Wer mit der Musik der Berliner Gruppe KUNST ALS STRAFE nichts anfangen kann, der kommt sicher in Versuchung, ihren Bandnamen auf den eigenen Hörverdruss zu beziehen. Tatsächlich referiert er auf eine kulturwissenschaftliche Tagung, deren Vorträge auch in einem Sammelband vorliegen. Unter anderem mit dem „genealogischen“ Foucault („Überwachen und Strafen“ etc.) im Gepäck, wird dort den Wechselbeziehungen von Kreativität und Disziplin nachgegangen, und man könnte es sich jetzt zum Sport machen, diesen Relationen im Sound der Band um Gerrit Haasler nachzuspüren.
Da ihre dunklen Klangkollagen in all ihrer Reichhaltigkeit viel zu ungreifbar sind, um sich auf eine theoretische Linie biegen zu lassen, sollte dieser Zusammenhang aber lediglich allusorische Funktion haben – so wie Titel und Textfetzen des vorliegenden Erstlings, die allerorts Theoriekontexte öffnen, und doch nur Variationen auf hermetisch bleibende Themenkomplexe wirtschaftsphilosophischer, psychosozialer und naturwissenschaftlicher Art offerieren. Kunst als Strafe lassen solche Themen vorbei ziehen, machen neugierig, und verweigern dennoch die griffige Konzeptplatte, die das Debüt bei etwas engerer Grenzziehung hätte sein können. Die sinnliche Erfahrung der Klänge, die den Hörer in allen erdenklichen Grauschattierungen schier endlos umkreisen, scheint ohnehin stärker intendiert zu sein, als ein didaktisch orientierter Nachvollzug inhaltlicher Konzepte. Legte man Wert auf deskriptive Vollständigkeit, so könnte man über die detailreichen Soundscapes lange sprechen und die visuellen Assoziationen, die die Musik auslöst, ausgiebig kartografieren. Das Titelstück beispielsweise überzeugt nicht nur durch Fülle und Dichte, es zeigt auch, wie vital „barren“ (dt. „öde“, „unfruchtbar“) sein kann, wenn die vielen metallischen Sounds erst einmal zum Leben erwacht sind. Anfangs noch zurückhaltendes Geknister, später Perkussion, dem Eindruck nach auf Bongos und Blechkannen. Abgelöst durch rockige und technoide Klänge, die in ihrer pulsierenden Intensität zunehmen, bis alles in ein hypnotisches Gitarrendrone mündet. Vieles bleibt fragmentarisch, eine Sprecherin, eine aus den Ritzen der Klangkollage gerade noch hörbare Sängerin, falls ich da nicht sowieso einer akustischen Täuschung erlegen bin.
Nicht nur das erste Stück hat diesen vortizistischen Charakter, zwischen ambienten Passagen gibt es immer wieder Kollisionen, bei denen rituelle Perkussionsfragmente, Stakkato-Rhythmen, Sprachfetzen und Jazziges aufeinander treffen, oder aber vereinzelte kleine Lichtungen entstehen, in denen helle Streicherklänge oder minimale Meditationen auf dem Klavier für Ruhe und Weite sorgen. Unberechenbarkeit, so könnte man es schlagwortartig auf den Punkt bringen, ist eine der wesentlichen Eigenschaften der Platte. Bei einigen Lesern leuchtet bei der Beschreibung sicher schon eine kleine NURSE WITH WOUND-Lampe auf – quasi zurecht, denn „Stargast“ Steven Stapleton hat die Band nach einer kleinen Kostprobe gleich mit ein paar eigenen Aufnahmen beschenkt, die an ausgewählten Stellen einmontiert worden sind. Einige frühe NWW-Aufnahmen oder das jüngere „The Surveillance Lounge“ eignen sich als Referenzwerke, aber es gibt auch deutliche Unterschiede. Während NWW genial-dilletantisch wie aus dem Bauch heraus wirkt, erscheinen Kunst Als Strafe eher sophisticated, ausgearbeitet und klassisch virtuos, dem Spiel mit der Unbestimmtheit des fragmentarischen Sprachmaterials fehlt das Dadaistische der Stimmen aus Coloorta. Kunst als Strafe haben trotz des spielerischen Bricolage-Charakters auch ein musikhandwerkliches Moment, das dann auch die Brücke zu MERCYDESIGN schlägt – einer weiteren Band aus dem Labelumfeld, deren Hauptverantwortlicher ebenfalls an den Aufnahmen beteiligt ist.
Kurzes Fazit: Gelungenes Debüt, dessen Stärken hoffentlich zum Maßstab für Zukünftiges werden. (U.S.)