HAUS ARAFNA: New York Rhapsody

Puristen – und die gibt es insbesondere in Subkulturen so häufig, dass man sich vor lauter Reinheit manchmal  nach etwas Schmutz sehnt – mögen sich zuerst einmal vor den Kopf gestoßen fühlen: ein Album, das anlässlich des Auftritts der Modedesignerin Katie Gallagher bei der New York Fashion Week am 12. September 2009 konzipiert wurde?  Handelt es sich gar um den Versuch, Eintritt in die glamouröse Welt der Models gewährt zu bekommen? Was hat das mit Industrial, mit Transgression zu tun?  Gar nicht so wenig, wie man vielleicht meinen könnte, auch wenn das den einen oder anderen (ver-) stören mag, aber schon die erste Generation (insbesondere SPK) stellte die Frage nach (konventionellen Vorstellungen von) Schönheit, um diese dann zu dekonstruieren.

Der Körper in all seinen (De-)Formationen spielte lange bevor sich die Literatur- und Kulturwissenschaften mit selbigem intensivst beschäftigten, eine elementare Rolle für die Paria und Tabubrecher, die Ende der 70er Jahre als „wreckers of civilization“ gebrandmarkt wurden. Da muss man nicht einmal unbedingt auf den legendären The Tube-Auftritt SPKs hinweisen, bei dem die Australier musikalisch schon eine sehr viel konventionellere und kommerziellere Richtung verfolgten und Graeme Revell sich in einer archaischen und wenig gebrochenen vitalistischen Männlichkeit erging. Und auch für HAUS ARAFNA war eben der Körper in all seiner Verletzlichkeit, seiner Fähigkeit zu bluten schon immer ein zentrales Motiv (am offensichtlichsten ist das auf den Fotos von Pathologischem auf den frühen Aufnahmen, man denke aber auch an die Darstellung des nackten Körpers auf den letzten beiden Studioalben oder auf der Wiederveröffentlichung des Debüts „Blut“). So weit weg von der Verhüllung des Körpers ist das alles nicht.

Der Kontext (Musik für etwas, einen bestimmten Zweck zu komponieren, etwas, das Geschehnisse auf der Bühne, dem Laufsteg untermalt) führt natürlich erst einmal ganz natürlich zu einer leichten musikalischen Änderung – hier zu einer größeren Anzahl von Instrumentalstücken und einem Verzicht auf das Brachiale des „Schreigesangs“, der aber schon auf den letzten Alben zurückgefahren worden war – thematisch wie musikalisch knüpft (das vorher entstandene) „New York Rhapsody“ allerdings dennoch stark an das letzte Album an. Man findet eine Mischung aus songorientierten Stücken und stärker atmosphärisch-instrumentalen Tracks, die einen gewissen Soundtrackcharakter haben. Dabei hört man die für HAUS ARAFNA so typischen Analogsounds, das Pulsieren, das Atonale, die unheimlich-verstörenden verfremdeten Stimmen (z.B. bei dem beängstigenden „Kalt im Bauch“ oder „God sows secrets“  (das sicher fiesere Sounds enthält, als ihn momentan so angesagte Kapellen wie SALEM erzeugen) und immer wieder Melodien, denn die Fähigkeit nicht nur Klanglandschaften zu erzeugen, sondern tatsächlich Songs zu schreiben, ist eines der Merkmale des Duos und hebt es wohltuend von anderen Vertretern extremer elektronischer Musik ab (und das kann man nicht oft genug betonen).

Auch thematisch geht es wieder – wie schon zuletzt auf „You“– um die Abgründe menschlicher Beziehungen („What You Said“) an der Grenze zum Pathologischen („I Did It For You“, „You Know How To Destroy Me“) und das treibende „Heart Beats Blood Flows“ könnte musikalisch glatt als Wiedergänger von „Für Immer“ durchgehen. Weiblicher (Sprech-) Gesang nimmt auf „New York Rhapsody“ eine größeren Raum als bisher ein: so bei “Desecrated” und „Give The Strength“, wo es heißt „You have the might and the mercy/to look behind the mask“.  Die Maskierung einzelner Models („Veil“ heißt bezeichnenderweise ein Track) erinnert an die Inszenierung des Duos auf dem letzten Album. Aber denkt man an den Ort der Modenschau und die zeitliche Nähe zu 9/11, so darf vielleicht ein Stück mit einem Titel wie „Ground Zero“ nicht fehlen. Diese klaffende Wunde im Körper von „God’s Own Country“, dieser „howling space“ (Don DeLillo) wird als analoges Brummen und Dröhnen inszeniert, als Klanglandschaft aus Angstschreien und Verzagtheit und inmitten dieser urbanen Wüste hört man dann melancholische Melodiefetzen voller Trauer.

Es fällt auf, dass sich auf dem Album mit seiner gebremsten und gezügelten Aggression fortwährend ein Bewusstsein des Vergänglichen, des Endens, des Vergeblichen zeigt: „Our tears are wasted“ heißt es auf „Posion“.

Aber um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen: Die vorhergegangenen Zeilen dürften deutlich gemacht haben, dass es (auch) für die Puristen auf „New York Rhapsody“ genug gibt, an dem sie sich erfreuen können. Und wie wird der Protagonist aus de Lillos „Falling Man“, Keith Neudecker, beschrieben, als er durch die Trümmer geht:  “glass in his hair and face, marbled bolls of blood and light.”

(M.G.)