Im Zusammenhang ihrer letztjährigen EP “Last Day In July” sprach Cellistin Julia Kent bereits über ein neues Vollzeitwerk. Nun ist es da, und es knüpft an die Stimmung und Machart des nun fünf Jahre zurückliegenden “Delay”-Albums an. Das ist äußerst erfreulich, gemessen an ihren doch verhältnismäßig raren Lebenszeichen als Solokünstlerin und an ihrem somit noch unverbrauchten Stil. Umso schöner, dass es im Kleinen ein paar markante Veränderungen zu verzeichnen gibt.
Jeder, der Julia Kents Eigenkompositionen schätzt, wird auf dem neuen Longplayer ihren unverkennbaren Stil wiedererkennen – in jedem Stück, in jeder Minute, in jeder Sekunde. “Green and Grey” basiert erneut auf Celloloops, mit feinsinnigem Harmoniebewusstsein an passenden Stellen übereinander gelegt, manchmal klar und stringent, bisweilen impressionistisch verschwommen, aber nie romantisierend und sentimental. Auch diesmal setzt Julia Feldaufnahmen ein – Grillenzirpen, Wasserrauschen, ganz punktuell und niemals hinter dem schnellen Effekt her, den solche Ergänzungen bei einem auf Kurzweil fixierten Publikum hervorrufen könnten. Auch die digitale Nachbearbeitung erfolgt in dezenter Dosierung. „Delay“ war ganz in grau gehalten. Optisch wie musikalisch umkreiste es Themen der Monotonie, der Wartens und der Tristesse, näherte sich ihnen von allen erdenklichen Seiten an: fatalistisch, genügsam, trotzig, auch verhalten klagend. „Green and Grey“ unterscheidet sich der Farbsymbolik entsprechend, und behandelt laut liner notes das komplexe Zusammenwirken von Natur und Menschenwerk. Technologie und Organismus, beides am Leben gehalten durch komplexe Muster und simple Repetitionen, beides so gegensätzlich und doch untrennbar auseinander hervorgehend und sich immer wieder bedingend.
“Pleiades” eröffnet die Sammlung und ist nur vordergründig betrachtet eine einfache Komposition. Schon der Titel eröffnet unzählige Zusammenhänge, dem Rahmen entsprechend aus den Sphären von Natur und Kultur: Mythos, Dichtung, Himmelskörper, die Technologie, mit der wir sie erforschen, die Naturgesetze, die diese Technologie ermöglichen. Sehr langsam, fast wie ein Trauermarsch drängt dieses Stück nach vorn, bindet die Vielheit seiner Komponenten sanft in einen Mantel aus flächigen Strichen auf den tieferen Saiten des Instruments. Doch schon in diesem Stück, in dessen stetiger klanglicher Intensivierung, entsteht der Eindruck, dass es im Grunde um das Ausweiten dieser Begrenzung geht.
Zwischen Grün und Grau scheint ein verhaltener, kaum spürbarer Kampf stattzufinden, mögen die Farben auf dem Cover noch so harmonisch-verträumt wirken. Unterschwellige kleine Eruptionen ereignen sich immer wieder, und sind doch stets moderiert von der hauchdünnen Schicht einer melancholisch gefärbten Friedlichkeit, die zu selbstgenügsam ist, um heimelig zu wirken. Wirklich sicher ist man sich dieses Friedens jedoch nie, denn nicht nur die kleine geräuschhafte Groteske in „Acquario“, oder die entfesselte Traurigkeit in „Tritonus“ bewahren das graugrüne Adagio vor jeder Eindimensionalität. In „A Spire“ entlädt sich die stets loszubrechen bereite Dramatik dann einmal vollends – wie zuvor „Tempelhof“ auf dem Debüt lässt das Stück die Ruhe nach dem kurzen Sturm lebendiger wirken und gibt den Folgestücken erst ihren eigentlichen Charakter: Dem unaufdringlichen „Missed“, der (jiddisch inspirierten?) Künstlerhommage „Dear Mr. Twombly“.
Das letzte Wort hat die grillenzirpende Natur. Oder doch eher ihre technische Simulation? Vielleicht soll dies ein Geheimnis bleiben, und vielleicht ist dieses Geheimnis ja sogar ein ebenso geheimes Anliegen von “Green and Grey”. (U.S.)