vier Stücke (mit Titeln wie „Fuck it“ oder „You Suck“ sowie entsprechenden fragmentarischen Vocals) dürften all denjenigen Liles- und NWW-Fans gefallen, die an der eingängigeren Seite des „Huffin’ Rag Blues“-Albums ihre Freude hatten.
Lang ist die EP beileibe nicht, aber sie ist ja auch nur ein weiterer Auftakt zu der Serie, die alsbald in CD-, LP-, DVD- und Buchform weitergeführt werden soll. Im Ganzen eher skurril dadaistisch als monströs entsteht der Themenbezug primär durch die Atmosphäre trashiger Monsterfilme und Comics, an die die Serie ebenso erinnert wie an diverse Musikgenres. Auf Monsterfilme und ihre Plakate verweist auch der Schriftzug auf dem von Liles selbst gestalteten Cover, das vom Stil her an poppige Psychedelic Art angelehnt ist und im aufgeklappten Zustand ein doppelseitiges Poster bildet. In seinen grafischen Motiven war Liles nie derart sleazig, wie die gezeichneten und digital bearbeiteten Mädchen, Schlangen und Chimären veranschaulichen, die einander doch sehr zugetan sind. Sammler sollten sich beeilen, denn das Stück ist auf dreihundert Exemplare limitiert. (U.S.)