Der Amerikaner Joe Budenholzer veröffentlichte ab Mitte der 90er Jahre über World Serpent eine Reihe von Alben, die stark vom Folk der britischen Inseln beeinflusst waren, bevor er sich mit „Of Silver Sleep“ – das mit „Melody“ und “The Tide“ zwei der vielleicht stärksten BACKWORLD-Stücke enthielt -, aber insbesondere dem fünften Album „Good Infection“ stärker an der akustischen Musik seines Heimatlandes orientierte. Damit einher ging auch ein gewisses Maß an weltanschaulicher Umorientierung: Zeigte sich Budenholzers Interesse an Spiritualität schon auf dem ersten Track des ersten BACKWORLD-Albums, so richtete der vom cinema of transgression kommende Budenholzer seinen Blick auf Abseitiges, den lunatic fringe(David Koresh sollte sogar einmal Gegenstand eines nie fertiggestellten Musicals werden) oder aber auf christliche Mystikerinnen (Mechthild von Magdeburg) und Außenseiter (William Blake). Die Destruierung einer Zeichnung Hildegard von Bingens, die das Cover von „Isles of the Blest“ schmückte, illustrierte, dass der Sänger das Haus Gottes als „Schlachthaus“ wahrnahm, dass er nur allzu gerne verließ. Schließlich wandelte sich die Mischung aus Faszination und Aversion (wie nicht selten) in eine Bejahung des Glaubens, wurde das Christentum zu einer „guten Infektion“ und Budenholzer vom Saulus zum Paulus, was allerdings zum Teil zu Texten führte, die einen in Verbindung mit der wesentlich stärker konventionell ausgerichteten Musik auf unangenehme Weise an Kirchentagsbeschallung denken ließen. Das mochte auch sicher damit zusammen hängen, dass Budenholzer nie ein wirklich charismatischer Sänger war und insofern klang die fast schon fanatische Vehemenz, mit der David Tibet auf der „Seeds of Love“-EP „God is love“ intonierte, wesentlich beeindruckender (und letztlich weniger bieder) als wenn Budenholzer textlich arg gequält sang: „Sunday morn, Sunday morn/That’s the day when love is born“.
Nach seiner Rückkehr aus dem schottischen Exil (und dem Ende seiner kurzzeitigen Exkursion in Rockgefilde mit den SMALL CREATURES) erscheint nun nach längerer Pause das zwischen 2008 und 2011 aufgenommene sechste Album „Come the Bells“. Der Opener „Eveningward“ gibt mit seiner melancholischen Mischung aus Klavier und Streichern und der getragenen Rezitation die auch den Rest des Albums dominierende Stimmung wieder: Zeilen wie „In the halflight in the evening/in the time between light and darkness the day becomes a crawling shadow“ sind sicher programmatisch für das nun Folgende. Auf dem Titelstück vernimmt man die für BACKWORLD typischen Gitarren, auf „Night of the senses“ ist der Gesang zurückhaltender, weniger expressiv als auf den letzten Alben und man wird auch durch den leicht orientalischen Synthesizer fast an die frühen Aufnahmen erinnert. Auch „That I had Wings“ oder auch „One Returns to One“ hätten sich vielleicht auch auf „Isles of the Blest“ oder „Holy Fire“ finden können. Die Instrumentalstücke „Everything that Wishes for Eternal Light“ und „The River Runs North as We Sleep“ sind durch den Einsatz von Geige und Cello Trauermärsche, die vielleicht gar nicht so weit von der Filmmusik Hilmar Örn Hilmarssons entfernt sind. „Come the Bells“ ist ein Album, das vielleicht das musikalisch kohärenteste der Bandgeschichte ist, ein Album, das von einer Aura der Melancholie umgeben und von einem Bewusstsein der Vergänglichkeit durchzogen ist. Das Wissen um die „divine symetry“ [sic] führt nicht zu einer unreflektierten Unbeschwertheit. Vielleicht mag der eine oder andere das Album als gewisse Art von Rückschritt sehen, aber die Ergänzung der ursprünglichen musikalischen Ausrichtung durch kammermusikalische Elemente lässt „Come the Bells“ zu einem, vielleicht sogar dem besten Album der Bandgeschichte werden.
(M.G.)