Angura – Experimentelle Kunst und Musik aus Japan

Dass Staalplaat auch eine deutsche Dependence besitzt, hat sich mittlerweile sicher bis in die entferntesten Winkel der Subkultur herumgesprochen. Mit seinem Umzug von Berlin-Mitte erst nach Kreuzberg und schließlich nach Neukoelln ist der Laden wie viele weitere idealistische Unternehmen dieser Art Gentrifizierungsflüchtling und -vorhut zugleich und würde ausreichend Stoff für ein kleines Kapitel urbaner Kulturgeschichte abgeben. Staalplaat ist jedoch noch mehr als ein Label mit Plattenladen, sondern beinhaltet seit der Quasi-Fusion mit der Galerie „Le Petit Mignon“ eine gute Auswahl an Drucken, Büchern, Magazinen und Kleinerzeugnissen aus den Bereichen Illustration und Grafik. Hinzu kommen ein uriger Konzertkeller, eine Bar und ein weiterer untervermieteter Veranstaltungsraum namens „Quiet Cue“.In dem so gewachsenen Kulturzentrum en miniature finden regelmäßig Themenevents statt, so jüngst „Angura“, eine Ausstellungseröffnung plus zweier Konzerte zum Thema japanischer Undergroundkultur. Durch die schiere Vielzahl an meist bunten Bilderzeugnissen auf recht kompaktem Raum ist der Ort vielleicht nicht die erste Adresse für Besucher, die schnell Schwierigkeiten mit Reizüberflutung haben. Dennoch hatten die Veranstalter Guillaume Siffert und Christoph Petermann (letzterer vom Noise-Projekt KAKAWAKA) ausreichend Platz geschaffen für die meist mittelgroßen Drucke und Kollagen der Künstler Daisuke Ichiba und Yasutoshi Yoshida.

Daisuke Ichiba ist nach eigenen Angaben stark von Mangas und anderen Comics beeinflusst. So ist ein entsprechend comicartiger Lowbrow-Charakter auch in seinen meist schwarzweißen Holzschnitten und Zeichnungen zu erkennen. Als Japan-Laie hatte ich zunächst noch viel traditionellere Kunst des Landes assoziiert – wiederbelebt zu einem mitunter recht derben Popsurrealismus, dessen Fokus auf sexualisierte Szenen von Gewalt und Verfall umso irritierender wirken muss aufgrund der recht filigranen Linienführung und der Eleganz der meist weiblichen Figuren, die wie asiatische Pendants des Modigliani-Typus wirken. Doch in den Gesichtern seiner Figuren findet sich fast durchgehend auch eine Aura des Desolaten, die mehr als bloß ästhetisierte Melancholie ist. Ichiba spricht von dem beinahe zwanghaften Bedürfnis, die weniger glatten, schönen, gesunden und erfolgreichen Seiten der Lebenswirklichkeit an die Oberfläche zu bringen. In Japan bezeichnet man Bilder wie diese als erotische Grotesken und verwendet den Genrebegriff „Ero Guro“. Ein derartiges Interesse am Abjekt ist natürlich konzeptuell nicht neu, und dennoch dauerrelevant in anhaltenden Zeiten von Wellness, Entertainment, Konsum und Leistung. Japans Kreative scheinen ohnehin ein besonderes Verhältnis zu derart aufklärerischen Funktionen von Kunst zu haben, schon aufgrund der oft angesprochenen Klarheit und Disziplin, die Ichiba bereits in Interviews als wesentliches Merkmal seiner Kultur hervorhob. Ähnlich wie beispielsweise „A Snake of June“, ein Film des „Tetsuo“-Regisseurs Shinya Tsukamoto und vielleicht eines der renommiertesten Vergleichsmomente, spülen seine Bilder das regressive, kranke, bizarre Gegenbild zutage und plädieren für dessen Recht auf eine eigene Schönheit.

Das „Dekadente“ in Daisukes Bildern sorgte dann auch für einen im Grunde erfreulichen Unmut, als eine Besucherin den Künstler in ironiebefreiter Streitlaune fragte, wie man als Japaner nach Fukushima bloß derartige „Horrortrips“ (O-Ton) produzieren könne. Unnötig zu sagen, dassBenefizveranstaltungen auch bei mäßigem Ertrag wertvolle Leistungen der Kunst sein können (an dieser Stelle sei anerkennend an eine jüngst stattgefundene Japan-Performance erinnert, an deren musikalischer Seite auch John Murphy und andere Mitglieder von LAST DOMINION LOST teilnahmen), aber es ist bedauerlich, wenn dies über politisch korrekte Verpflichtungsvorstellungen funktionieren muss, über die sich jedes weitere Wort erübrigt. Durch Ichibas kurz angebundenen Schalk noch mehr angestachelt, war die Dame auch nach besten Diskussionsbemühungen anderer Besucher nicht zu besänftigen, und es war beeindruckend zu sehen, dass Provokation – ob intendiert oder nicht – tatsächlich noch funktionieren kann, wenn man nur die richtigen Leute auf die falschen Veranstaltungen lockt.

Einen recht farbenprächtigen Gegenpart bilden die Kollagen von Yasutoshi Yoshida, dessen Name einigen sicher geläufig ist, denn er ist der Mann hinter dem seit den frühen 90ern aktiven Noiseprojekt GOVERNMENT ALPHA. Einen Teil der gezeigten Arbeiten bildeten dann auch eigens gestaltete Alben-Cover quer durch seinen Backcatalogue, und einige seiner Werke sind (ähnlich wie bei jemandem wie Steven Stapleton) allein schon wegen des Artworks besitzenswert. Noch mehr ins Auge fallen allerdings eine Reihe neuer Kollagen, die im Unterschied zu den Coverillustrationen ganz undigital mit Schere und Kleber angefertigt worden sind. Yoshida teilt mit seinem älteren Kollegen das Interesse am vermeintlich Abseitigen, doch die Stimmung auf seinen Bildern ist eine gänzlichandere. Ich würde Ichiba bei aller Vorsicht, die die Projektion solch westlicher Vorstellungen gebietet, als Vertreter einer Art „Schwarzen Romantik“ im Sinne Mario Praz’ bezeichnen, der sich dem Abgründigen mit einer ambivalenten Schmerzlust nähert. Yoshidas bunte Popart-Kollagen versprühen dagegen einen eher nüchternen Realismus, dessen kontrastreiche Panoramen einer rasanten Welt so anschaulich wie ein unkommentiertes Lehrbuch sind. Figuren aus Illustrierten oder aus alten Fotografien, Texte aus deutschen Zeitungen, überhaupt jede Menge „Internationales“, technische und anatomische Abbildungen, Tiere und Pflanzen, Fantastisches: Die Zusammenstellung wirkt meist überraschend stimmig – dies ist dann ein ambivalenter Zug speziell von Yoshidas Werk, da die Bilder so etwas wie eine chaotische Enzyklopädie „postmoderner“ Welterfahrung sind. Gelegentlich schlafende oder aber ekstatisch anmutende Gesichter lösen hin und wieder das „Psychedelische“ ein, mit dessen Erwartung die Farbgestaltung der Kollagen nur zu gerne spielt.

Elemente des Transgressiven dürfen darin freilich nicht fehlen, und wenn sie bisweilen wie selbstverständlich auf der Bildfläche erscheinen, dann wirkt ihre skandalöse Plötzlichkeit eher genügsam als zynisch. Vielleicht mag man sich angesichts seiner Musik wundern, dass bei den Bildern ein demonstrativer Schwerpunkt auf dem Dystopischen fehlt, aber bei genauer Überlegung sollte auch dies nicht überraschen: Japanische Krachkünstler sind Nerds (MERZBOW), Schweinerocker (MASONNA) oder beides (THE GEROGERIGEGEGE), doch selten Untergangsprediger. Man kann die fiktiven Schauplätze, die derartige Kunst und Musik entwirft, freilich als endzeitlich interpretieren. Ganz abgesehen von der Frage, wie westlich schon eine solche Deutung ist, lassen sich neutral thematisierende, partiell kritische, aber auch hedonistische Haltungen beobachten. Das Apokalyptische als zentrale Message ist weit eher typisch für westliche Kollegen. Spätestens seit seinen Illustrationen für David Hoenigmans Roman „Bury Your Belongings“ (Seattle 2010) wächst Yoshidas Anerkennung auch außerhalb einschlägiger Musikszenen, und es bleibt zu hoffen und zu erwarten, dass sich dies auch hierzulande noch steigern wird.

Den musikalischen Teil eröffnete die in Deutschland lebende Pianistin und Soundkünstlerin Midori Hirano, deren ruhige, wellenförmige Klangwelten wie eine Oase der Besinnung inmitten einer Welt voller Drastik und Aufgewühltheit wirkten. Ihrer Musik, die meist auf geloopten Elektroniksounds, E-Piano und Streichern basiert, wird gerne ein märchenhafter und traumwandlerischer Charakter nachgesagt. Vokabeln wie meditativ und hypnotisch beschreiben ihre Version von Ambient vielleicht ebenso sehr, die sich bei aller Dezentheit früher oder später zu kleinen intensiven Höhepunkten steigert, ganz ähnlich dem, was die Musikwelt vor Jahren auf den Namen Postrock taufte. An diesen Stellen müsste selbst unaufmerksamen Ohren bewusst werden, wie beweglich die Musik ist, deren Statik auch in den unscheinbarsten Momenten nur eine scheinbare ist. In ihrem neuen Projekt MIMICOF kombiniert sie diese Eigenschaften mit rhythmischen Strukturen, auf ihr in wenigen Wochen erscheinendes Album darf man gespannt sein. Die zusammenhängende Livedarbietung war weit entfernt von Chillout-Seichtheit, ihre schlichte Melodik frei von jedem Kitsch. Das Moment des Unprätentiösen schlug dann auch die Brücke zu der unverblümten Direktheit der übrigens Künstler, weswegen Hiranos Auftritt auch keineswegs wie ein Fremdkörper wirkte. Die ernsthafte Art der Künstlerin, die Gelöstheit mit Konzentration verband, trug ihren Teil dazu bei, dass der knapp fünfundvierzigminütige Auftritt zu den eindringlichsten Momenten des Abends zählte.

Als eine Art Headliner eroberte Yoshida anschließend als Musiker Mikro und Mischpult. Ob sein Auftritt nun als GOVERNMENT ALPHA oder als improvisierte Soloshow gelten sollte, blieb bewusst offen, und mein Einblick in seine Diskographie ist zu gering, um bekanntes Material erkennen zu können. Fakt ist allerdings, dass Yoshida zunächst ausgesprochen verhalten dröhnte und somit auch formal ganz gut an die eher flächig schwebende Musik Midori Hiranos anknüpfte. Lautstärke, Intensität und Rauheit des Klangmaterials steigerten sich jedoch im gefühlten Minutentakt, und auf der anvisierten Höhe angekommen, entpuppte sich Yoshidas energiegeladener Japanoise als stürmischer Geräuschwall, der nach etwa dreißig Minuten in einem aufwühlenden, beinahe kathartischen Schrei endete. Das „Befreiende“ und betont Durchgeknallte, das so charakteristisch für Government Alpha und ähnliche Arten des Lärmens ist, steht im erfreulichen Gegensatz zum aufschneiderischen Konfrontationsgepolter und zur militanten Steifheit so mancher Projekte, die andere Post Industrial-Traditionslinien bevölkern. Von der trivialen Tanzversion des Noise ganz zu schweigen.

Wer an einem repräsentativen Einblick in die Welt derzeitiger japanischer „Underground“-Kunst intreressiert ist, hat noch bis zum 18. Mai Gelegenheit, sich die Arbeiten von Daisuke Ichiba und Yasutoshi Yoshida im Staalplaat-Store in der Berliner Flughafenstraße 38 anzusehen. Gerüchten zufolge soll der musikalische Teil des Abends im Herbst wiederholt werden. (U.S.)

http://staalplaat.wordpress.com

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